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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
genießen. Er begab sich also zur verabredeten Zeit,
geschützt vom Dunkel der Nacht, in das Schlafgemach
der Ritterstochter und bestieg mit dieser, die
nichts Böses ahnte, das Lager. In dieser Nacht verlor
sie ihre Jungfrauschaft. Dann schlief der Schurke ein
und begann zu stöhnen wie ein alter Mann. Da wunderte
sich die Maid und sagte sich, daß der König ein
junger Mann sei, während sie diesen groß und plump
fand. Leise erhob sie sich vom Bett und entzündete
eine Kerze, da erkannte sie den Schläfer und sprach:
»Ich habe hier einen schlechten Freund, so will ich
ihm auch eine schlechte Geliebte sein, er soll sich
nicht rühmen, bei mir gelegen zu sein.« Sie ergriff das
Schwert des Seneschalls und schnitt ihm damit das
Herz entzwei. Alsdann holte sie ihre Base, und die
beiden schleppten die Leiche hinaus und warfen sie in
einen wasserlosen Brunnen, in welchen sie Erde und
Schutt häuften, so daß niemand ahnen konnte, was die
Tiefe barg. Der König ließ im ganzen Lande seinen
Seneschall suchen, aber nichts verlautete von ihm,
und schließlich wurde der Tote vergessen, wie denn
das Leben den Lebenden gehört.
Einer Versammlung seiner Barone und Bischöfe
trug der König seinen Heiratsplan vor, und es wurde
beschlossen, daß die Hochzeit bald darauf im Schlosse
des Königs stattfinden solle. An diesem Tage bat
die junge Königin ihre Base, sie möchte in der ersten
Nacht bei dem Könige ruhen, damit dieser den Verlust
ihrer Jungfrauschaft nicht bemerken solle. Diese
war damit einverstanden, und als es Nacht geworden
war, bestieg sie mit dem König das Brautbett. Um
Mitternacht entschlummerten beide, da trat die Königin
an das Bett, zupfte ihre Base an den Zehen und
wollte sie wecken, um den Platz wieder mit ihr zu tauschen,
aber die Treulose sprach: »Ich werde mich
nicht von der Stelle rühren. Ich will den König zum
Gatten haben, denn ich habe diese Ehre wohl verdient.
« Die junge Königin wurde von Verzweiflung
ergriffen und legte Feuer an die Bettstatt, nachdem sie
zuvor ihre Base mit einem Schleier gefesselt hatte.
Das Feuer fand reiche Nahrung am Stroh und verbreitete
sich rasch. Sobald der König fühlte, wie die
Flammen an seinen Fersen leckten, sprang er vom
Lager und trachtete so sehr danach, sich zu retten, daß
er seine Frau vergaß. Als er die Königin draußen gesund
fand, freute er sich sehr, die andere aber verbrannte
in ihrem Bett, so daß keine Spur von ihr zurückblieb.
Während der Hochzeitsfeierlichkeiten blieb die Königin
still und traurig, denn in ihrem Herzen trug sie
die Erinnerung an die Mordtaten, die sie begangen.
Um ihre Schuld zu sühnen, ließ sie zu Ehren der Gottesmutter
ein Münster bauen und setzte einen Kaplan
dorthin, der der Allerseligsten Tag und Nacht dienen
sollte. Gar oft hörte sie selbst unter Gebeten und
Reuetränen die heilige Messe und lobte die heilige
Jungfrau. Zwei Jahre lang schleppte sie ihr Geheimnis
mit sich herum, endlich aber entschloß sie sich, es zu
beichten. Der Kaplan war ein scheinheiliger Heuchler;
als sie ihr Geständnis beendet hatte, sprach er zu ihr:
»Für diese Tat habt Ihr den Tod verdient; wenn der
König davon erfährt, wird er Euch verbrennen lassen.
Ich will Euch aber das Leben retten, wenn Ihr Euch
mir hingeben wollt.« Die Frau erschrak und antwortete:
»Falscher Priester! Ich suchte Buße und Trost bei
dir, und du verlangst eine größere Übeltat von mir,
als die ist, die ich begangen habe. Ich will lieber im
Feuer verbrennen, als den Eid brechen, der mich an
meinen Herren bindet.« Darauf ging der Kaplan zum
König und erzählte ihm, was die Königin gebeichtet
hatte. Der König ließ sogleich in dem Brunnen nach-
forschen, und da die Leiche des Seneschalls gefunden
wurde, war auch ihr zweites Verbrechen erwiesen.
Eine Versammlung der Großen des Landes trat zusammen
und verurteilte die Königin zum Tod auf dem
Scheiterhaufen. Da betete die Frau zur Mutter des Erlösers
und sprach: »Herrin, die Angst packt mich ans
Herz, und aus der Tiefe meiner Not schreie ich zu dir!
Du, die du Weg und Leben bist, Herrin, Freundin! ich
flehe dich um Erbarmung an, erlöse mich vom Flammentod,
oder wenn ich sterben muß, rette meine Seele
vor Verdammnis!«
Am nächsten Tage wurde die Königin, nur mit
einem Hemde bekleidet, zum Scheiterhaufen geführt,
Scham und Reue erfüllte ihr Herz, aber sie vertraute
auf Gottes Erbarmung. In der Nähe des Schlosses
hauste, wie ein Vogel in seinem Bauer, ein mehr als
hundertjähriger Einsiedler. Diesem erschien in der
Nacht die Mutter Gottes und befahl ihm, er solle sich
morgen in aller Frühe erheben, sich ins Schloß aufmachen
und dem König entbieten, er dürfe sein Weib
nicht anrühren lassen, denn er werde ein Wunder erleben,
das ihm zeigen solle, daß ihr vergeben sei. Als
der Einsiedler seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ließ
der König die Sünderin vor sich führen, und diese erschien
mit gefesselten Händen, verbundenen Augen
und aufgelösten Haaren, den weißen Leib mit einem
dünnen Hemdlein bedeckt. Der fromme Klausner
konnte sich der Tränen nicht enthalten, als er dies
Frauenbild sah; aber sobald die Königin dem heiligen
Manne gegenüber trat, fielen ihr die Ketten von den
Händen, und vom Himmelszelt hernieder schwebte
ein Purpurmantel, der sich um ihre Schultern schlang,
während ein wallender Schleier ihr Haupt bedeckte.