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er wehrte sich nicht groß gegen die Kündigung. Er würdigte zwar ihr Können, hatte sie aber immer wieder auf ihr Äußeres angesprochen. »Fräulein Nicoletta«, hatte er mit ernster Stimme gesagt, »Sie müssen sich mehr pflegen, meine Kunden sind über Ihr Aussehen nicht sehr erfreut. « Was noch stark untertrieben war. Schließlich hatte er ihr ein kleines Büro am Ende des Flures gegeben und sie sogar gebeten, dort zu bleiben, wenn Besuch kam.

      Dann kündigte sie noch ihr Zimmer und vereinbarte, dass sie am Ende des Monats ihre Sachen holen wollte. Wenigstens ihre Vermieterin schien traurig zu sein, dass sie auszog.

      Kaum hatte sie das Telefon aufgelegt, klingelte es auch schon wieder. Als sie abhob, hörte sie die fröhliche Stimme ihres Onkels. »Hallo, mein Täubchen, wie geht es dir? «, fragte er überschwänglich.

      Irgendwie hatte Nic ihre Unbefangenheit ihm gegenüber verloren; sein Verhalten war in der Tat sehr merkwürdig. Nic antwortete vorsichtig. »Danke der Nachfrage, mir geht es wieder sehr gut. «

      »Das freut mich, mein Liebes«, säuselte er mit sanfter Stimme. »Darf ich denn fragen, wie es mit

      der Testamentseröffnung gelaufen ist? « »Ach, Onkel Luis«, seufzte Nic, »Großmutter hat mir zur Auflage gemacht, dass ich erst ein Jahr auf der Farm leben muss, bevor ich sie verkaufen kann. «

      Von dem Geld erwähnte sie nichts. Sie hörte ihn wütend schnauben, doch sein Ton blieb nett.

      »Das sieht Esmeralda mal wieder ähnlich. Und was machst du jetzt? «, fragte er.

      Nic antwortete wahrheitsgetreu: »Ich werde in den sauren Apfel beißen; Job und Zimmer sind schon gekündigt. « »Soll ich dich fahren, wenn du deine Sachen holen möchtest, oder soll ich an diesem Tag lieber die Farm für dich machen? «, fragte er mit einem seltsamen Unterton. Er hatte sie wieder mal in eine Ecke gedrängt, eigentlich wollte sie weder das Eine noch das Andere, doch ihr fehlte der Mut, es ihm zu sagen. So brauchte sie nicht lange zu überlegen - sie würde ihn auf keinen Fall bei den Tieren hier auf der Farm lassen. »Wenn du möchtest, kannst du mich fahren. Ich habe nicht viel, das bekommen wir alles in deinen Wagen hinein«, erwiderte sie. »Aber ich habe ja noch drei Wochen Zeit, bevor wir nach Harvey fahren müssen. « Luis‘ Stimme klang enttäuscht, als er meinte: »Soll ich dich so lange nicht sehen? « »Es tut mir sehr leid, Onkel Luis, aber ich habe wirklich viel zu erledigen«, meinte sie. Doch so schnell gab Luis auch dieses Mal nicht auf. »Wenn du keine Zeit hast, in die Stadt zu kommen, dann komme ich eben zu dir. « Nic brach der Schweiß aus, sie wollte ihn nicht auf der Farm haben; kurzentschlossen log sie. »Also, Ende nächster Woche habe ich in Wishek einige Dinge zu erledigen, dann können wir uns ja wieder auf einen Kaffee treffen. « Nic glaubte zu spüren, dass Onkel Luis lieber zur Farm gekommen wäre, doch er blieb freundlich, als er antwortete: »Ich freu mich schon jetzt auf dich. « Sie unterhielten sich noch ein wenig über Allgemeines, und Nic war froh, als sie endlich auflegen konnte.

      Am nächsten Morgen fand Nic eine Waage. Mit klopfendem Herzen stellte sie sich darauf. Ein kleiner Freudenschrei entfuhr ihr - sie hatte fünf Kilo abgenommen! Fünf Kilo in zehn Tagen! Die blaue Latzhose ließ sich auch wieder leicht zuknöpfen; so langsam finde ich das Leben auf der Farm gar nicht mehr so schlimm, dachte Nic beschwingt.

      Einige Tage später nahm sie allen Mut zusammen und rief Onkel Luis an. Das Treffen zum Kaffetrinken sagte sie mit viel Bedauern ab.

      Als sie sich drei Wochen später, früh am Morgen, wieder wog, hatte sie noch einmal sechs Kilo abgenommen. Gutgelaunt ließ sie sich zu Luis ins Auto gleiten, als dieser sie abholte. Verdutzt sah er sie von der Seite an: Nic hatte sich verändert, sie schien lebenslustiger, und sah um Welten besser aus. Haut und Haare schimmerten gesund, und sie sah, trotz der Farmarbeit, sehr gepflegt aus. Luis‘ Laune sank; sie hatte ihm vorher besser gefallen, er würde schon einen Weg finden sie wieder aufzufüttern. »Wer macht denn heute die Farm? «, fragte er scheinheilig. »Niemand«, erwiderte Nic mit einem Lachen, »ich habe die Tiere heute morgen auf die Weide gelassen und hole sie heute Abend wieder herein. Alle anderen Arbeiten habe ich auf morgen verschoben. Mittlerweile bin ich so gut eingearbeitet, dass ich recht schnell fertig bin. « Luis verzog den Mund, dann fragte er: »Wo hast du denn die schöne Kette, die ich dir geschenkt habe? « Es blieb Nic nichts anderes übrig, als zu einer Notlüge zu greifen. »Es tut mir ja so leid, aber ich muss sie irgendwo auf der Farm verloren haben«, sagte sie zerknirscht. »Das ist aber wirklich schade«, meinte er und schwieg dann.

