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Flirrendes Licht. Dieter Pflanz
Читать онлайн.Название Flirrendes Licht
Год выпуска 0
isbn 9783742726865
Автор произведения Dieter Pflanz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Was ist denn, verdammt?“
„Ach, Junge -“. Sie strich ihm mit den Fingerspitzen übers Gesicht, schloss die Augen, schwieg. Dann fuhr sie sehr ruhig fort: „Mir ist nur etwas hochgekommen -. So wie du das eben gesagt hast, habe ich es immer empfunden: wenn ich einen Brief von dir bekommen habe. Du warst immer ganz nahe bei mir.“ Wieder schwieg sie. „Deine Worte waren in mir! Du warst in mir drin ... völlig unabgelenkt. Und das hat mich immer wahnsinnig glücklich gemacht -.“
Sie heulte los, schnufte, suchte nach einem Taschentuch. Sie fand keins, wischte das Gesicht mit dem Sofakissen ab.
Sie schüttelte den Kopf, lachte nun, griff zum Glas. Er sei immer sehr präsent gewesen in den Briefen, und das über die vielen Jahre, wo sie sich nicht hatten sehen können. Sie habe sich schon häufig überlegt, wie er so etwas mache.
Das sei doch ganz einfach, sagte er: er habe sie zur literarischen Figur gemacht! - Für ihn sei sie noch immer Fünfzehn und davor das Kind: und genau das schmecke sie in seinen Wörtern! Durch sein Schreiben bekomme sie sich wieder selbst auf die Zunge des Gehirns ... und das lasse sie sich wohlfühlen! Sie sich selbst.
Er grinste sie an.
Nein. Das habe sie sich natürlich auch schon überlegt: dass er sie zur Heldin gemacht habe -. Sie lachte. Zur losgelösten, eigenständigen Literatur. - Nein, das sei es nicht. Die Verbindungen zu ihr, ihrem Leben seien stets sehr konkrete. Auch zu ihrem jetzigen Leben: mit seinen Problemen, Ärgern, Freuden. Wenn sie ihm vorher davon in ihren Briefen berichtet habe. - Doch irgendetwas Literarisches sei es: - habe wohl mit seiner wuchernden Phantasie zu tun.
„Nein ... ja.“ Er schloss die Augen, schmunzelte. „Wir beide sind sehr eng, lange zusammen aufgewachsen, Frey, in diesem Haus. Wir haben, um es mal abstrakt zu sagen, gleiche oder ähnliche Wissen gelernt. Nicht Wissen aus irgendwelchen Schulbüchern, sondern sehr konkrete, sinnliche Wissen: wie es war, wenn Mutti lachte oder die Wut kriegte ... wie Opa auf dem uralten Motorrad, mit dem offenen Motorschwungrad oder was es war, nach Berlin zur Arbeit fuhr ... wie dein Zimmer aussah, meins ... wie da das Bett stand, der kleine Tisch ... wie unser Ofen brannte, qualmte ... wie die Stürme hier im Winter über den Hang heulten -. Alles sehr sinnliche Erfahrungen, Wissen, wie sie jedes Kind macht oder doch machen sollte, und das Glück bei uns beiden war, dass es sehr einfache, gradlinige Wissen waren - oder wie man sagen soll. Nur wenige verschachtelte, überhäufte, wie sie, meine ich, die Kinder in den Großstädten heute vor allem machen. - Wir hatten das alles zusammen erlebt, als Wissen abgespeichert, und in unseren Briefen brauchte der eine davon nur etwas anzudeuten und sofort war beim anderen die Erinnerung da!“ Er hielt inne, befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. „Nur winzig kleine Andeutungen - manchmal allein als kurzes, sogar einsilbiges Wort - und sofort ist beim anderen oder im anderen wieder die Erinnerung da. Das konkrete Wissen. Und - ganzganz wichtig! - mit jedem Wissen kommen auch Gefühle einher!“
Seine Schwester sah ihn lange an, überlegte, wiegte den Kopf.
„Doch … Frey! Nicht ständig, nicht immer, aber sie kommen oder gehen mit jeder Erinnerung. Verborgen, im Hintergrund, irgendwie zurück. Ich spreche lieber von Wissen. Jedes gelernte Wissen ist - irgendwie im Dunklen zurück! - auch mit Gefühlen verbunden worden: die plötzlich und manchmal sehr heftig hochsteigen können. In jedem von uns, in allen.“
Sie zog ein zweifelndes Gesicht.
