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doch sie war auf der Hut und beobachtete ihn genau.

      Wie immer hatte er ihr Blumen mitgebracht. »Danke, Onkel Luis«, täuschte sie Freude vor, »die sind wie immer wunderschön. « Kaum hatte sie sich gesetzt, stellte sie mit Entsetzen fest, dass ihr Magen zu knurren begann. Das konnte doch nicht wahr sein. Rasend schnell breitete sich das Gefühl in ihr aus. Bis sie schließlich nur noch daran denken konnte, Kuchen zu essen. Luis freute sich, als er ihren Anhänger sah. »Ich sehe, du trägst meine Kette«, sagte er einschmeichelnd. Kurz flammte ihr schlechtes Gewissen auf, aber dann nickte sie nur und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Ihr Magen knurrte jetzt laut, sie atmete tief ein. Ganz klar sah sie nun die Zusammenhänge. Immer wenn sie sich mit Onkel Luis traf, bekam sie diese Fress-Attacken. Ihre Erinnerung ging etwas in der Zeit zurück, als sie noch ihr kleines Zimmer hatte. Alle vierzehn Tage hatte sie sich mit Onkel Luis getroffen, und immer hatte er Blumen und ein kleines Geschenk dabei. Es war ihr nie aufgefallen, aber wenn sie darüber nachdachte, war nach diesen Treffen ihr Hunger immer um vieles größer gewesen. »Ich werde dir erst einmal ein ordentliches Stück Kuchen bestellen«, hörte sie ihn sagen », das kann sich ja kein Mensch mit anhören, wie dein Magen knurrt. « Nic wusste, er würde keinen Widerspruch dulden. Trotzdem schüttelte sie entschlossen den Kopf und versuchte verzweifelt, an etwas anderes zu denken. »Nein, bitte, Onkel Luis, ich habe wirklich keinen Hunger. « Er legte seine Hand liebevoll auf die ihre, doch Nic zog die Hand weg, als habe sie sich verbrannt. Stumm sah er sie für einen Augenblick mit zusammengekniffenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln an. Dann wurde sein Gesicht wieder freundlich. »Aber was ist denn mit dir los, mein Mädchen? «, fragte er. Nics Geist war dabei ihr zu entgleiten, um sich nur noch dem Essen hinzugeben. Sie kämpfte darum, bei klarem Verstand zu bleiben. In ihrem Kopf hörte sie eine leise Stimme, die sagte nur einen Satz: »Wall aus Kristall, entstehe überall. « Wie von selbst sprach sie im Geiste weiter: »Schütze mich, du heller Stein, so soll es sein. « Unbemerkt hatte sie ihre Hand in die Hosentasche gesteckt. Der Bergkristall rollte in ihre Handfläche, doch fast hätte sie erschrocken aufgeschrien - er war eisig kalt. Wieder und immer wieder sprach sie diese zwei Sätze in ihrem Kopf. Sie stellte sich vor, wie eine Wand aus Bergkristall sie zu umschließen begann. Erleichtert und gleichzeitig erstaunt stellte sie fest, dass es ihr wieder gutging. Sie konnte klar denken - das Gefühl des übermächtigen Hungers hatte sich aufgelöst.

      Onkel Luis hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt, die Arme vor seiner Brust verschränkt und beobachtete sie mit versteinerter Miene. Seine Stimme klang kalt und gefühllos, als er sprach:

      »Glaubst du, das bisschen Kindermagie könnte mich aufhalten? « Kurz wurde Nic abgelenkt, als ein junger Mann das Café betrat. Seine schulterlangen blonden Haare standen ihm struppig um den Kopf. Sein Gesicht war mit einem Vollbart so zugewachsen, dass sie seine Züge nicht erkennen konnte. Er war groß und sehr schmal, sie sah, wie er den Kopf hob und die Luft fast witternd tief in die Nase zog. Kurz begegnete sein Blick dem ihren. Er schien mehr zu trotten, als zu gehen, und er ließ sich an einem Tisch hinter Onkel Luis nieder. Für Nic sah der junge Mann fast aus wie eine Mischung aus Mensch und Hund.

      Nics Aufmerksamkeit wurde von Onkel Luis an den Tisch zurückgezwungen, als er sagte: »Du unterschätzt die Situation. Ich habe es all die Jahre mit Liebe und Güte versucht, aber ich kann

      auch anders.« Er beugte sich etwas nach vorne. »Ich will die Farm und dich, mein Liebes, und ich bekomme das auch. « Nic schüttelte den Kopf, was war denn nur plötzlich in Onkel Luis gefahren? Leise sprach Luis weiter: »Deine Großmutter hat dich schlecht vorbereitet, du hast keine Ahnung, was die Farm wirklich ist. Ich habe all die Jahre dafür gesorgt, dass du fett, hässlich und unglücklich bist. So habe ich erfolgreich dafür gesorgt, dass dich kein Mann attraktiv findet«, flüsterte er.

