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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
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isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Herz voll Festesfreude, aus dem Gotteshaus. Das Judenbüblein
eilte heim und lief seinen Eltern entgegen.
Da fragte der Vater mit bösem Blick, wo es gewesen
sei, und das Knäblein antwortete furchtsam, es sei mit
den andern Kindern im Dom des Herrn gewesen und
habe vor dem goldenen Altar mit den andern gespeist.
Als der Vater hörte, daß das Kind die Kommunion
empfangen habe, da knirschte er vor Wut mit den
Zähnen. Ganz in der Nähe stand ein Glasofen mit loderndem
Feuer. Der Vater packte den Knaben unter
den Armen und warf ihn in die Flammen, dann versperrte
er den Ofen von außen, damit der Körper zu
Asche werde. Die Mutter des Knäbleins aber raufte
vor Schmerz ihre Haare und schrie, so daß das Volk
zusammenströmte und nach der Ursache ihres wilden
Gebarens fragte. Da erzählte sie den Leuten die Missetat
ihres Mannes. Die Leute öffneten den Ofen mit
Gewalt und blickten in die flackernde Glut und siehe:
der Knabe war heil und unversehrt. Zwar züngelten
die Flammen an ihm herauf, von allen Seiten umleckte
ihn das Feuer, aber er spielte mit den Funken, als
seien es Blümlein auf grüner Au. Da faßte die Menge
freudiges Staunen, und sie fragten das Knäblein, wie
ihm bei der Marter zumute gewesen sei? »Marter?«
erwiderte er, »ich fühlte keine! Als sich der Ofen
schloß, da erschien die hehre Frau, die ich dort im
Münster bei den Christen geschaut, wie sie dem Priester
half, die Speise auszuteilen. Sie stand neben mir
und hielt einen lächelnden Knaben an ihrer Brust,
mitten im Feuer stand sie, und mit ihrem weiten Mantel
wehrte sie die Flammen von mir ab. Ich habe
weder Schmerz noch Pein gefühlt. Wie durch einen
blühenden Garten schritt sie durch die Glut, wahrhaftig,
das muß eine gute und heilige Frau sein!« Als die
Leute dieses hörten, da lobten sie Gott und seine glorreiche
Mutter. Der alte Jude wurde in den Ofen geworfen
und zu Asche verbrannt, wie er es verdient
hatte, die Mutter aber ließ sich nebst ihrem Söhnlein
taufen, und das gleiche taten viele Juden um der seligsten
Jungfrau Maria willen, die den Judenknaben vor
dem Feuertod gerettet hatte.
Die Nonne und der Ritter
Einst lebte in einer Abtei, deren Sakristanin sie war,
eine Nonne von heiligmäßigem Wandel; ihr ganzer
Sinn war auf gute Werke gerichtet, sie betete fleißig
und ehrte Gott und seine Heiligen, vor allem aber verehrte
sie Tag und Nacht die Mutter Gottes. Jedesmal,
wenn die gewohnte Stunde gekommen war, kniete sie
allein vor dem Bilde Unserer lieben Frau nieder und
bat sie um Vergebung für ihre Sünden. Der Dienst
Mariens war ihre einzige Speise, und um die Dinge
dieser Welt sorgte sie sich nicht. Ihre guten Werke
würdigten sie so, daß sie eine Freundin Gottes und
der heiligen Jungfrau, der sie diente, wurde. So groß
war ihre Begnadung, daß die Kranken zu ihr kamen
und Genesung fanden, wenn ihre Hand sie berührte.
Lange Zeit verharrte sie so im Wohltun, bis der Teufel,
der das Gute wo er kann vernichtet, sie versuchte
und schließlich zu Fall brachte. Ein Ritter entführte
sie aus dem Kloster und verlockte sie durch Versprechungen,
daß sie sich ihm ganz zu eigen gab. Sie vergaß
ihren Eid und warf ihr Ordensgewand vor dem
Bild der Himmelskönigin beiseite, sie floh das Licht
und tauchte in die Finsternis. Wie ein Wanderer, dem
die Kerze verlöscht, auf nächtlichen Pfaden in den
Abgrund stürzt, so wandelte sie die finsteren Wege
der Welt, die ins endlose Feuer führen.
Zwei Jahre verharrte sie in sündiger Fleischeslust,
aber dann erinnerte sie sich plötzlich ihrer Meisterin
und Freundin, der heiligen Jungfrau, welche sie feige
verlassen hatte. Sie ward freudenlos und krank, als sie
ihrer Untreue gedachte. Es kam ein Tag, da ihr Geliebter
sie mit harten Worten tadelte, sie eine entlaufene
Nonne schalt und ihr aus Eifersucht ihren Fehl und
ihren Wandel vorhielt. Schmerzbewegt erwiderte sie
ihm: »Ihr redet wahr! Ich bin noch schlechter, als jemand
mich schelten könnte. Nun ist mir recht geschehen,
wohl habe ich Tadel verdient, da ich mich von
Gott und der erhabenen Herrin abgewendet habe, die
mich würdigte ihre Ärztin zu sein. Aber Gott ist nicht
tot. Wenn ich mich bemühe, ihm wieder zu dienen
und meine Sünden bereue, so kann mir vielleicht Vergebung
werden, denn Gott verheißt dem reumütigen
Sünder Erbarmen.«
Wie eine Irrsinnige eilte sie von hinnen und lief so
lange, bis sie zu ihrer Rechten den Turm einer weißen
Abtei gewahrte. Dorthin wandte sie sich und traf zufällig
den Abt vor der Tür, der sich, als er sie in Tränen
sah, vor ihr erhob. Sie warf sich ihm zu Füßen, er
aber richtete sie auf und vergoß Tränen des Mitleids.
Weinend bekannte sie ihm ihren Kummer und ihre
Schuld. Der gute Abt sah durch ihr Antlitz in ihr Herz
und sprach: »Schwester, oft wählt man den unrechten
Weg und Gott läßt es zu, daß der strauchelt, den er
liebt, damit er sich neu gestärkt erhebe. So müßt auch
Ihr Euch erheben und Buße tun, durch die Ihr die Verzeihung
Gottes und seiner Mutter finden werdet, die
mit freigebiger Hand ihr Erbarmen dem reuigen Sünder
spenden.« »Herr, ich bin bereit, meinen armseligen
Leib zu geißeln, meinen Leib, der der Urgrund
meiner Sünden ist. Ach, wenn es sein könnte, daß ich
wieder Gottes Freundin würde, nie wollte ich ihn wieder
erzürnen.« »Liebe Freundin, ich werde Euch
sagen, wie Ihr Buße tun sollt.