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Flirrendes Licht. Dieter Pflanz
Читать онлайн.Название Flirrendes Licht
Год выпуска 0
isbn 9783742726865
Автор произведения Dieter Pflanz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Räder des Autos knirschten auf Steinen. Rechts, links auf den leicht erhöhten Wegerändern nur Gras.
„Das war das mit Kalle. Und als Mann darf er auch neben mir auf dem Sofa liegen, wenn ich lese. Weil das Thema Männer der Ausgang unseres Gesprächs war. Ab und zu auch in meinem Bett - aber unten auf dem Fußende, und nur auf. Obendrauf auf dem Bett.“
„Wusste ich doch -“, sagte Helmut traurig, „fremde Männer.“
„Du siehst gut aus, sogar die Haare sind wieder gewachsen!“ Sie wuschelte ihm mit der rechten Hand übern Kopf.
„Mir geht‘s auch gut ... du siehst, ich bin den ganzen langen Weg gelaufen, zwar langsam, aber immerhin.“
„Du hättest dich vom Taxi gleich bis oben bringen lassen sollen! Oder mich dich vom Bahnhof abholen lassen“, sagte sie streng. „Ich habe eine ganze Stunde gebraucht, um dich endlich zu finden. Um die verschiedenen Wege zu mir abzufahren.“
Nein, er könne sich nicht einfach einfliegen lassen. Er müsse das Land zuerst langsam sehen, um anzukommen. Die Erde unter den Füßen spüren, den Wald riechenı, die Äpfel, Brombeeren. Sie riechen. Besonders nach dieser langen Zeit. Deshalb als erstes den Weg zu Fuß gehen wollen, den sie früher immer gegangen seien.
„Diesen Weg sind wir aber selten gegangen, Helmut -.“ Sie hielt wieder an, lächelte.
„Nicht - ? War das nicht der Schulweg?“
„Nein. Unseren Schulweg zeige ich dir gleich. Den Weg eben sind wir hinuntergelaufen, wenn wir Pilze suchen wollten oder Bucheckern. Da unten am See gab es große Buchen. Dieses eine Jahr, wo es so wahnsinnig viele Bucheckern gab - Siebenundvierzig. Oder Sechsundvierzig. Wir hatten uns aus Kaninchendraht Siebe konstruiert, Sammelsiebe für die Bucheckern, und sind jeden Tag losgezogen. Für zehn Kilo Bucheckern gab es ein Liter Öl. Mutti hat sich immer wahnsinnig gefreut, wenn wir die Eimer voll Bucheckern brachten.“
„Ja -“, sagte er langsam, „ich weiß noch, wie die feuchte Buchenerde roch. Hab ich irgendwie noch immer in der Nase. Doch diese Rahmen waren gut, mit dem aufgenagelten Kaninchendraht, wir haben richtige Sammelrekorde aufgestellt!“
Sie sahen sich an, ihre Blicke gingen hindurch, weit weg.
Doch Kilo -? Komme ihm ein bisschen viel vor. Nicht Pfund? Ein Liter Öl für zehn Pfund.
„Ich meine Kilo ... egal - .“ Plötzlich fasste sie ihn seitlich im Haar, küsste ihn, rieb die Stirn gegen seine Stirn. „Du siehst wieder gut aus.“ In ihren Augen standen Tränen. „Du hast fürchterlich ausgesehen, als ich dich im Krankenhaus wiedersah.“
„Doll dürfte ich nicht ausgesehen haben … zwei schwere Bauchoperationen, plus Chemotherapien. Du hättest nicht kommen sollen. Immer erst warten, bis der Held wieder Held geworden ist -.“
„Du sahst fürchterlich aus. Ich habe die ganze Zeit geheult, im Zug. Auf der Rückfahrt.“
„Könnte es sein, dass du in letzter Zeit zu viel heultst, Frey -?“ sagte er, grinste.
Sie schloss die Augen. „Ja. - Doch ich musste kommen. Als ich da im Krankenhaus anrief, um mich zu erkundigen, wie die Operation verlaufen war, bekam ich gleich den Arzt an den Apparat, der dich operiert hatte. Den verantwortlichen Oberarzt, Chefarzt, und der war ganz high. Wirklich high. Er schrie direkt, lachte ins Telefon - ‚Ihr Bruder ist geheilt!, geheilt!‘ schrie er immer wieder. Der war über seinen eigenen Erfolg total high, ein noch junger Arzt von der Stimme. Und da musste ich sofort kommen!“
Helmut lachte. Die Ärzte da habe er wirklich high gemacht - die seien richtig glücklich gewesen, tagelang. Doch er selbst habe keine Erinnerung an ihren Besuch: nur Schemenhaftes, aber nicht vor Augen, sondern dem Ohr: dass da irgendwas gewesen war. Irgendwer gewesen war. Und wahnsinnige Müdigkeit ständig die Augen geschlossen habe. „Ich hab es dir geschrieben: dass ich an deinen Besuch überhaupt keine Erinnerung habe.“
„Ich musste kommen! Und du sahst fürchterlich aus: an all den Drähten, Schläuchen, ganz bleich, keine Bewegung, nur Zucken in den Augen. Unter den Augenlidern.“
Da sei er noch halb in Narkose gewesen. Acht Stunden Operation, ursprünglich habe sie über elf dauern sollen, mit zehn Liter gebunkertem Blut - . Doch jetzt gehe es ihm nicht schlecht, wie sie sehe. Er grinste.
