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Dr. Daniel auf die Blätter, las die Worte, ohne sie wirklich zu verstehen, und begriff nur eines: Dieser Vertrag hätte ihn gezwungen, Steinhausen zu verlassen und die Klinik in Trier zu übernehmen! Und plötzlich begriff er auch die Worte, die er gehört hatte, als Linda vorhin telefoniert hatte: »Schließlich habe ich ihn gestern ganz schön betrunken gemacht, um ihm die Unterschrift abzuluchsen.«

      »Was bist du nur für ein übles Ungeheuer«, stieß Dr. Daniel hervor. »Meine Güte, man sollte den armen Kortek vor dir warnen.«

      Lindas Gesicht erstarrte zu Eis. »Versuch es, und ich werde dich zerstören – dich und deinen Sohn.«

      Dr. Daniel winkte angewidert ab. »Glaubst du wirklich, ich habe ein Interesse daran, dir etwas anzutun? Irgendwann wird Kortek schon von allein draufkommen, was er sich mit dir eingehandelt hat, und ich hoffe für ihn, daß er es noch rechtzeitig erkennen wird.« Dann drehte er sich um, doch er ging nur wenige Schritte, bevor er noch einmal zu Linda zurückblickte. »Nur eines möchte ich noch von dir wissen: Bist du wirklich mit Christine verwandt, oder war das auch nur eine von deinen vielen Lügen?«

      »Sie war meine Kusine, aber ich habe sie nicht ein einziges Mal gesehen«, antwortete Linda gelassen. »Unsere Mütter waren restlos zerstritten, und wir hatten nie Kontakt zueinander. Ich erfuhr erst durch meinen Privatdetektiv, daß Christine mit dir verheiratet war.« Sie zuckte die Schultern. »Dieser Umstand kam mir natürlich sehr gelegen, und mit der richtigen Haarfarbe, ein bißchen Schminke an den rechten Stellen und ein wenig Übung vor dem Spiegel ließ sich eine gewisse Ähnlichkeit ja auch leicht herstellen.«

      Für einen Augenblick hatte Dr. Daniel das Gefühl, vor Schmerz aufschreien zu müssen. Er war Opfer eines grausamen Betrugs geworden, und das Schlimmste an allem war, daß er diese kalte, berechnende Frau wirklich geliebt hatte.

      Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte sich Dr. Daniel um und ging mit langen Schritten den Weg zu seiner Hütte hinauf. Daß seine Skier noch immer beim Schwarzen Adler standen, kümmerte ihn nicht, besser gesagt, er hatte es völlig vergessen. Der Schmerz, der in seinem Herzen tobte, war viel zu groß, als daß er irgendeinen Gedanken an solche Banalitäten wie seine Skier hätte verschwenden können.

      Als Dr. Daniel die Hütte betrat, erkannte er auf den ersten Blick, daß Lindas Sachen nicht mehr hier waren. Während er unten im Ort nach ihr gesucht hatte, mußte sie offenbar hier oben gewesen sein und ihren Koffer gepackt haben. Allerdings war Dr. Daniel jetzt ganz froh darüber. Er hätte es nicht ertragen, dieser Frau noch einmal zu begegnen.

      Niedergeschlagen setzte sich Dr. Daniel an den Tisch. Das Kaminfeuer war längst erloschen. Es war kalt in der Hütte, doch Dr. Daniel bemerkte es nicht. Die Kälte in seinem Herzen war weit schlimmer.

      Sein Blick fiel auf die liebevoll ausgesuchte Tanne, die zusammengebunden in einer Ecke des Raumes lehnte. In diesem Moment brach alles über Dr. Daniel herein. Morgen war Heiligabend! Morgen hätte er sich mit Linda verloben wollen, doch jetzt…

      Abrupt sprang Dr. Daniel auf. Er konnte nicht länger hierbleiben! Das Weihnachtsfest, das er so romantisch mit seiner großen Liebe hatte feiern wollen, nun hier oben allein zu verbringen – nein, das würde weit über seine Kräfte gehen.

      In fliegender Hast packte Dr. Daniel seinen Koffer, bis ihm einfiel, daß er und Linda ja in ihrem Wagen gekommen waren. Das bedeutete, daß er hier festsaß, denn er hatte keine Ahnung, wie die Bus- und Zugverbindungen heute nacht und morgen aussehen würden.

      Spontan verließ er die Hütte und machte sich erneut auf den Weg in den Ort hinunter. Seinen Koffer nahm er gleich mit und stellte ihn schließlich im Schwarzen Adler ein. Von hier aus konnte er dann auch gleich telefonieren. Im ersten Moment hatte er daran gedacht, sich ein Taxi zu bestellen und damit nach Steinhausen zu fahren. Das wäre zwar ein ziemlich teures Vergnügen, doch im Augenblick hätte Dr. Daniel beinahe alles getan, um nur von hier wegzukommen.

