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be­glei­ten.«

      Ama­lia schwieg und nick­te. Mit dem Hand­rü­cken wisch­te sie sich den Rotz von der Ober­lip­pe, be­vor sie vom Zaun sprang. Dann schob sich ih­re kleb­ri­ge Hand in die Ma­ri­as. Ma­ria ließ es ge­sche­hen, oh­ne mit der Wim­per zu zu­cken.

      Nie­mals in ih­rem Le­ben hat­te sie die Hand ih­rer Toch­ter so ver­trau­ens­voll in ih­rer ge­fühlt. Sie konn­te sich nicht er­in­nern, dass The­resa je ge­weint hät­te. Aber eben, ne­ben Raf­fa­el, hat­te sie Trä­nen in den Au­gen ih­rer Toch­ter ge­se­hen.

      Ei­tel­kei­ten

      The­resa stand, über einen Ei­mer Was­ser ge­beugt, in der Sat­tel­kam­mer und wusch sich das Ge­sicht. Die Haa­re strich sie sich mit feuch­ten Hän­den zu­rück. Ma­xims Stim­me drang bis zu ihr.

      Wenn po­ten­zi­el­le Käu­fer er­schie­nen, um ih­re Pfer­de zu be­sich­ti­gen, war ihr Mann ger­ne da­bei. Er mein­te, die An­we­sen­heit ei­nes Man­nes trie­be den Preis in die Hö­he, wo­mit er nicht ganz Un­recht hat­te. Män­ner ge­rier­ten sich wie Go­ckel: ‚Schau, ich ha­be das schö­ne­re Ge­fie­der.’ Sprich: ‚Ich kann mir den Preis für die­ses Pferd leis­ten.’

      Um dem an­de­ren sei­ne Po­tenz zu be­wei­sen, zahl­ten die meis­ten gern einen hö­he­ren Preis. Sie wür­de die Ker­le nie ver­ste­hen.

      The­resa klopf­te sich den Staub von den Kni­en, wusch die Hän­de und trock­ne­te sie ab. Bei ihr ver­such­ten Män­ner flir­tend den Preis zu drü­cken. Sie sah in den win­zi­gen Spie­gel, der an ei­nem Bal­ken bau­mel­te.

      »Das al­ler­dings ist noch kei­nem ge­lun­gen«, ver­si­cher­te sie ih­rem Spie­gel­bild.

      Sie setz­te die Prei­se so hoch an, dass es nicht weht­at, ein we­nig nach­zu­ge­ben und den Käu­fer im Glau­ben zu las­sen, er ha­be ge­won­nen.

      Sie be­trach­te­te ih­re Hän­de, sie zit­ter­ten kaum noch. Ein vor­sich­ti­ges Lä­cheln er­schien auf ih­rem Ge­sicht. Wem woll­te Raf­fa­el ei­gent­lich die Ei­er ab­schnei­den? Dem Hengst oder dem, der die Tür der Box ge­öff­net hat­te?

      Sie streck­te sich, sah noch ein­mal in den Spie­gel und trat hin­aus in die blen­den­de Hel­le.

      War ihr noch an­zu­se­hen, wie auf­ge­wühlt sie war? Als Raf­fa­el ge­stürzt war, hat­te ihr Herz­schlag aus­ge­setzt. Sie hör­te noch ih­ren ei­ge­nen Schrei. Schein­bar un­be­rührt wand­te sie sich jetzt dem Reit­platz zu. Sie schritt, oh­ne hin­zu­se­hen, vor­bei an der Stel­le, wo sie ne­ben Raf­fa­el in die Knie ge­sun­ken war.

      Ma­xim ließ Abigail tra­ben. Die hüb­sche, ent­spann­te Schwa­rz­scheck­stu­te war erst sechs Jah­re alt, gut ein­ge­rit­ten und aus­ge­spro­chen brav.

      Ei­ne hal­be Stun­de spä­ter schüt­tel­ten sich die Män­ner die Hän­de. Si­do­nie küss­te Ma­xi­mi­li­an auf den Mund und sah da­bei The­resa frech in die Au­gen.

      The­resa lös­te sich vom Zaun und ging hin­auf zum Haus.

      In der Bi­blio­thek er­war­te­te sie Ma­xims der­zei­ti­ge Ge­lieb­te und ih­ren ge­hörn­ten Ehe­mann mit dem vor­be­rei­te­ten Kauf­ver­trag und ei­nem Glas Cham­pa­gner.

      Das Paar ge­hör­te zu den en­ge­ren Freun­den Ma­xims und da­mit auch zu ih­ren. Si­do­nie war Re­na­tos Ehe­frau Num­mer fünf. Im Ge­gen­satz zu ih­ren Vor­gän­ge­rin­nen wur­de Si­do­nie nicht schwan­ger. Es hieß, sie wä­re un­frucht­bar. Viel­leicht, dach­te The­resa, war es das, was sie prak­tisch je­dem Mann in die Ar­me trieb.

