Скачать книгу

      Carls Kollege fährt mit dem Finger unbeholfen über das Blatt. „Mist! Das habe ich überlesen.“

      „Kannst dir das Putzen also sparen.“

      Frustriert schleift der Servicemitarbeiter den Müllsack zum Gang. „Tust mir einen Gefallen?“

      „Welchen?“

      „Verrate Niklas bitte nicht, dass ich die Fußnote übersehen habe! Der hält mich sonst für total bescheuert. Ich will deswegen nicht durch die Probezeit fallen.“

      „Warum sollte ich ihm davon erzählen?“, Carl zuckt mit den Schultern. „Ich bin Vorführer. Niklas ist daher herzlich egal, was ich über Serviceleute denke.“

      „Was ist, wenn er trotzdem fragt, was ich so lange im Kino gemacht habe?“

      „Sag ihm einfach, dass ich dich gebeten habe, mir bei etwas zu helfen.“

      „Und wenn er nachfragt, ob ich die Wahrheit erzählt habe?“

      „Dann wird er von mir erfahren, dass du mir bei etwas geholfen hast.“

      „Danke!“

      Carl geht über die Wendeltreppe nach oben in den Vorführraum. Eilig reinigt er den Filmprojektor, bevor er die frisch gekoppelte Premierenkopie einlegt. Mit geschickten Fingern fädelt er den Filmstreifen durch das Gewirr der Umlenkrollen von der Filmtelleranlage zum Projektor und von dort wieder zurück. Sorgfältig kontrolliert er anschließend jede einzelne Rolle, damit der Film bei der Vorführung nicht beschädigt wird. Nachdem er mit der Arbeit zufrieden ist, eilt er über die Wendeltreppe hinunter ins Foyer. Dort angekommen öffnet er die Saaltür und winkt Leonard mit seinen Leuten zu sich. „Wir können anfangen.“

      „Dann lassen Sie uns den Film starten!“, bittet Monique. Carl dimmt das Licht an der Schalttafel im Saal, dreht den Ton auf und startet den Projektor über die Fernsteuerung. Nach wenigen Sekunden erscheint die Schutzmarke des Filmverleihs auf der Leinwand. Die Anwesenden warten auf den Beginn der Handlung. Als aus den Lautsprechern schließlich die ersten Worte auf Englisch erklingen, spürt Carl die Erleichterung aller Beteiligten. Leonard tritt an ihn heran. „Lass uns den nächsten Saal vorbereiten.“

      Gemeinsam schleichen die Männer durch die Lichtschleuse zurück ins Foyer. Dort strömen unterdessen zahllose Besucher aus den Sälen. Einige drängen zu den Toiletten, andere warten auf ihre Begleiter, doch die meisten eilen in Richtung Tiefgarage oder zur benachbarten S-Bahnhaltestelle. Die Servicekräfte des AmphiPlex flankieren geduldig die breite Treppe, um diese mit blauen Kordeln von der oberen Ebene des Kinos abzutrennen. Zielstrebig bewegen sich die beiden Männer gegen den Besucherstrom durch das Foyer. Carl sperrt die Tür zum Vorführraum auf. Hintereinander gehen sie über die Wendeltreppe nach oben.

      Leonard folgt den flinken Handbewegungen am Filmprojektor mit stoischem Gesichtsausdruck. „Du hast geübte Finger“, lobt er.

      „Danke! Ich mache den Job schon eine Weile.“

      „Wie lange bist du Filmvorführer?“

      „Etwas über vier Jahre.“

      „Ich hätte auf mehr getippt.“

      „Warum?“

      „Du hast viel Routine und man merkt dir die Begeisterung an der Arbeit an.“

      „Es geht so, was die Begeisterung betrifft, aber das AmphiPlex ist ein guter Platz zum Jobben.“

      Leonard sieht auf seine Armbanduhr. „Wir sollten nach den Kollegen sehen, damit wir den Saal starten können.“

      * * *

      Das Foyer des AmphiPlex ist mittlerweile nahezu menschenleer. Niklas inspiziert die blauen Kordeln vor der Treppe, als ihn Leonard zu Kinosaal 11 winkt. Gemeinsam wartet dieser mit Carl auf Monique, um die letzte Sichtung des Abends zu starten. „Womit kann ich Ihnen dienen?“, fragt Niklas betont höflich.

