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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
mehr Ihr aber leidet, desto größere Gnade werdet Ihr
erlangen. So sehr sollt Ihr Euch demütigen, daß Ihr
Eure Schwestern um Verzeihung bittet.« »Herr, das
kann ich nicht! Lieber lasse ich mich zerstückeln! Ich
bin eine Edeldame dieses Landes, und mein Vater
würde mich töten, wenn er mich wiedersähe. Die Gemeinen
würden mit Fingern auf mich weisen und
überall würde meine Schandtat bekannt. Gebt mir,
Herr, eine Buße, die meinen Leib mehr quält und mir
mein Leben härter macht!« »Liebe Freundin, Ihr müßt
dies tun, Gott wird Euch trösten und stärken. Eine andere
Buße kann ich Euch nicht geben, geht in Frieden,
und ich sage Euch, daß sich Eure Missetat zum Guten
wenden wird.« »So werde ich Eurem Befehle nach-
kommen, Herr! Ich lege mein Leben in Gottes und der
heiligen Jungfrau Hand. Möge ihr Erbarmen über mir
Unwürdigen erscheinen, und sende mir Gott baldigen
Tod!« Sie ging und zerraufte sich mit den Händen das
Haar. Einsame Wege wanderte sie und sprach weinend
ihr Gebet: »Herrin, Königin der Majestät, süße
Herrin! Im Tempel deiner Jungfrauschaft weilte Gottes
Sohn und wollte sich nicht von dir trennen, denn
wie eine süße Blume duftet deine Reinheit. Bewahre
meinen Leib und meine Seele, den Leib vor Schmach
und Tod, die Seele vor Sünde! Ich bereue meine
Schuld und gebe mich ganz in dein Erbarmen. Hab'
Gnade, Herrin, dein bin ich ganz und gar!« So ging
sie in Verzweiflung und wanderte so lange, bis sie zu
einer Hütte kam, die neben dem Kloster, in welchem
sie gedient hatte, lag. Eine gute alte Frau, die in der
Abtei beschäftigt war, bewohnte das Häuslein. Hier
wurde sie aus Nächstenliebe beherbergt, und sie speiste
mit der Alten zu Abend. Nach dem Essen plauderten
sie über dies und jenes, und schließlich redete die
Nonne ohne Schleier ihre Hausfrau folgendermaßen
an: »Wirtin, Eure Sakristanin, welche mit so großem
Eifer im Kloster diente und die Kranken zu heilen
pflegte, wo ist sie? Ich habe viel Übles von ihr reden
hören: daß ein Mann sie entführt habe, dem sie sich in
sündiger Lust hingab. Um Gottes willen, sagt mir,
was Ihr davon wißt!« Die Alte erschrak über das Ge-
hörte und antwortete zornig: »Frau, Ihr seid toll, daß
Ihr so von unserer Sakristanin redet, Ihr verleumdet
die beste, die heiligste, die meistgeliebte Frau, die je
auf Erden lebte. Ihr braucht nicht lange nach ihr zu
suchen, denn erst heute habe ich sie gesehen und ihren
Segen empfangen da, wo sie ihren Dienst wie eine
Heilige und ohne Fehl versieht. Ihr seid nicht bei Sinnen,
daß Ihr so von ihr redet. Seht, auf der Straße harren
an zwanzig Kranke: Lahme, Blinde und Besessene,
die alle den nächsten Tag erwarten, damit sie die
Heilige mit einem Zeichen ihrer Hand heilen möge.
Schweigt mit Eurer Torheit, denn übel könnte es Euch
ergehen, wenn Euch andere Leute hören.« Als die Büßerin
solches hörte, verwunderte sie sich sehr und
wußte nicht, was sie davon halten solle. Sie verbrachte
die Nacht schlaflos in Gedanken, und sobald die
Morgenglocke läutete, erhob sie sich, kleidete sich an
und ging in das wohlbekannte Kloster. Eine milde
Frau öffnete ihr, die Verlorene wich zurück und
sprach: »Herrin, um Gott, wer seid Ihr?« »Sagt mir
zuerst, liebe Freundin, wer Ihr seid,« fragte die Pförtnerin.
»Herrin, mit Schmach gesteh ich's ein. Ich war
Sakristanin in diesem Kloster und gut tat ich meine
Pflicht, bis der Teufel mich überwand und mich all
meiner Schätze beraubt in die Schande stieß. Ich bin
die, von der Gott sich abwandte, weil ich um der
Sünde des Fleisches willen ihn und seine Mutter ver-
ließ. Um meine Meisterin, der ich mich weihte, gräme
ich mich am meisten, denn sie berief mich zu großen
Ehren. Nun bin ich durch eigene Schuld ihre Widersacherin
geworden, und kaum wage ich, sie um Verzeihung
anzugehen. Ich bin verflucht und ausgestoßen,
von der Liebe Gottes ausgelöscht. Um Gnade und Erbarmung
zu erflehen komme ich her, aber schwerlich
werde ich für meine rasende Lust Vergebung finden.
Herrin, nun habe ich Euch gesagt, wer ich bin. Um
des Erlösers willen bitte ich Euch, sagt mir jetzt
Euren Namen!« »Ich will ihn dir nennen: ich bin
Maria, die Gott gebar. Du hast meine große Güte
schlecht vergolten. An deiner Statt habe ich die Zellen
gefegt, die Glocken geläutet, die Türen geöffnet, die
Lampen entzündet, und jedermann glaubte, du seiest
hier. Niemand weiß um deinen Fehltritt, denn dafür,
daß du mir so treu gedient, habe ich deine Schmach
verhüllt. Ich vergebe dir deine Sinnenlust, aber hüte
dich, ein zweites Mal zu sündigen. Nun geh zu meinem
Altar, dort findest du dein Ordenskleid, bekleide
dich damit und fürchte nichts!« Außer sich vor Freude
warf sich die Sünderin zu Füßen der Gottesmutter in
den Staub, doch diese entschwebte, und sie hielt nur
die Erde umfaßt, die sie küßte, weil die Sohlen der
Himmelskönigin sie berührt hatten. Dann wandte sie
sich zum Altar, bekleidete sich mit ihrem Nonnengewand
und machte sich daran, ihren Dienst zu verse-
hen, wie sie es früher getan hatte. Niemand aber ahnte
etwas von dem, was sie verschuldet hatte. Mit Beten,
Fasten, Kasteiung und guten Werken brachte sie ihre
Jahre dahin, um die versäumte Zeit wieder einzuholen,
bis Gott der Herr ihre Seele zu sich in sein Reich
nahm.
Vom Dieb, der sich jedesmal, wenn er zum
Stehlen ging, Unserer Frau