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Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck
Читать онлайн.Название Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen
Год выпуска 0
isbn 9783750214132
Автор произведения Friedrich Gottschalck
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Thätigkeit in Darstellungen »aus seinem Leben« lehrreich
und warnend vor die Augen zu führen, und an
seinem eigenen Beispiele zu zeigen, wie selbst ein
großes Talent und ein gesundes Naturell in solcher
Zeit verleitet werden können, die Dichtung ganz in
das wirkliche Leben herab zu ziehen, und sie zu augenblicklichen
und bloß persönlichen Zwecken zu
verbrauchen, so daß sie am Ende, obgleich immer
ihrer eigenthümlichen hülfreichen Natur gemäß, nur
als ein »Hausmittel« dienen muß, um über innere
peinliche Verwickelungen oder kleine moralische
Verlegenheiten glücklich hinweg zu helfen.
Daß nun ein solches Zeitalter der Wunderwelt der
Volkssagen eben nicht günstig gewesen seyn könne,
läßt sich leicht erachten. Auch hat man darin nicht unterlassen,
sie bald als kindisch zu verspotten, bald als
abergläubisch und gefährlich zu verwerfen; und da
ein, eben dieser Zeit angehöriges, sonst achtbares Bestreben,
die Zustände des Volks zu verbessern und
dasselbe an sich heran zu bilden, hinzugekommen ist;
so hat man vielfältig sogar gesucht, die alten wunderbaren
Sagen und Mährchen ganz zu verdrängen, und
an ihre Stelle eine Reihe sogenannter natürlicher und
vernünftiger, kurz zeitgemäßer Erzählungen unterzuschieben,
so, daß, wenn es gelungen wäre, in kurzer
Zeit Nachbar Velten und Vetter Michel die Stellen
eingenommen haben würden, welche Kaiser Friedrich
und der Ritter Siegfried so lange glänzend behauptet
hatten.
Und in dieser Beschaffenheit der vorletzten Zeit
liegt nun auch der Hauptgrund, warum die Sagen und
Mährchen, wie ihre Sammler jetzt häufig klagen,
unter dem Volke selbst so selten geworden sind. Hernach
ist die Noth und der Druck der jüngsten Zeit hin-
zugekommen, und so haben nach und nach die seltsamen
Wesen und Gestalten der alten Sagenwelt sich
von der unfreundlichen Wirklichkeit in ihre Wälder,
Burgen, Klüfte und Höhlen, oder in ihre luftige Heimath
auf eine Zeitlang zurückziehen müssen.
Aber sie werden wiederkehren, und die glorreiche
Zeit, welche uns angebrochen ist, und worin Alles
ehrwürdig- Alte in erneuerter Form wieder auferstehen
muß, wird auch sie wieder, und hoffentlich in
noch besserer und verjüngter Gestalt, zurückführen
und in ihr altes schönes Recht einsetzen; ja, es ist zu
erwarten, daß diese Zeit selbst dereinst als der Beginn
eines neuen würdigen Sagenkreises und einer großen
nationalen Poesie, von den kommenden Geschlechtern
werde betrachtet werden.
Dritte Frage:
Wie lassen sich die Volkssagen ordnen und
eintheilen?
Diese Frage, welche wohl nur von ordnungsliebenden
Sammlern aufgeworfen werden möchte, läßt sich auf
mannigfaltige Weise beantworten.
Volkssagen lassen sich ordnen e i n m a l auf gleiche
Weise, wie die einzelnen Dichtungsarten selbst
klassifiziert worden sind, insofern dieß nämlich nicht
nach der Form der Darstellung, sondern nach der Art
des Inhalts geschehen ist, und so bekommen wir komische
und tragische, elegische und satyrische, idyllische
und epische Sagen; sie lassen sich f e r n e r ordnen
nach ihrer Heimath, und in dieser Rücksicht giebt
es allgemein verbreitete Sagen, Sagen einzelner Länder,
Sagen einzelner Provinzen, und endlich ganz bestimmte
Local-Sagen; sie lassen sich d r i t t e n s ordnen
nach den Gestalten, Personen oder Begebenheiten,
die in ihnen wiederkehrend vorkommen, und auf
diese Weise haben wir Hühnen-Sagen, Zwerg-Sagen,
Geister-Sagen, oder auch die Sagen von Karl dem
Großen, vom Kaiser Friedrich, die Mährchen vom
Rübezahl u.s.w.; und endlich v i e r t e n s lassen sie
sich ordnen, – und dieß möchte vielleicht die bequemste
und beste Art ihrer Eintheilung seyn, – nach der
ihnen selbst inwohnenden Zeit; und in dieser Rücksicht
kann man sie füglich in vier Hauptordnungen
bringen: Es giebt Sagen 1) aus fabelhafter Urwelt, 2)
aus dunkler Vorwelt, 3) aus späterer historisch erhellter
Zeit, und 4) die außer aller Beziehung auf irgend
eine Zeit stehen, und welchen man deshalb zur Unterscheidung
die Benennung: V o l k s m ä h r c h e n ,
beilegen könnte, da jene ersteren drei Arten hingegen
vorzugsweise den Namen der V o l k s s a g e n verdienen
möchten. Welche von diesen oder anderen ge-
denkbaren Eintheilungsarten man jedoch annehmen
wolle, scheint höchst gleichgültig zu seyn, oder wird
vielmehr von den besondern Zwecken abhangen, um
welcher willen ihre Sammlungen veranstaltet werden.
Am besten ist es wohl, sie gar nicht zu ordnen, ihr
freies, buntes, durch einander geschlungenes Leben,
durch keine steife Rangordnung zu stören, und dergestalt
den neu entdeckten oder neu erfundenen immer
einen ungehinderten Eintritt in die wunderbare alte
Gesellschaft offen zu erhalten.
Vierte Frage:
Welchen Nutzen haben die Volkssagen?
Wenn man zu Beantwortung dieser Frage zuvörderst
den Begriff von Nutzen überhaupt erörtert und die
mancherlei Zwecke berücksichtigt hätte, zu welchen
die Volkssagen etwa gebraucht werden können; so
würde man wahrscheinlich finden, daß nach Verschiedenheit
der Forderungen, welche an sie gemacht werden,
auch ihr Nutzen höchst verschieden ausfällt.
Wer sich ihrer gelehrten Absichten, für Historie,
alte Erdbeschreibung, Kultur- oder Sitten-Geschichte
und dergl. bedienen wollte, würde schwerlich eine reiche