      The­resa dach­te an die Mu­li-Stu­te, Pic­co­la Bir­bo­na, die mit Ari­el auf der Kop­pel gras­te. Da Maul­tie­re im All­ge­mei­nen un­frucht­bar wa­ren, konn­te ihr Hengst sei­ne se­xu­el­len Wün­sche an ihr aus­le­ben, oh­ne dass es Foh­len gab. Ei­ne Hu­re für den Hengst.

      Viel­leicht hät­te ich das Maul­tier ‘Si­do­nie’ tau­fen sol­len, dach­te sie zy­nisch. Aber Klei­nes Lu­der pass­te auch.

      »Re­na­to, wie lieb von dir, mir die­ses sü­ße Pferd­chen zu schen­ken«, zwit­scher­te Si­do­nie.

      The­resa zuck­te un­will­kür­lich zu­sam­men. Abigail war zwei­fel­los ei­ne hüb­sche Stu­te, schwa­rz mit vier wei­ßen »Knie­st­rümp­fen« und ei­nem Stern zwi­schen den Au­gen. Aber süß? »Ich ha­be mir einen sü­ßen Rei­t­an­zug be­stellt, mit schwa­r­zem Ja­ckett und wei­ßen Ho­sen. Ich wer­de ge­nau wie Abigail aus­se­hen.«

      The­resa press­te die Lip­pen zu­sam­men und wand­te sich ab.

      »Du wirst rei­zend aus­se­hen, mei­ne Lie­be«, hör­te sie Re­na­to sa­gen.

      »Seid mir nicht bö­se, aber es war­ten noch wei­te­re Kun­den.« The­resa nick­te in die Run­de und ver­ließ flucht­ar­tig den Raum. Die »sü­ße« Si­do­nie konn­te sie kei­ne Se­kun­de län­ger er­tra­gen.

      Sie ret­te­te sich in die Kü­che, wo sie Fre­de­ri­co traf, der Ma­ja von Ari­els Hel­den­ta­ten be­rich­te­te. »Und dann ha­be ich ver­sucht …« Als er sei­ne Mut­ter sah, schwieg er und woll­te sich an ihr vor­bei aus der Kü­che steh­len.

      Sie pack­te ih­ren Sohn am Arm. »Wir bei­de spre­chen uns noch. Heu­te nach dem Abend­es­sen.« Ih­re Stim­me klang ru­hig, ih­re Au­gen lo­der­ten.

      »Ja, Ma­ma.«

      »Ma­ja, ein Glas Was­ser bit­te.«

      »Är­ger, Si­gno­ra?«

      »Ja, Ma­ja.« Sie stürz­te das Was­ser in ei­nem Zug her­un­ter. »Ich muss noch ein­mal in den Stall.«

      Ma­ja sah und hör­te vie­les. Aber mit ihr über ih­re Sor­gen zu spre­chen, brach­te The­resa nicht über sich.

      Es wur­de be­reits dämm­rig. The­resa sah auf die Uhr.

      Sie hoff­te, dass Ma­xim Si­do­nie und Re­na­to nicht zum Es­sen bit­ten wür­de. Das gin­ge über ih­re Kräf­te.

      Sie tas­te­te nach ih­rem Han­dy und wähl­te die Te­le­fon­num­mer der Kli­nik in Sie­na.

      Ihr ka­men wie­der die Trä­nen. Es war noch nicht vor­bei.

      Wie In­seln rag­ten die Hü­gel in der Fer­ne aus dem auf­kom­men­den abend­li­chen Dunst.

      Raf­fa­el, mein Lie­ber, du bist mei­ne In­sel, ich brau­che dich.

      Sie war über­zeugt, dass Re­na­to ge­nau wuss­te, was sei­ne Frau trieb, ja so­gar wuss­te, mit wem. Aber die al­les ver­hül­len­de Glät­te, die­se so­ge­nann­ten gu­ten Ma­nie­ren der Ge­sell­schaft, ließ nicht zu, dass man sich et­was an­mer­ken ließ. Ge­tu­schelt wur­de nur hin­ter dem Rü­cken der an­de­ren.

      Re­na­to und ihr Mann wa­ren auch Ge­schäfts­part­ner, und Ge­schäf­te wa­ren im­mer wich­ti­ger als ei­ne Af­fä­re, die man oh­ne gro­ße fi­nan­zi­el­le Ver­lus­te be­en­den konn­te. Wenn Si­do­nie im Le­ben bei­der Män­ner längst kei­ne Rol­le mehr spiel­te, wür­de Re­na­to mit Ma­xim im­mer noch Ge­schäf­te ma­chen.

      Sie spiel­ten al­le ein Spiel, auch sie selbst. Aber heu­te hat­te sie ge­spürt, dass ih­re Ge­füh­le für Raf­fa­el nicht zu die­sem Spiel ge­hör­ten.

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