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Halt hatte, wenn sie die Beine fest an seinen Leib drückte. Nic hätte nie gedacht, das Reiten ihr gefallen könnte, doch sie fand es fantastisch. Langsam trottete der Hengst mit ihr in Richtung Stall.

      Als sie ihn am nächsten Nachmittag von der Weide holen wollte, stand er schon am Stein und schien nur auf sie zu warten. Nic konnte es kaum glauben - vorsichtig schwang sie sich auf seinen Rücken. Langsam lief er los, mehrmals lief er quer über die Weide, doch dann begann er schneller zu werden. Als er in den Trab fiel, wurde Nic gehörig durchgeschüttelt, verlor den Halt, doch noch bevor sie fallen konnte, stoppte der Hengst. Immer wieder begann er zu traben und nach einiger Zeit fand sie schließlich einen Weg, einigermaßen bequem auf seinem Rücken zu sitzen. Fest schloss sie die Beine und beugte ich ein wenig nach vorn, so dass ihr Hintern einige Zentimeter über seinem Rücken schwebte. Er machte einen kleinen Satz und Nic fiel zu Boden; der Hengst blieb stehen und schaute sich nach ihr um. Außer, dass ihr Hintern schmerzte und sie sich erschreckt hatte, ging es ihr gut.

      »Ich glaube, wir lassen das für heute«, sagte sie zu dem Hengst, rief ihn und wollte ihn in den Stall

      bringen. Doch der Große Schwarze hatte wohl andere Pläne, er trottete zum Stein und war mit nichts zu bewegen, in den Stall zu gehen. Nic hatte keine Wahl, seufzend ging sie zurück zum Stein, und von dort aus ließ sie sich auf den Rücken des Hengstes gleiten. An diesem Tag fiel sie noch zwei Mal herunter, doch der Hengst nötigte sie immer, mit sanfter Gewalt, wieder aufzusteigen. Nach einigen Tagen galoppierte er das erste Mal mit Nic auf seinem Rücken. Sie war erstaunt, wie leicht sie sich halten konnte. An ihren Schenkeln spürte sie das Spiel seiner Muskeln, und er steigerte sein Tempo, bis ihre Haare im Wind flatterten. In diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, mit dem Pferd zu einer Einheit zusammengewachsen zu sein. Alle Sorgen, alle Ängste fielen von ihr ab, es gab nur noch das Pferd und sie.

      Die Wochen vergingen, Nic erledigte die Farmarbeit nun schnell und gewissenhaft. Nicht nur, dass ihr jetzt auch die Zeit und die Kraft blieb, das Haus zu reinigen, sie fand auch die Muße, am Abend in Großmutters Büchern zu lesen. Am Anfang las sie aus Langeweile, doch mit jedem Buch, das sie las, wurde ihr Interesse größer. Sie erfuhr viel über Astrologie, Pflanzenkunde und unsichtbare Kräfte, die jeden Menschen umgaben. Ein kleines Buch hatte es ihr besonders angetan, sein Ledereinband war abgegriffen und rissig. Es schien sehr alt zu sein; es barg ein uraltes Wissen von Heilung und Weisheit.

      Nach und nach fand sie heraus, dass sie erst einmal mit sich und ihrer Umwelt in Einklang kommen musste. War das nicht genau das, was auf der Farm im Moment geschah? Sie lernte, wie sie ihre Spiritualität entdecken konnte und übte Anrufungen für die Geistwesen der Himmelsrichtungen. Sehr oft fragte sie sich, kann das alles stimmen? Es gab schöne Rituale für Gesundheit, Liebe und zum Vertreiben von bösen Geistern. Eines der Schutzrituale gefiel ihr besonders. In dem Büchlein stand: „Trage immer einen Bergkristall bei dir. Bei Gefahr sprich leise: ‚Wall aus Kristall entstehe überall. ‘ Stell dir dabei vor, wie ein Berg aus Kristall um dich herum zu wachsen beginnt. Dicht an dicht umschließt er dich, sprich weiter: ‚Schütze mich, du heller Stein, lass von den schlechten Dingen nichts herein, so soll es sein. ‘ “ Immer mehr begriff sie, wie alles zusammenhing. Und mit wachsendem Wissensdurst begann sie, Buch um Buch zu verschlingen. Ohne lange darüber nachzudenken, hatte sie aus einer flachen Schale, in der viele bunte Steine lagen, einen kleinen Bergkristall herausgenommen. Sie trug ihn ab diesem Tage immer bei sich, und oft schlüpfte ihre Hand in die Hosentasche, nur um den Stein kurz in die Hand zu nehmen. Großmutter hatte überall im Haus diese Steine verteilt. Und nach einigen Wochen war Nic sogar in der Lage, die verschiedenen Steine zu erkennen. Da gab es Achate, Karneole, Opale und viele andere Steine. Aber in jedem Raum lagen Bergkristalle. Früher hatte Nic darüber geschmunzelt, doch jetzt hatte sie herausgefunden, dass der Bergkristall der größte Schutzstein vor negativen Schwingungen war. Schließlich fing sie an, von den vielen Pflanzenrezepten gegen allerlei körperliche Beschwerden, Salben herzustellen. Auch wenn sie es nicht gerne zugab, begann ihr das alles Spaß zu machen. Sie erwischte sich, dass sie leise ein Lied summend, in der Küche stand und liebevoll Pflanzenteile zerstieß. Nics Blick ging nach draußen, der volle Mond stand am Himmel, sie lächelte verträumt. Nie hätte sie geglaubt, dass sie in Großmutters Fußstapfen treten würde.

