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die Kisten in seinen Wagen. Frau Patt drückte Nic zum Abschied herzlich und meinte: »Sollten Sie doch noch einmal ein Zimmer suchen, dann melden Sie sich bei mir, Kindchen. «

      »Wollen wir unterwegs nochmal etwas essen? «, fragte Luis, als sie losgefahren waren.

      Nic schüttelte heftig den Kopf. »Danke nein, ich bin nicht hungrig. « Doch genau in diesem Moment begann ihr Magen wieder heftig zu knurren. Nic war außer sich vor Wut über ihren Körper, Luis tätschelte tröstend ihre Hand. »Ich werde an der nächsten Raststätte herausfahren«, sagte er milde, »und ich dulde keine Widerrede. «

      Das ganze Spiel vom Vormittag begann sich zu wiederholen - sie aß und aß, ohne wirklich sattzuwerden. Ihr Blick blieb am ausgefallenen Gehstock ihres Onkels hängen. Fast schien es ihr so, als würden die Augen des silbernen Drachenkopfes, der als Knauf diente, rot glühen. Zwischen zwei Gängen legte ihr Onkel Luis eine Schachtel auf den Tisch. »Ich habe da noch eine Kleinigkeit für dich«, säuselte er. Neugierig öffnete Nic die Schachtel; erschrocken atmete sie aus. Sie sah dieselbe Kette, die er ihr vor einigen Wochen schon einmal geschenkt hatte. »Das ist aber lieb von dir«, würgte sie hervor und versuchte Freude zu heucheln. Wie das letzte Mal auch, nahm er die Kette aus der Schachtel und legte sie ihr um den Hals - doch dieses Mal hatte sie das Gefühl, als würde die Kette schwer wie ein Stein an ihrem Hals hängen. So sehr sie auch versuchte, sich zusammenzunehmen, schlang sie doch auf dem Nachhauseweg noch einige Tüten Chips in sich hinein und hasste sich dafür.

      Es war schon längst dunkel, als sie auf der Farm ankamen. Eigentlich hatte sie die Tiere gleich in den Stall bringen wollen. Doch durch das viele Essen war sie wieder einmal wie benebelt. Onkel Luis hob die schweren Kisten aus dem Auto und meinte beiläufig: »Ich bring sie dir gleich ins Haus. « Nic hatte sich auf der Veranda in einen Stuhl fallen lassen und winkte ab. »Stell sie einfach dort hin, den Rest mach ich morgen. « Sie hatte das Gefühl, als hätte sich ein Teil von ihr getrennt; dieser Teil stand nun neben ihr und beobachtete das Geschehen, der andere Teil in ihrem Körper war zu nichts mehr fähig.

      »Aber, Liebes, ich kann das doch für dich hineintragen«, versuchte Luis es noch einmal freundlich. Verzweifelt versuchte Nic einen klaren Kopf zu bekommen. »Bitte, lass es einfach stehen, du hattest schon genug Arbeit«, meinte sie schwach. Dann sah sie es wieder, und sie riss die Augen auf, um noch besser sehen zu können. Kleine blaue Flämmchen, die aus dem Boden zu wachsen schienen; in der Dunkelheit waren sie gut zu sehen. Sie krochen auf Luis zu. Nic saß bewegungslos auf ihrem Stuhl, unfähig sich zu bewegen. Sie sah, wie Luis den letzten Karton aus dem Auto lud - er warf ihn mehr auf die Veranda, als dass er ihn trug - und dabei von einem Bein aufs andere sprang und fluchte. Was genau er sagte, konnte sie nicht verstehen. Sie glaubte zu hören: »Dusselige Kuh, was soll ich denn noch machen, um in das Haus zu gelangen. « Nic spürte wieder Übelkeit in sich aufsteigen und wusste, was jetzt kommen würde. Luis stieg in seinen Wagen und fuhr, ohne sich zu verabschieden, davon.

      Mit letzter Kraft gelang es Nic, sich die Kette vom Hals zu reißen und von sich zu schleudern. Ergeben beugte sie sich über das Geländer und erbrach sich. Immer und immer wieder wurde ihr Körper von heftigem Würgen geschüttelt. Irgendwann schaffte sie es, sich in den alten Schaukelstuhl fallen zu lassen, und erschöpft verlor sie wieder das Bewusstsein.

      So entging es ihr auch, dass die blauen Flammen erneut aus dem Boden auftauchten. Sie stürzten sich hungrig auf ihre Umzugskisten, sie suchten und fanden alles, was Luis ihr je geschenkt hatte.

      Unerbittlich löschten sie alle diese Gegenstände aus; sie zerschmolzen sie zu unansehnlichen kleinen Klümpchen, oder verbrannten sie zu Asche. Dann stürzten sie sich auf die Kette und ließen erst von ihr ab, als nur noch ein geschmolzener Klumpen Gold übrig blieb. Zufrieden zogen sich die Flammen zurück.

