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Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck
Читать онлайн.Название Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen
Год выпуска 0
isbn 9783750214132
Автор произведения Friedrich Gottschalck
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Lande, Braunschweig 1797. 8. S. 17 – 27, spricht
umständlich über Entstehung desselben.
Die drei Schwestern aus dem See.
Was dem Städter im Winter Schauspiel, Oper und
Ball ist, das ist dem einfachen Landvolke die vertrauliche
Spinnstube. In den langen Winterabenden kommen
da die Spinnerinnen zusammen, die jungen Bursche
gesellen sich dazu, man singt ein fröhliches
Liedchen, man scherzt, man löset Pfänder ein, oder
erzählt sich Mährchen und Gespenstergeschichten.
So war es vor uralten Zeiten, und so ist es noch
jetzt, im Süden wie im Norden.
Auch in dem Dörfchen Epfenbach bei Sinzheim in
der Unterpfalz kam man von jeher so traulich zusammen,
und setzte sich recht dicht um den warmen Ofen
herum, wenn's draußen stürmte und fror.
Aber damals traten, seit dem Gedenken der Aeltermutter,
drei wunderschöne weiß gekleidete Jungfrauen
in den fröhlichen Kreis. Man harrte ihrer jeden
Abend mit Sehnsucht, und wie gute Engel nahm man
die holden Schwestern auf; denn sie brachten jeden
Abend ein neues Lied mit einer Melodie, ein munteres
Spiel oder ein unbekanntes Mährchen mit. Jedermann
liebte sie, und besonders verweilten die Blicke der
jungen Bursche mit Wohlgefallen auf den schönen
Zügen der Jungfrauen; aber eine besondere Hoheit
verscheuchte jede Vertraulichkeit. Auch sie brachten
immer ihre Rocken und Spindeln mit, und keine der
Spinnerinnen übertraf sie an Behendigkeit und ihre
Fäden an Feinheit. So wie aber die Glocke eilf schlug,
so packten sie ihre Rocken zusammen, und nichts in
der Welt konnte sie bewegen, auch nur eine Minute
länger zu bleiben. Fröhlich und eilig verschwanden
sie aus dem Kreise, wie sie gekommen waren. Keine
Spur verrieth ihren Weg, wenn sie »gute Nacht« gesagt
hatten. Niemand wagte es aber auch, ihnen nachzugehen.
Man wußte nicht, woher sie kamen, man
wußte nicht, wohin sie gingen, man sah sie nur in die
Stube treten und wieder hinausgehen, und wenn man
von ihnen sprach, so hießen sie nur die Jungfrauen
aus dem See, oder die drei Schwestern aus dem See.
Alle jungen Bursche des Dorfs brannten im Stillen
für die wunderbaren Mädchen, keiner wagte aber
seine Empfindungen gegen sie laut werden, noch sie
ihnen merken zu lassen.
Besonders heftigen Eindruck hatte ihr liebes Wesen
und das Geheimnißvolle ihres Aufenthaltes auf des
Schulmeisters Sohn gemacht. Ihm that es so leid,
wenn sie gingen; ihm währte immer die Zeit zu lang,
bis sie wieder kamen, und war erst der Abend nahe,
so dünkte ihm jede Stunde, ehe er zur Spinnstube
gehen durfte, eine Ewigkeit. Wenn sie nun hereintraten,
die holden Schwestern, ach! da verstrich ihm wieder
die Zeit so schnell, die Stunden verliefen wie Mi-
nuten, und immer meinte er, die alte Thurmuhr tauge
gar nichts, denn im Winter laufe sie täglich eine halbe
Stunde vor. Aber die Jungfrauen meinten, die Uhr
gehe ganz recht, und kein Bitten konnte sie bewegen,
länger zu bleiben.
Lange sann der liebende Jüngling hin und her, wie
er es wohl anfinge, den Anblick der Unbegreiflichen
länger zu genießen. Endlich kam er auf den Gedanken,
die Thurmuhr um eine Stunde zurück zu stellen,
um sie zu täuschen. Er that's.
Mit recht freudigem Behagen ging er nun in die
Spinnstube; denn er sah ja die lieben Mädchen heute
eine Stunde länger.
Sie kamen, wie gewöhnlich, und brachten ein neues
Lied mit einer neuen Melodie mit, das sie die Anwesenden
lehrten. Darüber wurde der längere Verzug der
eilften Stunde nicht bemerkt. Die Jungfrauen blieben,
bis die Glocke eilf schlug, und gingen also eigentlich
erst um zwölf Uhr weg. Fröhlich und heiter, wie
sonst, schieden sie. Darüber freute sich der gute Jüngling
gar sehr, und beschloß, diesen unschuldigen Betrug
alle Abende zu wiederholen.
Aber er hatte sich vergebens gefreut. Als am folgenden
Tage einige Leute am See vorübergingen,
siehe, da hörten sie ein klägliches Gewimmer, und auf
dem Spiegel des Wassers gewahrte man drei große
blutige Stellen, die jedoch niemand zu deuten wußte.
Des Schulmeisters Sohn hatte nichts davon erfahren.
Er ging zur gewöhnlichen Zeit in die Spinnstube,
hatte auch wieder die Thurmuhr zurückgestellt, aber –
man harrte vergebens. Sie kamen nicht, und sind auch
niemals wieder gekommen, die lieben Schwestern.
Bald sagte dem trauernden Jüngling eine leise Ahndung,
daß er die Ursache ihres Verschwindens sey;
daß wohl sein unschuldiger Betrug ihren Lebensfaden
zerrissen habe. Und das quälte und nagte ihm an der
Seele. Er schlich umher, ward bleich und krank, suchte
Ruhe, und – fand sie im Grabe.
* * *
Unersättlichkeit im Genusse tödtet den Genuß. Wer
auch die unschuldigste Freude eine Stunde, und immer
eine Stunde länger schmecken will, als Geschick, Zeit,
Pflicht gestatten, der wird leicht sich und andern verderblich.
Hätte man diese Wahrheit in einer Dichtung darstellen
wollen, man hätte dazu nichts treffenderes finden
können, als die vorstehende Sage, welche aus der Badenschen
Wochenschrift von 1807 genommen ist.
Die goldenen Kohlen.
Nahe bei der Stadt Aschersleben1 liegt in dem engen
Thale, das die Eine durchfließt, eine Mühle. Groß und
stattlich sind ihre Gebäude, die Wohlhabenheit des
Besitzers verkündend. Vordem lebte aber einer ihrer
Eigenthümer in der niedrigsten Dürftigkeit, bis ihn