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wirklich behalten. Daran erkenne ich, dass du bald wieder völlig gesund bist!“ Doch bei Kaffee allgemein, sagte sie, holte Gläser, eine Flasche, stellte sie auf den niedrigen Tisch zwischen den Zweiersofas, habe in letzter Zeit ein enormer Dreh stattgefunden. Heute werde der meiste Kaffee nicht mehr zu Hause, sondern in Büros, auf der Arbeit getrunken.

      „Und im Auto! An den Tankstellen!“

      Ja. Einmal sei er billiger geworden, aber es habe auch ein ganz eigenartiger Dreh stattgefunden: die Leute seien als Masse in Abhängigkeit geraten, benutzten Koffein nun, um den Stress von allen Seiten aushalten zu können. Den Anpassungsdruck. Sie müssten heute einfach nur noch durchhalten, und für dieses Ziel hätten sie ganz neue Strategien entwickelt. Ob willentlich, übers Gehirn, fraglich, wahrscheinlich habe sich ihr Körper selbstständig gemacht. Solches Verhalten gegen ihren Kopf erzwungen.

      „Aus Angst. Den Anforderungen nicht gewachsen zu sein.“

      „Den Anforderungen ihrer Welt.“

      „Der sozialen Welt. Den Zwängen ihrer sozialen Umwelt!“ sagte Helmut. Es seien stets die Mitmenschen, die solche Zwänge in einem auslösten, und nicht die Welt als solche. Der Schneesturm für den Eskimo oder der Orkan auf dem Meer für den Seemann bedeute natürlich auch wahnsinnigen Stress, aber wahrscheinlich völlig anderen als im Büro. Dieser natürliche Stress, oder wie man es nennen wolle, erfordere alle Kraft, alle Fähigkeiten. Erzwinge alles Wissen, alles Denken! Ohne dass der Kapitän vorher Kaffee trinken müsse -.

      „Den muss er aber wieder in Unmengen trinken, wenn er sich den Ärger, die Regressforderungen vorstellt, die zu Hause wegen verlorener Ladungen auf ihn zukommen -.“ Sie drehte den Verschluss der Flasche auf.

      Er sah ihr lächelnd zu, meinte dann, sie sei richtig seriös geworden.

      „Was hat Madeira ‚Rainwater‘ denn mit seriös zu tun -?“, wehrte sie ab. Nur ein kleiner Abschluss zum süßen Kuchen von vorhin. Schmecke immer gut finde sie, auch wenn es nicht regne.

      „Das mein ich nicht, sondern wie du gehst, stehst.Deine Bewegungen. Die hatte ich völlig anders in Erinnerung.“

      Sie zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht -. Ich musste mich viel unter Menschen bewegen, da nimmt man bestimmte Haltungen an.“ Sie errötete. Gehöre wohl zum Imponiergehabe, da man nicht nur mit Worten auf andere wirke, sondern auch oder sogar sehr mit der Ausstrahlung des Körpers. Vor allem als Frau. Und besonders wenn man öffentlich sprechen müsse, vor Gruppen von Menschen. Habe sie sich wohl im Studium und später im Beruf angeeignet, ob als bewusste Strategie wisse sie nicht, wahrscheinlich über Versuch und Irrtum. „Und dann haben natürlich auch oft Professoren etwas gesagt oder Vorgesetzte, im Anfang: Mädchen, du musst gerade stehen, wenn du etwas vorträgst!, du musst die Leute ansehen, wenn du in den Raum kommst! Und so weiter. Oder Freunde haben es mir gesagt.“

      „Das war mir gleich vorhin schon aufgefallen, als du mich fandst, hinten am Weg. Mein erster Blick auf dich spürte sofort, dass da eine Andere stand! Einen Augenblick, aber wirklich nur einen winzigen, war ich nicht sicher, dass du es seist, Frey -.“ Er lachte. „Wirklich. Und wenn ich seriös sage, meine ich es nicht ironisch … diesmal.“

      Sie habe es aber so aufgefasst, da er solche Wörter in seinen Briefen, Büchern stets ironisch benutze. Fast stets.

      „Diesmal nicht. Und diese Haltung, Bewegungen gefallen mir ausgesprochen gut an dir ... ziehen mich wahnsinnig zu dir hin.“ Er schloss die Augen. „Ein richtig warmes Gefühl. Ich möchte dich dann nur noch in die Arme nehmen ... ach, Scheiße.“

      „Ich dich auch“. Sie beugte sich zu ihm, küsste ihn.

      Sie streichelten sich.

      Bei ihm habe sie das gleiche Gefühl - trotz seiner entspannten, um nicht zu sagen wurstigen Haltung, meinte sie dann plötzlich. Außerdem dürfe man als beobachtender Wissenschaftler nicht die hohen Schuhabsätze der Damen vergessen! Die bestimmte Haltungen erzwängen. Wenn er als Mann Stöckelschuhe hätte tragen müssen, wäre wahrscheinlich vieles auch anders verlaufen. Obwohl sie es nie mit den ganz hohen versucht habe, nur mit mittel-, flachhohen.