      Wenig später kam Nic wieder zu sich. Wie sie es erwartet hatte, ging es ihr gut. Diese ganze Sache ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Aber eines wusste sie mit Sicherheit: das alles musste irgendwie mit Onkel Luis zusammenhängen. Nic hatte Onkel Luis nie als bedrohlich empfunden, aber so langsam bekam sie doch Angst vor ihm. Sie erhob sich, um ins Haus zu gehen, und ihr Fuß stieß gegen einen verschmolzenen, kleinen Gegenstand. Fassungslos schüttelte sie den Kopf, doch noch bevor sie es aufhob, wusste sie, was es war, und achtlos warf sie die Überreste der Kette in den Abfall. Bevor sie zu Bett ging, kramte sie Großmutters Brief heraus. Es waren keine Zeilen dazugekommen, dabei hatte sie so viele Fragen. Enttäuscht steckte sie den Brief in die Dose zurück. Erst dann fiel ihr ein, dass sie noch die Tiere auf der Weide hatte. Im Schlafanzug rannte sie los.

      Die Schafe und die Schweine standen dicht aneinandergedrängt, auch die Kuh und das Pferd standen auf der großen Weide dicht beieinander. Unter dem mächtigen Hengst drängten sich die vier Hühner. Nic musste lächeln, fast sah es so aus, als würden sich die Tiere gegenseitig Schutz geben. Sie öffnete die Umzäunung und lief voraus, die Tiere folgten ihr ohne Probleme.

      Am nächsten Tag packte sie ihre wenigen Sachen aus und verstaute sie. Erschrocken hielt sie mitten in der Bewegung inne - in der Hand hielt sie einen Klumpen geschmolzenes Glas. Irgendwie erinnerte sie die Farbe an eine Vase, die sie einmal von Onkel Luis bekommen hatte. Kopfschüttelnd legte sie ihn zur Seite. Einige Augenblicke später zog sie etwas hervor, das einmal ein Buch gewesen war. Die zu Asche verbrannten Seiten zerfielen in ihrer Hand. Was war hier geschehen? Ziemlich schnell fand Nic heraus, dass nur die Sachen von Onkel Luis verbrannt waren. Hatten das die kleinen blauen Flämmchen getan, die sie immer zu sehen glaubte, wenn Luis sich der Farm näherte? Hatte das Haus tatsächlich ein Eigenleben? Sie packte die zerstörten Sachen zusammen und warf sie in die Mülltonne.

      Nic war eingebunden in die Arbeit der Farm, als die Tiere von einem auf den anderen Tag ihr Verhalten ihr gegenüber änderten. Es war auf einmal wie verhext, sie hatte nie Schwierigkeiten gehabt, die Tiere in den Stall oder auf die Weide zu bringen. Sie waren immer folgsam gewesen, aber plötzlich schienen sie sich einen Spaß daraus zu machen, ihr zu entwischen. Mal waren es die Schafe, die kurz vor dem Stall davonliefen, mal die Hühner und mal die Schweine. Nic lief ihnen hinterher, bis sie, nach Luft ringend, stehenbleiben musste. Sie hatten alle das gleiche Ziel: einen kleinen Hügel, etwa zwei Kilometer entfernt. Ohne dass sie es bemerkte, stärkte sie ihre Ausdauer mit jedem Tag, den sie den Tieren hinterherlaufen musste.

      Schließlich schaffte sie es nach einigen Wochen den Hügel im Laufschritt zu erklimmen, ohne dass sie groß außer Atem war. Am allerschlimmsten aber trieb der Große Schwarze sein Spiel - an manchen Tagen spielte er regelrecht Nachlauf mit ihr. Er ließ sie bis auf einen Meter an sich herankommen und warf sich dann links oder rechts zur Seite; nur um mit hocherhobenem Kopf an ihr vorbeizugaloppieren. Er wieherte dabei so laut, dass es sich anhörte, als würde er sie auslachen.

      Die ersten Tage war sie noch schnell außer Atem, doch mit der Zeit wurde sie schneller.

      Es war schon später Nachmittag, und sie wollte die Tiere in den Stall bringen, aber der Hengst trieb wieder sein Spiel mit ihr. Als er ihr in der Mitte der Weide wieder davon galoppiert war, verließ Nic der Mut. Sie setzte sich auf den großen Stein, der auf der Weide lag und ließ ihren Kopf traurig hängen. Sie fühlte sich sehr allein und einsam, ihr fehlte einfach jemand zum Reden. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie begann zu schluchzen. Langsam, Schritt für Schritt, kam der Große Schwarze auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. Seine weichen Nüstern strichen ihr zart durch das Gesicht, gerade so, als wollte er ihre Tränen abwischen. »Geh weg«, sagte sie traurig, »lass mich in Ruhe«. Der Hengst stupste sie vorsichtig an. Nic verstand nicht, was er von ihr wollte. Er hatte sich so vor den Stein gestellt, dass sie, wenn sie sich darauf stellen würde, leicht auf seinen Rücken gleiten konnte. Sie hatte noch nie gesehen, dass irgendjemand versucht hätte, das Pferd zu reiten. Der Gedanke war absurd, wieso sollte das Pferd wollen, dass sie es ritt? Doch es blieb beharrlich stehen, ab und zu drehte es den Kopf und stieß sie an die Schulter.»Also gut«, sagte sie schließlich, »denk dran, dass du es wolltest, dass ich mich auf deinen Rücken setze. « Sie stellte sich auf den Stein und schwang sich auf ihn. Er war erstaunlich bequem - warm fühlte sie seine Haut an ihren Schenkeln. Ihre Hände griffen in die lange Mähne, vorsichtig und langsam lief er los. Ziemlich schnell fand sie heraus, dass er schneller ging, wenn sie sich nach vorne legte. Beugte sie sich leicht nach hinten, wurde er langsamer. Sie war sich nicht so sicher,

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