      Die nächsten Stunden Fahrt hatte er noch genug Zeit, sich einen neuen Plan auszudenken. Kaum waren sie eine halbe Stunde unterwegs, begann Nics Magen zu knurren. So ganz konnte sie das nicht verstehen, sie hatte doch gefrühstückt. Ihr Magen knurrte so laut, dass Luis lächelnd meinte: »Ich glaube, wir zwei gehen erst einmal richtig frühstücken. « Er ignorierte Nics Protest und fuhr die nächste Ausfahrt raus.

      Eine doppelte Portion Rühreier mit Speck, Bratkartoffeln und vier Scheiben Toast später, fuhren sie weiter. Wie das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, hatte Luis ihr eine Tüte mit Stückchen auf den Schoß gelegt. Nic starrte auf die Tüte. Irgendetwas lief hier ganz falsch, überlegte sie, jedesmal, wenn sie sich mit Onkel Luis traf, hatte sie das Gefühl, nur noch essen zu können, fast wie in einem Fressrausch. Mit jedem Bissen, den sie zu sich nahm, vernebelte sich ihr Geist zusehends; am Ende konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Auf der Farm hatte sie nie solchen Hunger. Verzweifelt überlegte sie, woran das liegen konnte, gab dann aber auf und begann, das süße Gebäck in sich hineinzustopfen.

      Gegen Mittag erreichten sie ihr Ziel. Nic meinte zu Onkel Luis: »Ich werde nur zwei Stündchen brauchen, um alles auszuräumen. Du kannst, wenn du möchtest, irgendwo etwas essen gehen und mich dann abholen. « Luis fragte: »Bist du dir sicher, dass ich dir nicht helfen soll? « »Nein, danke, ist schon okay, ich brauche nur meine Kleider und etwas Kleinkram zusammenzupacken«, sagte sie lahm. Mittlerweile war ihr wieder schlecht, der Magen schmerzte von dem vielen ungewohnten Essen, und ihr Kopf fühlte sich auch wieder an, als sei er in Watte gepackt. Kaum war Luis um die Ecke gefahren, wurde ihr schlecht. Sie schaffte es gerade noch zu Frau Patt, in deren Wohnung sie ihr Zimmer gemietet hatte. Mit einem, »Entschuldigung«, stieß sie die erstaunte Frau einfach zur Seite, stürmte das Bad und übergab sich. Zitternd spülte sie sich den Mund aus und wusch sich die Hände. Vor der Tür hörte sie Frau Patt voller Sorge nach ihr rufen. »Sind Sie in Ordnung, Kindchen? Soll ich einen Arzt holen? « Nic atmete mehrmals tief durch, bevor sie antwortete. »Alles ist gut, ich muss wohl auf der Fahrt etwas Falsches gegessen haben. «

      Als sie die Tür öffnen wollte, spürte sie eine weitere Welle der Übelkeit. Erst als ihr Magen restlos leer war, konnte sie hinaus wanken. Frau Patt faltete erschrocken die Hände, als sie Nic sah.

      »Gott, Sie sehen aber schlecht aus! «, rief sie entsetzt. »Kommen Sie, legen Sie sich doch mal für

      ein paar Minuten hin.« Sie schob Nic in ihr altes Zimmer. »Ich koche Ihnen in der Zeit eine schöne Tasse Tee. « Nic hatte nicht die Kraft, zu widersprechen, sie ließ sich auf ihr Bett fallen und war sofort eingeschlafen. Es schienen nur einige Minuten vergangen zu sein, als die Stimme von Frau Patt sie die Augen öffnen ließ. Diese stand mit einer Tasse Tee unsicher vor dem Bett. »Ich wollte Sie nicht wecken, Kindchen«, flüsterte sie, »aber Ihr Tee wird kalt. « Nic setzte sich auf, alle Übelkeit war verflogen, sie fühlte sich gut und voller Tatendrang. Immer noch war die Stimme von Frau Patt mitfühlend, als sie fragte: »Geht es Ihnen besser? « Wortlos nahm Nic die Tasse und trank den lauwarmen Tee in einem Zuge aus, dann schwang sie die Beine aus dem Bett und sah sich um.

      »Danke, Frau Patt, ich fühle mich wieder sehr gut und werde mich auch sofort an die Arbeit

      machen. « Frau Patt sah sie zweifelnd an. »Sie werden doch nicht schwanger sein? «, fragte sie unsicher. Nic sah sie nur überrascht an und schüttelte den Kopf. Einer der Gründe, warum Frau Patt Nic so als Mieterin geschätzt hatte, war, dass sie nie Männerbesuch mit nach Hause gebracht hatte. Was wohl daran lag, dass das Mädchen so hässlich gewesen war. Frau Patt besah sich Nic genauer: die vielen Pickel und Mittesser waren verschwunden, das Gesicht war leicht gebräunt. Die Haare schienen frisch gewaschen zu sein, und so wie es aussah, hatte das Mädchen sogar ein paar Kilo abgenommen. Wenn man sie jetzt so ansah, war sie fast hübsch.

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