      Sie lachten.

      „Das ist mir überhaupt noch nicht in den Sinn gekommen: dass ich mit hohen Absätzen bei den Verlagen mehr Erfolg gehabt hätte! Auf was man als Schriftsteller in dieser Gesellschaft alles achten muss -.“

      Sie schwenkte die Flasche, fragte, er wohl doch auch noch. Helmut nickte, aber nur ein Kleinbisschen. Und wenn es gehe, in einem breiten Glas, Whisky- oder Zahnputzglas. Eins das man richtig anfassen könne. Diese dünnen Stielchen zwischen zwei Fingern machten ihn immer nervös. Offiziell trinke er zwar nicht mehr seit seiner Erkrankung. Als der Befund endgültig gewesen, habe er damit rigoros aufgehört, um seinem Körper Gutes zu tun, ihn im Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Vorher habe er spanischen Wein getrunken, ganz zuletzt Gin, aber nur ein bisschen, zwei Finger hoch, pur, über Stunden abends beim Lesen. Und stets aus vernünftig breiten Gläsern!

      Freya holte lachend andere Gläser, goss ein. „Finde ich aber schön, dass du mittrinkst. Trinken, Rauchen sind meine Schwachstellen, gehören eindeutig zu mir.“ Sei zwar irre unvernünftig, und sie wolle sich auch bessern, möglichst bevor davon krank geworden, aber im Moment brauche sie es, um über die Runden zu kommen.

      „Es sind schlimme Phasen für dich, Frey, nimm, was dir guttut.“

      „Und du hast wirklich den Alkohol aufgegeben -?“, bog sie ab.

      Dies der erste Schluck seit fast einem Jahr, Madeira aber gut, habe er so gar nicht in Erinnerung gehabt. Das Trinken mit der Erkrankung aufgegeben, Schreiben wieder angefangen!: beides willentlich, über den Kopf. „Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich wieder an einem neuen Roman arbeite -?!“

      „Nein“, rief sie aus, ihre Augen waren ganz bei ihm. In ihm drin.

      „Doch. Und ganz bewusst. - Mir war klar, dass ich arbeiten, mich auf anderes konzentrieren musste, um nicht ständig an den Scheißkrebs zu denken. Und so habe ich einfach wieder angefangen, einen Roman zu dem ich schon vage Vorüberlegungen hatte. Bereits zwischen beiden Bauchoperationen, den Chemotherapien: eines Tages einfach hingesetzt und angefangen! Ganz willentlich, um mich auf anderes zu konzentrieren.“ Um sich zu retten ... wie er sich immer mit Schreiben gerettet habe.

      Er schnaubte amüsiert.

      „Du kennst mich ja, Schwesterchen -.“

      Das finde sie sehr gut. Und wie verlaufe es -?

      Bereits zig Seiten, an die hundert. Ob der Text etwas tauge, wisse er nicht, aber er denke nun viel konzentrierter an die Personen, Szenen des Romans als an die Krankheit. Selbst der Onkologe mit seiner einundneunzigkommasechsprozentigen Wahrscheinlichkeit sei weit weg -. „Irgendwie völlig unbedeutend, gegenüber den Sätzen, die ich morgens meinen Helden mit der Schreibmaschine sagen lasse.“ Und er schreibe mit der alten Schreibmaschine! - Viel besser!: das laute Klacken der Typenhebel lege irgendwie eine abschirmende Lautkulisse um ihn herum, als wenn man in einer riesigen Muschel sitze. Er höre dann besser die inneren Stimmen. Die Stimmen der Dialoge müsse er sinnlich agieren lassen, um den richtigen, falschen Klang schnell herausfinden zu können. Und auch in die Passagen außerhalb der sprechenden Personen müsse er sinnlich hinein: mit Nase, Ohren, Augen, Mund. Um die Echtheit zu finden. Den wahren Punkt. Der oft auf haarscharfen Linien liege. Trennungs-, Aussagelinien. Wörterlinien. - Bei Wörtern sei er fürchterlich altmodisch: er denke immer noch, dass die etwas bedeuteten -.

      Wieder schnaubte er amüsiert.

      Für das alles sei die abschirmend laute mechanische Schreibmaschine weitaus besser als sein Computer. - Und deren Druckpunkt! Dass er mit den Fingern größeren Druck aufwenden müsse, um einen Buchstaben zu schreiben. Der Text drücke dabei zurück in den Finger, seinen Körper: Druck gleich Gegendruck, physikalisch. So sei er gleich sinnlich drin in dem Zubeschreibenden - über dieses mechanische oder mechanistische Phänomen. „Verstehst du das? Wenn ich der Heldin in der mechanischen Schreibmaschine die Hand auf ihre Hand legen lasse, kommt über die Typenhebel sofort etwas zurück

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