„Hinterher habe ich nur noch geheult.“
„Du warst zu früh.“
„Vorher wolltest du mich nicht sehen!“ sagte sie heftig. „Ich wollte vor der Operation kommen, aber du hast mich abgewimmelt.“
Er hob nicht wissend die Schultern.
„Das vergesse ich nie! Ich wollte dich vorher besuchen - und da hast du mich ganz brutal abgewimmelt.“
„Ich erinnere mich wirklich nicht.“
„Weißt du, was du gesagt hast?!: ‚Wenn du kommst, verliere ich die Ruhe zum Sterben‘. Wörtlich, am Telefon. - Das vergesse ich dir nie!“ sagte sie, schlug ihm mit den Faust gegen die Brust.
Er hielt ihre Hand fest, grinste. „Nicht! Der Hund beißt mich ... der wird schon ganz komisch.“
„Der soll dich beißen!“
Sie lachten, rieben die Köpfe aneinander.
Sei schon spannend gewesen -, meinte er, wirklich. Bis dahin nie mit Krankenhäusern zu tun gehabt. Wochenlange Untersuchungen im ersten kleinen Krankenhaus, bis sie schließlich den Bauch aufgeschnitten, um nachzusehen. Und gleich wieder zugeklappt! „Wie in den bekannten Stammtischgesprächen: - aufgeschnitten und gleich wieder zugeklappt! Hoffnungslos. - Weil‘s aber ein sehr seltenes Gewächs war - ein Leiomyosarkom - wurde ich ins nächste größere Haus weitergereicht.“
Er schloss die Augen.
Da zuerst einmal Chemotherapien, um den Tumor zu schrumpfen. In Abständen, von Wochen. Dann weitergereicht in die Medizinische Hochschule nach Hannover.
„Da warst du sehr lange, hast mir unentwegt geschrieben“, sagte sie.
Eines Tages habe alles zueinander gepasst: keine schweren Unfälle, die vorgezogen werden mussten, die eingeplanten Operateure frei - den Bauch zum zweiten Mal aufgeschnitten. Riesenschnitt. „Und dann haben sie plötzlich gesehen, dass der Tumor überhaupt nicht dort saß, wo die ersten Operateure meinten: nicht in der Bauchspeicheldrüse, sondern darunter, in der Vena cava. Der Großen Hohlvene.“
„Du hast wirklich Glück gehabt.“
„Die muss ich richtig glücklich gemacht haben -. Obwohl natürlich nichts von all dem mitgekriegt. Junge Leute, in den Dreißigern. Kurz danach musst du angerufen haben! Wenn das wirklich Bauchspeicheldrüse gewesen wäre, wär ich schon lange nicht mehr da.“
„Der war völlig aufgeregt, stammelte am Telefon, freute sich wie ein Kind, schrie in den Hörer. Und da bin ich sofort gekommen … mit seiner Genehmigung.“
Die Ärzte tagelang aus dem Häuschen, ständig Sätze wie: ‚Mein Gott, haben Sie ein Glück gehabt!‘ Und da erst habe er begriffen, was für eine gefährliche Operation es gewesen sei.
„Du hast unheimliches Glück gehabt!“
„Heute weiß ich das. Nur die ganze Zeit in den Krankenhäusern, es waren Wochen, Monate, hatte ich nie das Gefühl, todkrank zu sein. Oft gedacht: Was reden die bloß alle -. Natürlich nie etwas laut gesagt, nur still vor mich hingedacht. Wenn man wirklich stirbt, müsste man das eigentlich merken ... und ich spürte nichts. Bis auf die dicken Beine, mit denen ich ständig herumlief, um die fremde Krankenhauswelt zu erkunden.“
Gefühle könnten täuschen - , meinte sie, kenne sie von sich selbst zur genüge.
„Sicher, wusste ich auch damals schon, habe ich ständig in Erwägung gezogen, sozusagen als Gegenprobe. Doch ständig überwog in mir das Gefühl, welchen Unsinn da die Ärzte redeten.“
Sie lachte.