„Nein, Helmut, so generell, wie du sie machst, stimmen die Aussagen nicht. Ich glaube es wenigstens nicht. Bei unseren gemeinsamen Erinnerungen aus der Kindheit könnte es stimmen, da unsere Erlebnisse fast immer auch mit vielen Gefühlen einherkamen. Damals schon, mit unglaublich überschießenden Gefühlen: Freude, Lachen, Wut, Zärtlichkeit, Liebe, auch Neid, Eifersucht, Hass. Und so weiter. Bei denen würde ich zustimmen, dass sie als Gefühlserinnerungen sofort wieder wach werden, in uns hochsteigen, wenn der andere mit Worten Brücken zurückschlägt.“ Das wolle sie zugestehen, habe dafür aber andere Erklärungen. Das das Wesen von Kindheit, jeder Kindheit, sei wohl allgemein: dieser unglaubliche Gefühlswirrwar, der auch gleichzeitig ungemein intensiv empfunden werde. Und genau der mache später die sentimentalen Erinnerungen aus zurück an die frühen Jahre: weil man als Erwachsener eben solch intensiven Gefühle verlernt habe.
„Oder sie einem ausgetrieben worden sind -. Von der Gesellschaft.“
Sicher, Freya lachte, doch das sei nun mal der Weg des Erwachsenwerdens. Jede Gesellschaft müsse Strukturen aufbauen, die zum Funktionieren führten: zu ihrem Erfolg. Und da gehe es nicht, dass die Leute von einem warmen Gefühlserlebnis ins nächste taumelten. Es bedürfe hoher Disziplin, pünktlich zur Arbeit zu gehen, wenn abends das Feiern schön lustig lang gewesen sei. „Man darf sich dann nicht allein von Gefühlen steuern lassen -!“
„Gefühle werden den armen Erwachsenen nur noch beim Sex zugestanden -. Als Ersatz. Wobei mir scheint, dass viele Gefühlsempfindungen der Kinder weitaus stärker sind - und wohl auch schöner - als später die in ihrem ach so dollen Liebesleben.“
Sie lachten.
Das komme auf den Einzelnen an -. „Manche haben nur wenige Erinnerungen an die Kindheit ... viele erleben ihre stärksten Gefühle im Liebesleben ... andere wiederum kennen überhaupt kaum Gefühlserlebnisse“, meinte sie. „Ich für mich möchte auch sagen, dass ich meine stärksten Gefühle in der Kindheit hatte ... und zwar - mal ganz genau! - in der Nähe zu dir. Nicht unbedingt mit dir, aber nahe zu dir. - Wir beide waren immer wahnsinnig sachkonzentriert: auf Dinge, Probleme außerhalb unserer Person gerichtet!“ Ständig mit Bauen, Arbeiten, Basteln beschäftigt. An irgendwelchen Dingen, aber sehr konkreten, die sich anfassen ließen, von gewichtiger Substanz gewesen seien. Sie hätten ständig zusammen gearbeitet, und die Ergebnisse - oder anvisierten, geplanten Ergebnisse - seien immer sehr sehr konkret gewesen. Und dieses sachliche Handeln - im Wortsinn: handeln, Hand - habe bei ihr die stärksten Gefühle ausgelöst. Auch noch zurück, in der Erinnerung.
Ja, meinte Helmut, das gleiche behaupte er doch auch. „Ich benenne sie nur anders - diese Phänomene. Ich muss dir das endlich mal schreiben, damit du es richtig verstehst.“
4
„Nein!“ schrie sie. „Sprechen! Jetzt bist du bei mir: sprich!“
Er sei ein furchtbarer Redner, sprechen falle ihm äußerst schwer.
„Quatsch, du redest klar, sehr verständlich. Weiter!“
Wenn er rede, habe er immer das Gefühl, dass die Wörter mit ihm machten, was sie wollten, - doch wenn er schreibe, mache er mit den Wörtern, was er wolle. Um genau zu sein, brauche er deshalb das Schreiben. - Das habe mit seiner Hyperventilation zu tun. „Wirklich schlimm ... mein ganzes Leben. Wenn ich vor Menschen reden musste, geriet ich sofort unter Hyperventilation, so dass ich kaum weiterreden konnte. - Wie ich es heute sehe, war es wohl die Hyperventilation.“
Er rede hier nicht vor Menschenmassen, sondern vor ihr: Freya. Einzelperson!
„Habe ich auch schon bemerkt -,“ er grinste, „dass du einzelartig bist. Deshalb fällt mir das Reden auch schon leichter, vor dir. Aber nur ein bisschen.“
„Du redest wie ein Buch.“
„Ich habe aber schon richtige Stiche in der Brust“, jammerte er.
Sie sah ihn forschend an. „Stiche -?“
Vorne, quer rüber. „Richtigen Druck auf der Brust ... wie in dem Märchen! Eiserner Gustav oder wie das hieß.“
„Gustav -? Du meinst den Eisernen Heinrich, den Froschkönig.“
„Ja, den Eisernen Heinrich. Heinrich, der Wagen bricht ... nein, nein, der Wagen nicht ... nur ein Band von meinem Herzen, das da lag in großen Schmerzen -. Oder wie ging das?“
„Junge -“, sie lachte, trommelte leicht mit den Fingern auf den