      Eines Morgens, sie war nun fast den siebten Monat auf der Farm, und der Spätsommer hatte Einzug gehalten, kramte sie wieder die Waage hervor. Die blaue Latzhose, die ihr zu eng gewesen war, schlackerte nun an ihrem Körper. Vorsichtig stellte sich Nic auf die Waage und hielt die Luft an, sie wog nur noch achtundsechzig Kilo. Sie hatte sich schon lange nicht mehr nackt im Spiegel angesehen, doch jetzt schien der Augenblick gekommen, dieses Risiko einzugehen. Ängstlich trat sie im Bademantel vor ihr Abbild und ließ das Kleidungsstück zu Boden fallen, dabei hatte sie die Augen fest zusammengekniffen. Nic atmete tief ein und wagte zögernd einen Blick. Das sah gar nicht so schlecht aus, stellte sie erleichtert fest. Ihre Haut war straff und sie hatte tatsächlich an einigen Stellen Muskeln bekommen. Das Mädchen, das sie im Spiegel sah, war jung und hübsch. Zaghaft schmunzelte sie sich zu. Nur um den Unterschied zu sehen, schlüpfte sie in eine alte Jeans von sich - die Hose rutschte ohne Probleme an ihr herunter. Ihr Herz machte einen Sprung! Es war an der Zeit, in die Stadt zu fahren und sich neue Kleider zu gönnen. So ein Tag würde ihr mit Sicherheit guttun, überlegte Nic, sie musste mal raus aus ihrem Trott. Wenn sie schon dort war, konnte sie auch gleich zum Friseur gehen.

      Am nächsten Tag, nachdem sie die Tiere versorgt hatte, machte sie sich voller Vorfreude, mit Großmutters altem Auto, auf den Weg. Etwas unsicher betrat sie das Bekleidungsgeschäft, doch die Verkäuferinnen versicherten ihr, dass sie in den Jeans, die sie anprobierte, umwerfend aussah. Nic erstand drei Jeans; eine behielt sie gleich an. Die Verkäuferin entsorgte die alte Hose mit spitzen Fingern. Nic erstand dazu noch einige T- Shirts und zwei Hemden. Glücklich verließ sie das Geschäft und bog um die nächste Ecke. Als sie die Tür zum Friseurgeschäft öffnete, erkannte sie sofort eine alte Schulkollegin wieder. Sie hatte nicht studiert und lieber ihre große Liebe geheiratet. Die beiden jungen Frauen fielen sich vor Freude in die Arme. »Nicoletta«, rief Mandy, »du siehst ja super aus! Komm, ich mache dir erst mal eine kosmetische Verwöhnbehandlung und dann bringen wir deine Haare in Form. « Mandy duldete keine Widerrede und Nic musste sich fügen. In der ganzen Zeit schnatterte Mandy ununterbrochen, und Nic fühlte sich plötzlich wieder wie ein Teil dieser Kleinstadt. Als sie nach drei Stunden den Laden verließ, war Nic ein neuer Mensch. Einige Männer auf der Straße drehten sich mit Bewunderung nach ihr um, und sie lief langsam, um dieses Gefühl zu genießen.

      Als sie an der Auslage eines Schmuckgeschäftes vorbeiging, blieb sie erstaunt stehen. Im Schaufenster lag die gleiche Kette mit dem Herzanhänger, wie sie ihn von Onkel Luis bekommen hatte. Ohne zu zögern, betrat sie das Geschäft und kaufte sie. Im Stillen fragte sie sich, ob die blauen Flammen auftauchen würden, um die Kette wieder zu zerstören. Wenn das geschah, hatte sie wenigstens den Beweis, dass es nicht an Onkel Luis lag. Doch ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es anders war. Seit Monaten ging sie Onkel Luis aus dem Weg. Sie erfand immer neue Ausreden, um sich nicht mit ihm treffen zu müssen. Doch lange würde er sich nicht mehr vertrösten lassen.

      Als sie auf der Farm ankam, setzte sie sich mit einer kalten Zitronenlimonade auf die Veranda. Sie wartete auf die blauen Flämmchen, doch nichts geschah. Im Grunde hatte sie das erwartet; es war der endgültige Beweis: das Haus duldete nichts von Onkel Luis. Eine Zeit lang saß sie grübelnd da, dann fasste sie einen Entschluss, sie ging ins Haus und rief ihn an. Onkel Luis schien hocherfreut, ihre Stimme zu hören, und er war außer sich vor Freude, als sie sich mit ihm in der Stadt verabredete. Gedankenverloren legte sie auf, es war an der Zeit, herauszufinden, was an ihm nicht stimmte. Als sie das Café betrat, hätte Luis fast die Tasse mit Kaffee, die er gerade zum Mund führte, fallen lassen. Eine wunderschöne, schmale und körperlich durchtrainierte junge Frau schwebte zu ihm an den Tisch. Einige Männer im Café unterbrachen ihr Gespräch und verrenkten sich den Kopf nach Nic. Sie sah wirklich fantastisch aus. Das pickelige, plumpe und ungepflegte Wesen mit den strähnigen Haaren war verschwunden - vor Onkel Luis stand eine fünfundzwanzigjährige Schönheit. »Hallo, mein Mädchen«, rief er mit geheuchelter Freude, »du hast dich aber verändert, Donnerwetter. Aber ich finde, du bist ganz schön abgemagert. Komm setz dich, ich bestelle uns erst einmal ein Stück Kuchen. «

      Nic hatte sich nicht nur äußerlich verändert,

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