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rief der Domherr, »Du setzest Dich in den Wagen.«

      Der alte Diener musste sich in den Wagen setzen.

      Beide Wagen fuhren gemeinschaftlich aus dem Tore des Städtchens Warburg. Gleich draußen, jenseits der Diemelbrücke, trennten sie sich. Die Extrapost fuhr geradeaus, weiter auf der Kasseler Chaussee. Die Bergchaise lenkte links ab in das Diemeltal hinein.

      Die Diemel ist ein wilder Bergfluss. An einem Winkel des jetzt und auch damals schon preußischen Herzogtums Westfalen, im Fürstentum Waldeck, aus hohem Berge sich ergießend, durchströmt sie von Westen nach Osten die Gebirge zuerst jenes Herzogtums Westfalen, dann das gleichfalls preußische Paderborner Land, wird darauf eine kleine Strecke die Grenzscheide zwischen Preußen und Hessen, tritt endlich eine Meile von Hofgeismar ganz nach Kurhessen und setzt in diesem Lande ihren Lauf fort bis Karlshafen, wo sie sich in die Weser ergießt. Von Warburg bis in die Nähe von Hofgeismar läuft sie zwischen besonders hohem Gebirge, das zum Teil die Egge oder das Eggegebirge genannt wird. Die Berge erheben sich zu ihren beiden Seiten meist hoch und schroff und wild, manchmal in einzeln stehenden Kegeln und Kuppen, manchmal in langgestreckten Wänden, treten bald unmittelbar an den Strom heran, dass er in schmalem, rauschendem Bette sich durch sie hindurchzwängen muss, treten dann wieder zu kleineren, finsteren Schluchten zurück und bilden dann und wann weitere, anmutige Täler.

      Sie sind zum großem Teil mit hohen dunklen Laubwäldern bedeckt, die sich von ihrer Spitze bis zum Fuße hinunterziehen; hohe, starre , abenteuerlich geformte Felsenmassen unterbrechen nicht selten den Wald. Von manchen Kuppen schauen einsam und melancholisch die Ruinen alter Ritterburgen herab; gleich bei Warburg stolz der Desenberg, die Stammburg des alten Grafen und Freiherrngeschlechts der Spiegel zum Desenberg.

      Die Diemel entlang, ihrem Laufe folgend, fuhr die Bergchaise mit dem Domherrn von Aschen und seiner Begleiterin. Sie konnte nur langsam, nur im Schritt fahren; der Weg ging steil auf oder abschüssig abwärts, hing manchmal fast über dem Wasser, das über Hunderte von Fußen tief unter ihm rauschte, drängte sich dann wieder an starren Felsen und kantigen Abgründen vorbei.

      Nach ein paar Stunden wurde es eben; er war in ein weiteres Tal eingebogen; in dem Tale waren Weiden, Wiesen, Saatfelder; mitten dazwischen stand ein Haus.

      »Ovelgönne!« sagte der Domherr zu seiner Reisegefährtin. Er sprach das Wort leise und doch beinahe wie feierlich; die Stimme schien ihm zu zittern, versagen zu wollen.

      Dass er seine Reisegefährtin hierher bringen wollte, konnte es nicht sein, etwas anderes musste ihn bewegt, ergriffen haben.

      Die Frau Mahler bemerkte es wohl nicht. Sie war vor ihrem neuen Aufenthalts-, Bestimmungsort; das beschäftigte sie.

      Sie blickte zum Wagen hinaus.

      In der Weide gingen Kühe; in den Wiesen stand das Gras hoch und grün, rote und blaue Blumen blühten dazwischen; auf den Feldern wogte das Korn voll und dicht in der klarsten Sommerpracht.

      Eine kundige, tüchtige Hand musste hier überall walten, ordnen, leiten.

      Das zeigte auch Weiteres. Auf den Bergen, die das Tal auf dieser Seite der Diemel einschlossen, die also zu ihm gehörten, standen die Eichen mächtiger, die Buchen höher, als man sie auf dem ganzen Wege bis dahin gesehen hatte; man sah, wie die Waldung forstmäßig in Schläge eingeteilt war. Unten an seinem Fuße waren geordnete Holzablagen; das geschlagene Holz lag in abgemessenen Haufen aufgeschichtet; riesige Eichenstämme lagen daneben, teils schon behauen, teils noch unbehauen, um später zu der Diemel geschafft zu werden und in dieser als Flößholz bis Karlshafen und von da weiter, die Weser hinunter, in das Meer zu gehen.

      Das Herrenhaus lag an einem Gärtchen, in dem die Apfelbäume noch blühten, die Kirschbäume schon ihre rote Frucht trugen.

