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überlegte sie, wie ihre Großmutter die ganze Arbeit nur hatte allein bewältigen können. Ihr schmerzte jetzt schon jeder Muskel. Sie beeilte sich, suchte die Eier der Hühner zusammen und brachte auch diese in die Kühlkammer. Danach ging sie auf die große Wiese; das Gras war vor einigen Tagen geschnitten worden. Um es richtig zu trocknen, musste sie es wenden, und ein Blick zum Himmel sagte ihr, dass es nicht regnen würde.

      Gegen Nachmittag ging sie zum Brunnen und trank gierig zwei große Gläser des kühlen und erfrischenden Wassers. Der erste Besucher rief nach ihr, und sie verkaufte zwei Liter Milch. Da sie nun nah beim Haus bleiben musste, um Eier und Milch zu verkaufen, entschloss sie sich, das Unkraut im Gemüsegarten zu jäten und diesen auch gleich zu gießen. Zwischendurch lief sie hin und her, verkaufte Eier, Milch und Butter. Als sie aufblickte, sah sie, dass es schon früher Abend geworden war. Von der ungewohnten Arbeit wankte sie fast vor Erschöpfung, als sie die Tiere von der Weide holte. Ihr Körper schrie nach Ruhe, doch noch war der Tag nicht zu Ende. Als sie um neunzehn Uhr ins Haus stolperte, schaffte sie es gerade noch, sich zwei Scheiben Toastbrot zu machen und zu duschen. Sie fiel erschöpft auf ihr Bett und war sofort eingeschlafen.

      Nach dem Klingeln des Weckers am nächsten Tag, blieb Nic bewegungslos im Bett liegen; sie war sich sicher, nicht aufstehen zu können. Ihr Rücken schmerzte, und wenn sie versuchte, sich zu bewegen, brannten ihre Muskeln wie Feuer. Sie schloss die Augen und wünschte sich fort, sie war sich sicher: das war nicht ihr Leben. Wenig später hörte sie den großen Hengst wiehern, und die Angst um die Kreaturen trieb sie aus dem Bett. Flugs war sie angezogen und eilte zum Stall, doch als sie das große Tor öffnete, sahen die Tiere sie nur erwartungsvoll an. Der gleiche Trott wie am Tage zuvor erwartete sie. Wie zum Teufel hatte Großmutter es noch fertiggebracht, Brot und Kuchen zu backen? Woher hatte sie die Kraft genommen, das Farmhaus noch zu reinigen und die Wäsche zu waschen? Dies waren Fragen, die Nic durch den ganzen Tag begleiteten. Sie war einfach nicht in der Lage, sich abends noch etwas Warmes zu essen zu bereiten. Sehr früh am Abend fiel sie ausgebrannt ins Bett. Als sie den achten Tag überstanden hatte, überlegte sie, dass es wohl besser wäre, die Farm zu verkaufen. Sie würde in die Stadt fahren müssen, um die Farm zum Verkauf in die Zeitung zu setzen. Noch hatte Nic eine Woche Urlaub, danach würde sie wieder zu ihrer ruhigen Büroarbeit zurückkehren können. Sie würde wieder einsame, langweilige Abende in ihrem kleinen Zimmerchen verbringen, das sie angemietet hatte.

      Als sie am Abend schon auf dem Weg ins Schlafzimmer war, klingelte das alte Telefon. Ihre Freude war groß, als sie hörte, dass am anderen Ende der Leitung Onkel Luis war. »Wie geht es meiner Lieblingsnichte? «, fragte er liebevoll. Nic begann fast zu weinen; stockend erzählte sie ihm von ihren vollgestopften, anstrengenden Tagen auf der Farm. »Ich habe mich entschlossen, die Farm so schnell es geht zu verkaufen, « sagte sie mit zittriger Stimme. « »Du wirst die Farm nicht an irgendeinen dahergelaufenen Fremden verkaufen«, hörte sie die Stimme ihres Onkels. »Wenn du die Farm loswerden willst, dann gefälligst an mich«, sagte ihr Onkel mit schneidender Stimme. Nic war wie vom Donner gerührt, so hatte sie ihren Onkel noch nie sprechen gehört. Ihre Nackenhaare hatten sich gesträubt, etwas Gefährliches schwang in seiner Stimme. »Entschuldige«, sagte er, »ich wollte nicht so schroff sein. « Seine Stimme war wieder einschmeichelnd. »Mir sitzt auch der Tod deiner Großmutter noch im Herzen. Wie wäre es, wenn wir uns morgen nachmittag in der Stadt zu einem Kaffee treffen würden? «, fragte er versöhnlich.

      »Morgen kann ich leider nicht«, antwortete Nic zögerlich, »ich muss dringend das Heu in die

      Scheune bringen. «

      »Ach, komm schon«, sagte er drängend, »es wird schon nicht regnen. « Doch Nic ließ sich nicht überreden - irgendetwas sagte ihr, dass es doch Regen geben würde.

