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Ohne auf eine weitere Reaktion des Vorführers zu warten, eilt Jens zum vermeintlich zukünftigen Kollegen. Carl stapft kopfschüttelnd zur Tür des nächstgelegenen Vorführraums. Über die Wendeltreppe gelangt er zum laufenden Projektor. Routiniert wirft er einen Blick auf den Filmteller, inspiziert den Projektor und blickt einen Moment durch das Guckloch auf die Leinwand. Der Filmstreifen läuft ruhig und gleichförmig durch die Mechanik.

      Während Carl über den Catwalk schlendert, beobachtet er von oben, wie sich Jens angeregt mit dem Techniker unterhält. Im Regieraum trifft er auf Igor, der die Spätvorstellungen in den Sälen der oberen Ebene betreut. „Servus! Alles klar in deinen Kinos?“

      „Alles gut!“, erwidert Igor in seinem eigentümlichen, slawischen Akzent.

      „Wunderbar!“

      „Zwölf ist fertig.“ Igor deutet mit einem Finger auf die Monitore.

      „Hab’s schon gesehen. Einer vom Verleih ist gerade rausgekommen. Solange Jens dem Typen die Ohren blutig quatscht, warte ich lieber hier.“

      „Quälgeist gehört in Büro, nicht in Foyer.“

      * * *

      Leonard wartet bis Carl die Filmkopie im Metallschrank verstaut, bevor er dessen Türen mit Sicherheitsetiketten versiegelt. „Das war der letzte Film für heute“, stellt Leonard erleichtert fest. Carl pflichtet ihm kopfnickend bei. Er schaltet die Technik im Vorführraum mit routinierten Handgriffen aus. Leonard beobachtet ihn von der obersten Stufe der Wendeltreppe. „Ab wann bist du im Kino, Carl?“

      „Meine Schicht beginnt um 17 Uhr. Schließlich haben wir in der Vorführung eine lange Nacht vor uns, falls wir alle Filmkopien zerlegen müssen.“

      „Das befürchte ich ebenfalls.“ Die beiden gehen gemeinsam die Treppe hinunter. „Wir sehen uns morgen. Gute Nacht!“, verabschiedet sich Leonard an der Tür.

      „Gute Nacht.“

      Carl sperrt die Tür hinter dem Asiaten ab, hetzt die Wendeltreppe nach oben, verlässt den Vorführraum über den Catwalk und eilt möglichst geräuschlos zum Regieraum. Dort herrscht mittlerweile gespenstische Stille. Er schaltet nacheinander die Überwachungsmonitore aus, die nur noch dunkle Kinosäle zeigen. Die Luft ist warm und stickig, da die Klimaanlage in den Nachtbetrieb gewechselt hat. Eilig schaltet Carl einige Geräte im angrenzenden Vorführraum wieder ein. Aus dem Werkzeugregal holt er ein Etui mit Inbusschlüsseln. Behutsam öffnet er mit dem passenden Werkzeug die Seitenwand des Metallschranks, in dem sich die Premierenkopien befinden. Vorsichtig schiebt er das Seitenteil ein wenig nach hinten, sodass er an die Schrauben kommt, die die Frontpartie mit der Tür am Metallrahmen fixieren. Nachdem er die Schrauben sorgfältig gelöst hat, hebt er die Verkleidung inklusive der Türen mit den Siegeln nach oben weg. Problemlos kann er nun die Filmkopie entnehmen. Er legt die Premierenkopie auf eine Telleranlage. Mit ruhiger Hand fädelt er den Film in den dazugehörigen Projektor ein. Nachdem dieser startbereit ist, sieht Carl auf die Uhr. Unruhig wiegt er den Kopf hin und her. Nach kurzem Zögern beschließt er, den Vorführraum zu verlassen. Gelassen folgt er der Treppe und den Gängen zur untersten Ebene der Tiefgarage. Die Neonbeleuchtung im Treppenhaus ist erloschen, doch ihm reicht der grüne Schimmer der Notbeleuchtung völlig aus, um sich im Gebäude zu orientieren. Vor einer grauen Stahltür mit Warnhinweis bleibt er stehen. Er legt seine Hand auf den Türgriff, drückt ihn aber nicht nach unten, sondern lauscht für einen Moment. Nachdem er sich absolut sicher ist, dass auf der anderen Seite nichts zu hören ist, öffnet er langsam die Tür. Carl blinzelt mehrmals, da er von den Neonleuchten des Parkdecks geblendet wird. Eilig schlüpft er durch die Tür Richtung Audi. Er vermeidet jedoch den direkten Weg zum Wagen. Er umgeht die Kameras, die die Zufahrt zur Parkebene überwachen. Ungeniert huscht er an den geparkten Fahrzeugen vorbei, bis er am A4 angekommen ist. Ohne Zeit zu verlieren, holt Carl die Ausrüstung aus dem Kofferraum. Er sieht sich nochmals um. Erst dann eilt er zurück zur Stahltür. Erneut durchquert er das grün schimmernde Labyrinth des Gebäudekomplexes, bis er vor der Tür des Vorführraums steht. Auch hier hält er inne und lauscht. Stille! Er öffnet die Tür.