      Hinter dem Herrenhause erhoben sich Scheunen, Remisen, Stallungen, andere Nebengebäude.

      Überall herrschte Ordnung und Reinlichkeit.

      Das Herrenhaus selbst endlich war ein altes, wunderliches Gebäude, nicht groß und breit, aber hoch, das Dach spitz, die Mauern fast roh von grauen Feldsteinen aufgeführt, in den vier Ecken und in der Mitte hässliche runde Türme; die Fenster sparsam, schmal, ohne Ordnung und Symmetrie bald hier, bald dort, bald hoch, bald niedrig angebracht.

      Hatte die Pietät das plumpe, hässliche, aber alte und altertümliche Gebäude erhalten? Jedenfalls war es mit Liebe erhalten und mit Sorgfalt, mit jener ganzen Ordnung und Sauberkeit, die man rund umher wahrnahm.

      Das Tal war nicht groß und schloss sich schon nach vielleicht zehn bis zwölf Minuten wieder. Es war desto anmutiger.

      Die tiefste Stille herrschte neben jener Ordnung und Sauberkeit darin. Es war gegen fünf Uhr nachmittags, als die Chaise hineinfuhr. In den Feldern und Weiden waren nur wenige Menschen beschäftigt; die Saat war ja überall bestellt und die Zeit der Ernte noch nicht da. Nur hinten an den Holzablagen sah man fleißiges Treiben und hinten aus den Bergen und Wäldern tönten die Schläge der Axt und das Schrillen der Sage herüber. Die Waldvögel sangen lustig darein.

      Das waren die einzigen Laute, die man vernahm.

      In das alles schien so klar und hell die Sonne des Sommernachmittags hinein.

      Auch in das Innere der Frau Mahler hatte sich eine feierliche Stimmung gelegt. Sie sollte ja hier bleiben, in diesem sehr einsamen Tal, in dieser Stille der Natur und des Lebens, aber auch in dieser so sicher geordneten Geschäftigkeit.

      Der Domherr unterbrach ihr diese Stimmung, oder er unterbrach sie auch wohl nicht.

      »Meine Karoline ist hier Herrin!« sagte er.

      Und er sprach die Worte wieder mit fester und klarer Stimme, er sprach sie stolz, indem er stolz mit der Hand durch das Tal zeigte.

      Sie kamen an dem Herrenhause an.

      Es war ihnen unterwegs niemand begegnet. Auch vor dem Hause waren keine Leute.

      Der Domherr sah nach einem der schmalen Fenster in den hohen grauen Mauern hinaus. Es stand offen; man sah schneeweiße Vorhänge hindurch, auf dem Gesimse blanke Blumentöpfe mit blühenden Hyazinthen, Rosen und Nelken.

      Die Augen des Domherrn suchten etwas anderes.

      »Sie ist nicht da!« sagte er. »Sollte sie nicht zu Hause sein?«

      Die Chaise hielt vor dem Hause, an einem der dicken runden Türme, der in der Mitte der Vorderfronte stand.

      Durch ihn gelangte man in das Haus. Das Eingangstor war roh wie der Turm, aber eng; ein Wagen konnte nicht hindurchfahren.

      Der Domherr sprang aus der Chaise.

      Man hatte im Innern des Hauses die Ankunft des Wagens gehört.

      In der Tür erschien eine alte Frau.

      Sie erkannt den Domherrn.

      »Herr des Himmels! Euer Gnaden!« rief sie.

      Ihre Augen leuchteten.

      »Ist die Mamsell zu Hause?« fragte der Domherr.

      »Die wird sich freuen!« jubelte die Frau. »Die hat sich um Euer Gnaden gebangt. Sie waren im vorigen Sommer nicht gekommen, auch keine Nachricht von Ihnen. Wir wussten nicht, ob Sie lebten oder tot waren. Die arme Mamsell weiß es noch nicht —«

      »Ist die Mamsell zu Hause, Alte?« wiederholte der Domherr.

      »Sie ist ausgefahren.«

      »Wohin?«

      Er erhielt keine Antwort.

      Die alte Frau hatte die fremde Frau gesehen, das Kind. Sie stand erstaunt, fast betroffen. Man sah ihr an, wie sie sich fragte: Wie kommt der alte Herr zu der Frau mit dem Kinde? Und was soll sie hier? Was soll die Mamsell mit ihr, nach der er so hastig, so dringend fragt?

      »Alte, wohin ist die Mamsell Karoline?« rief der Domherr.

      Karoline, seine Karoline, die hier Herrin war, seine vortreffliche Karoline mit

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