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lastete auf den Ruinen von Karakorum. Unbarmherzig brannte die Sonne auf die tausendjährigen Überreste der alten Mongolenstadt nieder. Zerfallen waren die alten Paläste, in Trümmern lagen die Häuser. Nur noch wenige ärmliche Ansiedler hausten in den Überbleibseln der einstigen großen Hauptstadt.

      Außerdem noch die Gefangenen Collin Camerons.

      Als damals Wellington Fox in Urga auftauchte, wußte Cameron sofort, daß der Aufenthalt der Witthusens entdeckt sei, daß Freunde am Werke wären, sie zu befreien. Ein anderer sicherer Ort mußte für sie gefunden werden, und Cameron verfiel auf die alte Thingstätte der Mongolen auf Karakorum. Hier, in der Schamowüste, fern von allen Städten, von allem Verkehr … des war er sich sicher … würde sie so leicht niemand suchen und finden.

      Noch in der Nacht nach der Gefangennahme von Wellington Fox war eine Karawane aus Urga nach dem Südwesten aufgebrochen, war viele Tage hindurch nach dem Südwesten gezogen und hatte die Gefangenen nach Karakorum geschafft.

      Seit vielen Jahrhunderten war die Stadt ein Trümmerhaufen. Aber unter den Ruinen gab es auch weniger verfallene, unter den weniger verfallenen einige wenige, die noch erhalten und zur Not bewohnbar waren. Einen solchen Bau hatte Collin Cameron für seine Gefangenen bestimmt. Die Wärter, die er ihnen mitgab, die würden sich auch nicht bestechen lassen. Dessen glaubte er sicher zu sein. Hatte er sie zur größeren Sicherheit doch erst noch den schmerzvollen Tod jenes bestochenen Wärters in Urga mit ansehen lassen, bevor die Karawane aufbrach.

      Wellington Fox ging mit langen Schritten rastlos in dem von einer hohen Mauer umgebenen Hofe ihres neuen Gefängnisses im Kreise entlang. Er hätte den Weg auch mit geschlossenen Augen finden können, so oft war er ihn in diesen letzten Tagen schon gelaufen.

      Hundertfünfzig Schritte in der einen Richtung, wenn er linksherum ging … hunderteinundfünfzig Schritte in der anderen Richtung, wenn er den Kreis an den Mauern und Wänden rechtsherum lief.

      Diese Differenz von einem Schritt zwischen den beiden Richtungen schuf ihm unaufhörliches Nachdenken … und dieses Denken zusammen mit der körperlichen Bewegung des Rundganges hielt ihn frisch, bewahrte ihn vor jener trostlosen Erschlaffung, der Theodor Witthusen zu erliegen drohte.

      Heiß und immer heißer brannte die Sonne. In einem schattigen Winkel des Hofes hatte sich Witthusen einen Feldstuhl hingerückt, saß dort und dämmerte vor sich hin.

      Wellington Fox spazierte und zählte dabei:

      »… Hundertneunundvierzig … hundertfünfzig … hunderteinundfünfzig … Herrgottshimmeldonnerwetter, wie ist denn das möglich … es bleibt bei der unerklärlichen Differenz von einem Schritt … All right … versuchen wir es noch einmal in der anderen Richtung.«

      Auf dem linken Absatz vollführte er eine energische Kehrtwendung. Doch bevor er den Marsch in der anderen Richtung wieder antrat, blieb er erst kurze Zeit stehen, zog das Tuch und trocknete sich den strömenden Schweiß von der Stirn.

      Dann ging er wieder los und begann mechanisch die Schritte zu zählen.

      »… Eins … zwei … drei …«

      Er blieb nicht lange beim Zählen. Seine Gedanken begannen wieder zu arbeiten. Im Selbstgespräche murmelten seine Lippen:

      »Geschieht dir ganz recht, Fox! Warum bliebst du nicht ruhig in deinem Versteck? …Warum mußtest du vorzeitig zu dem Hause laufen? …Wärst du daheim geblieben, hätte dich der Schuft, der Cameron, nicht gesehen … alles wäre geglückt.«

      Während er die Worte wütend hervorstieß, kam er auf seinem Rundgang gerade an der Stelle vorüber, an der Witthusen im Schatten saß. Er blieb stehen und trocknete sich von neuem die Stirn.