      Nics Mund formte ein fassungsloses „Oh“, doch mehr konnte sie nicht sagen. Ungerührt sprach Luis weiter: »Mein Sohn wird bald kommen, für ihn habe ich deine Jungfräulichkeit all die Jahre bewahrt. Ihr werdet euch vereinen, und gemeinsam öffnet ihr die Mauer. Das ist deine Bestimmung. «

      Nic zitterte am ganzen Körper; hätte sie doch nur auf ihre Großmutter gehört. Sie verstand überhaupt nicht, von was er da sprach. Luis drehte seinen Spazierstock in ihre Richtung. Nic wurde schwindelig, es schien fast so, als würden die Augen des silbernen Drachenkopfes wieder rot leuchten. Auch die Symbole und Zeichen begannen nun rot zu glühen, und es schien, als würden sie ineinanderfließen. Wie aus weiter Ferne hörte sie nun die Stimme Luis‘: »Du wirst mich in dein Haus einladen, und du wirst es mir verkaufen. « Sie nickte mechanisch, als plötzlich der Hundemann von hinten über Luis fiel. Wieder trafen sich kurz ihre Blicke, und seine Stimme knurrte: »Verschwinde von hier. Los, steh auf und lauf, Mädchen. « Mit tauben Beinen und pochendem Herzen sprang sie auf und stürzte davon. Sie hatte das Gefühl, dass sie erst wieder klar denken konnte, als sie auf der Farm ankam.

      Nic war zutiefst verletzt und enttäuscht. Ohne Umwege ging sie in die Küche, suchte den Brief von ihrer Großmutter heraus und las:

       Liebste Nic,

       so, nun hat also Luis endlich seine Maske fallen lassen. Er ist eine große Gefahr für dich, und er würde auch nicht zögern, dich zu töten, wenn du ihm nicht mehr von Nutzen bist. Ich bitte dich, lies das Buch über den Nexus, damit du die Farm verstehst. Ich hoffe, dein Beschützer ist rechtzeitig zurückgekommen. Deine körperliche Ausbildung ist fast beendet, was du zum großen Teil den Tieren zu verdanken hast. Alles was geschieht, ist nur zu deinem Besten. Es wird Zeit, dass du noch andere Dinge begreifst.

      

      Sie ließ den Brief sinken. Wieder einmal hatte Großmutter sich kurzgehalten, dabei hatte Nic noch so viele Fragen. Welche Ausbildung meinte Großmutter? Was hatten denn die Tiere damit zu tun? Sie dachte über die letzten Monate nach, und dann begriff sie. Wie oft war sie den Tieren hinterhergelaufen? War das nicht das reinste Fitness-Training gewesen? Wie schon so oft in letzter Zeit, überlegte sie, ob Tiere nicht doch selbstständig denken konnten. Aber das ergab keinen Sinn. Nic fühlte sich mit einem Mal wieder sehr einsam, was war hier nur los? Sie sank auf einen Stuhl, und gerade als sie über ihr Elend weinen wollte, hörte sie den Großen Schwarzen aufgeregt im Stall wiehern. Sie griff nach der alten Schrotflinte. Zum Glück hatte Großmutter ihr gezeigt, wie man damit umging. Mit der Waffe im Anschlag trat sie vor die Tür. Die Dunkelheit hatte sich schon über das Land gelegt. Der erste Nebel kroch über die Felder, und es war unheimlich still. Schnell lief sie zum Stall. Als das Licht flackernd den Stall erhellte, sah sie, dass alle Tiere unruhig waren. Die Hühner hatten unter dem großen Pferd Zuflucht gesucht. Die Tiere starrten an ihr vorbei in die Nacht. Und dann hörte sie das langgezogene Heulen eines Wolfes. Eine Gänsehaut lief über Nics Körper und ihre Nackenhaare stellten sich auf. Der Hengst wieherte laut, seine Hufe krachten gegen das Holz seiner Box. Wieder heulte der Wolf, diesmal war er ganz nahe. Die Tiere im Stall schienen gänzlich durchzudrehen, denn alle begannen sie durcheinanderzuschreien. Nic war entsetzt. Verhielten sich Tiere, wenn sie Angst hatten, nicht still? »Ruhe! «, rief sie, und tatsächlich verstummten alle auf einmal. Noch einmal hörte sie den Wolf heulen, aber nun schon in weiter Ferne. Sie blieb noch eine Weile und horchte angestrengt, doch es blieb alles still. Sie löschte das Licht und ging zurück zum Haus. In Großmutters altem Bücherregal fand sie schnell, was sie suchte. Die Angst über das Wolfsgeheul saß ihr noch in den Knochen, und so fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Zuerst las sie etwas über Geomantie, wo behauptet wurde, aus der Erde würden elektromagnetische Wellen fließen, die sich dann zu Kraftlinien vereinigten. Angeblich zogen sie sich über die ganze Erde.

      Müde wollte sie schon das Buch auf die Seite legen, da las sie etwas, das sie fesselte. Eine solche Kraftader schützte alles in ihrem Umfeld, also auch Menschen, Tiere und Pflanzen. Aber nicht nur das. Kreuzten sich die Linien, nannte man sie Nexus. Es kam so gut wie nie vor, dass sie sich aus allen vier Himmelsrichtungen kreuzten, aber wenn dies geschah, war der Schnittpunkt ein magischer Ort. Er eignete sich für kraftvolle, magische Handlungen und unterstützte den wahrhaft Suchenden mit großem Schutz und ermöglichte einen Übergang in die andere Welt. Welchen Übergang? Und welche andere Welt? Sie ärgerte sich ein wenig. Das Buch war so geschrieben, als müsste jeder wissen, um was es geht. Die Kraft dieser Linien konnte durch das Setzen von Steinen verstärkt werden. Aber man konnte

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