      »Gib deinem Herzen einen Ruck«, lockte Onkel Luis sie, »du wirst doch mal eine Stunde für deinen

      alten Onkel übrig haben. « Sie musste lächeln und meinte: »Also gut, wir treffen uns übermorgen um drei im Café in der Stadt. « »Das freut mich sehr. « Onkel Luis‘ Stimme klang hocherfreut. »Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. «

      Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte das Telefon erneut, sie glaubte, dass Onkel Luis etwas vergessen hatte. Doch als sie sich meldete, hörte sie am anderen Ende eine alte, männliche Stimme. »Hallo, spreche ich mit Nicoletta Vielfalt? Mein Name ist Alois Grisham, ich bin der Rechtsanwalt und Notar Ihrer verstorbenen Großmutter. Ich würde gerne mit Ihnen über das Testament Ihrer Großmutter sprechen. « »Großmutter hat ein Testament? «, fragte Nic überrascht. »Aber ja«, bestätigte Alois Grisham, »sie wollte, dass ich es ein paar Tage nach ihrem Ableben für Sie eröffne. « »Für mich? «, fragte Nic ungläubig. »Liebes Fräulein Nicoletta, Sie sind der alleinige Erbe ihrer Großmutter«, sagte der Notar. »Oh«, hauchte Nic in den Hörer; mehr fiel ihr dazu nicht ein.

      »Wann hätten Sie denn Zeit? «, fragte Alois Grisham.

      »Ich bin übermorgen in der Stadt, «, meinte Nic, »vielleicht können wir uns so um siebzehn Uhr

      treffen? « »Nein«, meinte der Notar, »das geht bei mir leider gar nicht, aber am Freitag bin ich in Ihrer Nähe, da könnte ich bei Ihnen vorbeikommen. « Nic überlegte kurz. »Also gut, wenn Sie mir versprechen, dass es nicht so lange dauern wird«, meinte sie dann. »Ich verspreche Ihnen, dass die Formalitäten schnell erledigt sind«, sagte Alois Grisham. »Ich danke Ihnen«, sagte er noch und legte auf. Nic stand noch einige Minuten am Telefon, und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie an ihre Großmutter dachte; ein Gefühl von Sehnsucht übermannte sie. Ganz plötzlich hatte sie Lust, einen Keks zu essen, das erste Mal seit Tagen brauchte sie etwas Süßes. Hatte Großmutter überhaupt noch welche? In der Küche wühlte sie sich durch die Schränke, und sie wollte schon aufgeben, da entdeckte sie in der hintersten Ecke des Schrankes eine weiße Dose. Erwartungsvoll öffnete sie diese schnell, aber außer einem dicken Briefumschlag war die Dose leer. Neugierig zog sie ihn heraus und war mehr als erstaunt, dass, in der Handschrift ihrer Großmutter, auf dem Umschlag ihr Name stand. Wieder überflutete sie eine Welle der Sehnsucht, und sie dachte, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich vermisse, Großmutter. Nic ließ sich auf einen Stuhl gleiten und öffnete erwartungsvoll den Brief. Als sie ihn auseinanderfaltete, wunderte sie sich, dass nur ein Bogen beschrieben war. Die anderen drei Bögen waren jungfräulich weiß. Sie begann zu lesen.

       Meine Liebste Nic,

       wenn du diesen Brief findest, kann es nur eines bedeuten, ich, Esmeralda Vielfalt, bin verstorben.

       Ich weiß, dass du hier im Haus wohnst und dich um alles kümmerst. Mit der Zeit wirst du feststellen, dass das Haus seinen eigenen Charakter hat. Ich möchte dich noch einmal daran erinnern, dass du mir das Versprechen gegeben hast, Onkel Luis nicht ins Haus zu lassen. Vor allem aber, egal was er dir schenkt, lass es draußen vor der Tür, bring es auf keinen Fall mit hinein! Du hast immer über meine Fähigkeiten gelächelt. Nun, meine Liebe, dies ist ein „selbstschreibender“ Brief. Immer, wenn du etwas nicht verstehst oder seltsame Dinge geschehen, werde ich diesen Brief für dich weitergeschrieben haben. Er soll dir helfen, zu verstehen. Also, schau bitte ab und zu mal nach, es könnte hilfreich sein.

      Nic schüttelte den Kopf. Sie hatte den Brief sinken lassen, war denn Großmutter schon so verkalkt gewesen, dass sie das glaubte, was sie da schrieb? Eigentlich war der Brief ja schon zu Ende gewesen, doch als Nic noch einmal darauf schaute, sah sie, dass zwei Zeilen dazugekommen waren. Ungläubig las sie:

       Nein, ich bin nicht verkalkt, mein Liebes, und ich flehe dich an, verkaufe die Farm nicht, hab ein wenig Geduld.

      Eine Gänsehaut kroch Nic über den Körper - schnell stopfte sie den Brief zurück in die Dose, schob sie wieder in den Küchenschrank und flüchtete in ihr Bett. Die Lust auf Kekse war ihr nachhaltig vergangen.

      Als sie am nächsten Morgen müde und lustlos in ihre Arbeitshose schlüpfte, stellte sie erstaunt fest, dass sie die ersten beiden Knöpfe an der Seite wieder schließen konnte. Das konnte nur bedeuten, dass sie abgenommen hatte. Ihre Laune hob sich schlagartig. Irgendwo musste sich die Plackerei ja auch auszahlen, dachte sie. Als sie sich die Zähne putzte, wagte sie einen genaueren Blick in den Spiegel. Ihre Haut war besser geworden, weit

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