      »Eine schauderhafte Hitze, Herr Witthusen …Bessere Vorbereitung für die Hölle …Wie erträgt Ihre Tochter die tropische Hitze?«

      Mit einer matten Bewegung hob Witthusen den Kopf.

      »Sie bleibt fast den ganzen Tag in ihrem Zimmer. Sie leidet und hofft …«

      »Hofft? …Hofft sie auch, daß Isenbrandt uns schließlich auch hier entdecken und dem gelben Gesindel entreißen wird?«

      »Sie hofft, Herr Fox …wir alle hoffen …auch andere Freunde bemühen sich um uns. Mr. Cameron ist in Peking und wird alles tun, um unsere Freilassung …«

      »Mr. Cameron!«

      Scharf und hart war Fox dem Alten ins Wort gefallen.

      »Mr. Cameron! …Sie glauben, daß er …«

      Jäh brach Wellington Fox seine Rede ab. Was hatte es für einen Zweck, sich mit Witthusen über Cameron zu unterhalten. Mochte der alte Mann die Hoffnung hegen …eine Hoffnung, die ihn immerhin aufrechthielt, den seelischen und damit auch den körperlichen Zusammenbruch zum mindesten aufschob.

      »Also hoffen wir, Herr Witthusen! … Hoffen wir. Jeder Tag kann schließlich die Befreiung bringen.«

      Wellington Fox machte sich wieder auf den Marsch. Er marschierte, er fluchte auf die Hitze, auf die Gelben, auf Collin Cameron, und er erhielt sich durch diese doppelte Bewegung eine gute Elastizität.

      Jetzt blieb er stehen und betrachtete kopfschüttelnd den Himmel. Dessen stahlblauer Glanz begann einem verwaschenen Grau zu weichen. Schon schoben sich leichte Schleier vor die Sonne und milderten die Hitze.

      Wellington Fox marschierte weiter. Die Viertelstunden verrannen und summten sich zu einer Stunde. Jetzt war der ganze Himmel nur noch ein einziges dunkles Grau. Ein leichter Luftzug bewegte die Zweige der wenigen halbvertrockneten Bäume jenseits der Hofmauer.

      Vor Witthusen machte Wellington Fox wieder halt.

      »Sehen Sie den Himmel, Herr Witthusen?«

      Der Alte blickte empor.

      »Ich sehe … Regenhimmel? … Wolken! … In dieser Zeit … Wolken über Karakorum … Wolken hier in der Wüste, in der es oft jahrelang nicht regnet … das verstehe ich nicht, Herr Fox.«

      Wellington Fox streckte die Hand aus und wartete. Er wartete, und seine Lippen murmelten. Ich glaube, ich verstehe es … Wolken über Karakorum … Wollen über der Gobiwüste …

      Die ersten Tropfen waren ihm auf die Hand gefallen.

      »Regen, Herr Witthusen! … Dicke Tropfen! Es regnet in der Wüste!«

      Verständnislos blickte Witthusen auf die Hand von Fox.

      »Regen … Regen, hier in der Wüste … ich weiß nicht, wie es möglich ist … ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat.«

      Wellington Fox streckte beide Hände in das stärker fallende Naß. Dann vollführte er einen Luftsprung, der dem alten Kaschgarier Witthusen ein Lächeln entlockte.

      »Hat Ihnen der Wüstenbrand so zugesetzt, daß der kühle Regen Sie zu solchen Freudensprüngen veranlaßt?«

      Wellington Fox konnte nicht sofort antworten, weil er durch einen neuen Freudentanz vollkommen in Anspruch genommen war.

      »Hurra! … Bravo!« rief er abwechselnd ein ums andere Mal.

      »Der Regen …«, sagte er endlich, erschöpft stehenbleibend. »… Mann … Witthusen! … Wissen Sie auch, wo der Regen herkommt?«

      Witthusen blickte ihn stumm fragend an.

      »Von Isenbrandt kommt er! … Isenbrandts Werk ist das!«

      »Ich verstehe Sie nicht, Herr Fox.«

      »… Und ich möchte Ihnen vorläufig nicht mehr sagen … Nur das eine noch, Isenbrandt ist auf unserer Spur!«

      Stärker rauschte der Regen jetzt hinab. Ein starker strähniger Landregen, wie ihn die Wüste hier seit Menschengedenken kaum gesehen hatte. Er zwang die Männer, das schützende Dach aufzusuchen.

      Wellington Fox trat als erster ins Haus.

      Maria Witthusen lag auf einem dürftigen Ruhebett.

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