      „Wenn ihr wollt, könnt ihr euch den Film ansehen“, lädt Leonard die beiden Kinomitarbeiter ein.

      „Danke. Ich muss leider noch arbeiten“, entschuldigt sich Niklas.

      „Wie sieht es mit dir aus, Carl?“

      „Nicht mein Film, wenn ich ehrlich bin. Ich bleibe außerdem lieber oben im Regieraum für den Fall, dass es in einem der Säle Probleme gibt.“

      Leonard nickt ihm verständnisvoll zu. Wie zuvor startet Carl den Projektor über die Fernsteuerung. Nachdem sich Monique bei ihm bedankt hat, verlässt er den Saal Richtung Foyer. Dort bemerkt er Jens. Dieser eilt sofort zu ihm. „Wie läuft’s?“

      „Bisher hat sich niemand beschwert.“

      „Wunderbar! Dann wird das morgen eine großartige Filmpremiere.“

      Carl deutet auf einen leeren Schaukasten.

      „Die Filmplakate bekommen wir per Over-Night-Kurier.“

      „Dann wird bestimmt alles gut.“

      „Du bist nicht sonderlich enthusiastisch? Du solltest bei solchen Events etwas mehr Begeisterung zeigen!“

      „Das ist doch nur ein Kinofilm“, Carl zuckt mit den Schultern, „der in zwei Wochen in jedem Kino läuft.“

      „Das stimmt zwar, aber wir zeigen ihn als Allererste! Denk doch an die Werbung, die solch eine Premiere für unseren Filmpalast bedeutet.“

      „Ist nicht gerade so, dass der Verleih eine große Auswahl in München hat, wenn er sechzehn Säle bespielen möchte.“

      Jens tritt einen Schritt zurück, um Carl, der ihn deutlich überragt, zu mustern. „Ich muss dir ein kleines Geheimnis verraten, weshalb ich bei dieser Premiere so aufgeregt bin!“

      „Okay?“ Carl schaut Jens mit leerem Gesichtsausdruck an.

      „Ich habe mich beim Verleih auf eine Stelle als Disponent beworben. Aufgrund meiner bisherigen Tätigkeit im AmphiPlex stehen die Chancen gut, dass ich genommen werde.“

      Carl runzelt die Stirn, doch sein Gesicht bleibt ausdruckslos.

      „Das scheint dich nicht sonderlich zu beeindrucken?“

      „Ich verstehe deine Begeisterung nicht.“

      Jens holt tief Luft und geht zwei Schritte auf Carl zu. „Weißt du denn nicht, was das für mich bedeutet?“, fragt er mit gedämpfter Stimme. Carl schüttelt den Kopf. „Das bedeutet, dass ich einen echten Job in der Filmbranche habe. Etwas wovon fast jeder träumt, der hier im Kino anfängt!“

      „Das ist aber nur ein Verleiher und keine Filmproduktion“, kontert Carl.

      „Das stimmt zwar, doch der Verleih gehört zu einem Global Player! Dort habe ich viele Möglichkeiten, innerhalb des Konzerns Karriere zu machen. Vielleicht schaffe ich es sogar in eine der internationalen Produktionsfirmen, falls ich hart genug arbeite.“

      „Wäre es nicht einfacher, an der Filmhochschule zu studieren?“

      Jens bricht in hämisches Gelächter aus. „Der ist wirklich gut!“ Er wischt sich einige Tränen aus den Augen. „Nein im Ernst, welche Chance hat man, wenn man in Deutschland Film studiert? Glaubst du etwa, ich will beim ZDF für irgendeinen Heimatkitsch verantwortlich sein?“ Jens schüttelt energisch den Kopf.

      Carl zuckt mit den Schultern.

      „Nein. Ich habe Größeres vor! Du wirst schon sehen. Noch ein paar Wochen hier und dann startet meine Karriere beim Film richtig durch!“

      „Ich wünsche dir viel Erfolg.“

      „Danke, danke! Den werde ich haben“, erklärt Jens, der dabei leichtfüßig auf den Zehenspitzen umhertänzelt.

      „Ich muss jetzt aber wirklich hoch in den Regieraum.“

      „Natürlich“, bestätigt Jens, der im selben Moment bemerkt, dass ein Mitarbeiter des Verleihs aus einem der Säle heraustritt.

Скачать книгу