      Doch als er den Telefonhörer in der Hand hielt, zögerte er auf einmal. Und dann wählte er die Vorwahl von Deutschland und an-schließend die Nummer seiner Vil-la.

      »Daniel!«

      Dr. Daniel atmete auf, als er die Stimme seines Sohnes vernahm.

      »Stefan, ich bin’s«, gab er sich zu erkennen.

      »Papa! Das ist aber eine Überraschung!« Man hörte Stefan an, daß er sich ehrlich freute. »Wie geht’s dir? Habt ihr schönes Skiwetter?«

      Dr. Daniel ging auf seine Fragen gar nicht ein. »Bitte, Stefan, holst du mich ab?«

      Im selben Moment begriff Stefan. »Papa, was ist passiert?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf, als könnte sein Sohn das sehen. »Nicht jetzt, Stefan. Bitte, Junge, hol mich ab.«

      »Natürlich, Papa«, versprach Stefan sofort. »Wo bist du jetzt?«

      »Im Schwarzen Adler. Ich warte hier auf dich, dann können wir gleich…« Er stockte. »Nein, das wird zuviel für dich.«

      »Geh wieder in die Hütte hinauf, Papa. Wir übernachten dort, und morgen früh fahren wir dann heim, einverstanden?«

      Der Gedanke, noch einmal in seine Hütte zurückzukehren, wo er mit Linda so glückliche Stunden verlebt hatte, begeisterte Dr. Daniel nicht gerade. Andererseits konnte er seinem Sohn nicht zumuten, in derselben Nacht die weite Strecke auch noch ein zweites Mal zu fahren.

      »Ja, Stefan, ich bin einverstanden.«

      »Ich beeile mich, Papa«, versprach Stefan, weil er sogar auf diese Entfernung und durchs Telefon spürte, wie niedergeschlagen sein Vater sein mußte. »Keine Sorge, du wirst nicht lange allein sein.«

      *

      Unmittelbar nach dem Telefongespräch mit seinem Vater schlüpfte Stefan in seine Winterjacke.

      »Ich muß sofort ins Zillertal!« rief er seiner Tante noch zu, und schon war er weg. Doch bereits als er im Auto saß, begann er fieberhaft zu überlegen. Zwischen seinem Vater und Linda war es allem Anschein nach zu einem Bruch gekommen. Nur das hatte Dr. Daniel veranlassen können, zu Hause anzurufen, um sich abholen zu lassen. Wegen eines harmlosen Streits hätte er das sicher nicht getan. Außerdem hatte Stefan ja sogar durchs Telefon gehört, wie niedergeschlagen sein Vater war, und das würde sich bestimmt nicht bessern, wenn er jetzt ins Zillertal fahren und ihn abholen würde.

      Was Papa braucht, ist ein Freund, dachte Stefan. Einer, der ihn ablenkt, mit dem er über alles, was geschehen ist, sprechen kann. Mit mir kann er das nicht. Ich bin sein Sohn. Sicher würde er sich schämen, mit mir über so intime Dinge zu sprechen.

      Für einen Augenblick dachte Stefan an Dr. Sommer. Der war immerhin Dr. Daniels bester Freund, aber trotzdem verwarf Stefan diesen Gedanken wieder. Und dann fuhr er kurzerhand zum Haus von Manon Carisi. In wenigen Worten schilderte er der Ärztin, was seiner Meinung nach in etwa geschehen sein mußte, und Manon überlegte keine Sekunde. Sie packte einen Koffer, schnallte die Skier auf ihr Auto und fuhr los. Zufrieden sah Stefan ihr nach. Er war sicher, daß er das Richtige für seinen Vater getan hatte.

      *

      Dr. Daniel saß in seiner Hütte und starrte trübsinnig vor sich hin. Er hatte im Kamin wieder Feuer gemacht, doch es vermochte ihn nicht zu wärmen. In seinem Innern war alles kalt und leer. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Herz gebrochen und würde niemals wieder heilen.

      Das Klopfen an der Tür ließ ihn erschrocken hochfahren, und für ein paar Sekunden überkam ihn die unsinnige Hoffnung, all das Schreckliche, was er mit Linda heute erlebt hatte, sei gar nicht wahr. Vielleicht stand sie da vor der Tür, um ihm zu sagen, daß sie ihn liebte und…

      Gewaltsam schüttelte Dr. Daniel diesen Gedanken ab. Es war völliger Unsinn, an so etwas noch zu glauben. Sein später Besucher konnte ja eigentlich nur Stefan sein, allerdings erstaunte es Dr. Daniel schon ein wenig, daß er nicht einfach hereinkam.

      Mit einem tiefen Seufzer stand er auf und öffnete die Tür.

      »Manon!« stieß er überrascht hervor, dann überzog verlegene Röte sein Gesicht. »Manon, wie… wie

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