      Zielstrebig geht er zum Filmprojektor. Carl montiert die Videokamera auf dem Stativ, damit sie durch das Guckloch die Leinwand erfasst. Er schließt das PowerBook an der nächsten Steckdose an. Per FireWire verbindet er die Kamera. Er betreibt diese ebenfalls mit dem Netzteil an einer Steckdose. Glücklicherweise hat Vincent daran gedacht, das internationale Adapterset mitzubringen. Er zieht noch ein langes Audiokabel mit vergoldeten Steckern aus dem Rucksack, das er an der Soundanlage des Kinos anschließt. Nachdem alles verkabelt ist, schaltet Carl die Saalbeleuchtung auf halber Stärke ein und öffnet den Vorhang. Sorgfältig justiert er die Kamera. Nach wenigen Momenten löscht er das Licht und beginnt die Aufzeichnung auf dem Laptop. Er startet den Projektor. Im Gegensatz zu einer normalen Vorführung öffnet er dessen Blende sofort, damit er das Startband mit dem Countdown aufnehmen kann. Zufrieden lehnt er sich zurück. Seelenruhig verfolgt Carl den Mitschnitt auf dem PowerBook.

      0b0000011: [Piratenschatz]

      Ungeduldig nimmt Brigitta ihrem Freund das PowerBook ab, während er den Rucksack mit der übrigen Kameraausrüstung auf der Werkbank abstellt. Sie schließt den Laptop direkt am Power Mac an und lädt die Aufnahme sogleich in das Videoschnittsystem. Unterdessen holt Carl eine Afri Cola aus dem Kühlschrank. Er küsst seine Freundin zärtlich auf den Nacken. Sie windet sich zur Seite. „Lass das!“

      „Okay“, entgegnet Carl traurig. Er setzt sich, öffnet die Flasche und genießt einen Schluck. Sie klickt in der Software herum, bis ein Fortschrittsbalken erscheint. Erst jetzt entspannt sie ihren Körper und schmiegt sich an ihn. Da die beiden gebannt auf den Fortschrittsbalken starren, der sich nur langsam bewegt, greift sie nach seiner Hand. Er erwidert die Geste, indem er den Arm zärtlich um sie legt. „Wie ist der Film?“

      „Geht so. Ist eine Romantic Comedy.“

      Brigitta legt ihren Kopf auf Carls Schulter. „Auf Romantik hätte ich jetzt auch Lust.“

      „Geht mir genauso!“ Carl streichelt ihr sanft über die Wange. „Wir sind bald in Prag, da gönnen wir uns dieses Mal ein wenig Romantik neben der Arbeit.“

      „Hm!“, seufzt Brigitta. „Ich dachte mehr an schöne Stunden zu zweit.“

      „Die können wir uns auch hier machen.“ Zärtlich küsst er sie auf die Stirn. Brigitta legt die Arme um Carl, um sich an ihm festzuhalten, während er sie hochhebt. Mühelos trägt er seine Freundin ins Schlafzimmer.

      Sie streift das Sweatshirt, das ihr ohnehin viel zu groß ist, vom sonst nackten Körper. Während Carl damit beschäftigt ist, sich der Socken und Shorts zu entledigen, schlüpft sie unter die Satinbettdecke. Er folgt ihr von der Bettkante, um das Liebesspiel mit Küssen auf ihr Bäuchlein und die flachen Brüste zu beginnen. Brigitta antwortet auf die Liebkosungen mit kindlichem Gekicher.

      * * *

      Das Licht des Röhrenmonitors taucht den Computerraum in ein gespenstisches Halbdunkel. Die kurzen schwarzen Haare sind zerzaust und die Müdigkeit steht Carl ins Gesicht geschrieben. Sorgfältig bearbeitet er die Aufnahme aus dem AmphiPlex. Brigitta betritt schlaftrunken das Arbeitszimmer. „Kann nicht mehr schlafen.“

      „Sorry, mein Engel.“

      „Halb so schlimm! Hab sowieso Sehnsucht nach dir.“ Sie setzt sich, nur mit einem von Carls T-Shirts bekleidet, an den Schreibtisch. Brigitta bemerkt in der Spiegelung des Monitors, dass ihre Haare ungebändigt in alle Richtungen abstehen. Hastig greift sie zu einigen orangeroten Haarspangen. Erst nachdem sie mit dem Spiegelbild im Monitor zufrieden ist, schaltet sie ihn ein. Beinahe unterbewusst kontrolliert sie E-Mails, öffnet verschiedene Chatkanäle im IRC und wirft einen gelangweilten Blick in die abonnierten Newsgroups. „Brauchst du lange?“

      „Bin gleich fertig, obwohl ich das Gefühl habe, dass Audio und Video nicht synchron laufen.“

      Brigitta fährt ihm liebevoll durch die zerzausten Haare. „Du Perfektionist!“

      „Stimmt überhaupt nicht!“, beschwert er sich. „Ich will

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