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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
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isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
süßen Mutter. Der falsche Priester wurde dem Scheiterhaufen
überliefert, der König aber diente seiner
Gattin und hielt sie treu und wert, während diese nie
der Wohltat vergaß, die ihr Gott und die heilige Jungfrau
hatten angedeihen lassen.
14. Prosanovellen des 13. Jahrhunderts
Aucassin und Nicolette
Aucassin, der Sohn des Grafen von Beaucaire, liebte
eine Jungfrau, welche Nicolette hieß. Sie hatte blonde,
dichtgelockte Haare, blaue, lachende Augen, ein
längliches Angesicht, eine hohe wohlstehende Nase,
Lippen von zarterem Rot als Kirschen und Rosen zur
Sommerszeit und kleine weiße Zähne. Ihre Brüstlein
waren hart und hoben ihr Gewand nicht höher als es
zwei Walnüsse getan hätten. Sie war schlank um die
Lenden, daß ihr sie mit euren beiden Händen hättet
umspannen können, und die Maßliebchen, die, von
ihren Zehen geknickt, ihr auf den Reihen des Fußes
fielen, waren geradezu schwarz gegen ihre Füße und
Beine: so weiß war das Mägdlein. Nicolette war aber
eine Gefangene, die aus fremden Landen hergeführt
war. Von Sarazenen hatte sie der Vizegraf gekauft, er
hatte sie aus der Taufe gehoben und zu seinem Patenkinde
gemacht. So kam es, daß der Graf, Aucassins
Vater, unter keinen Umständen eine Verbindung seines
Sohnes mit der Jungfrau dulden wollte. Diesen
hatte sein Liebesgram so niedergedrückt, daß er sich
aller ritterlichen Übungen enthielt und nur seinen Gedanken
an Nicolette nachhing. Nicht einmal die ewige
Seligkeit kümmerte ihn mehr: »Was habe ich im Paradiese
zu tun?« sagte er. »Ich will gar nicht hinein,
wenn ich nur Nicolette habe, mein süßes Mädchen,
das ich von Herzen liebe. Ins Paradies kommen nur
jene alten Pfaffen und jene alten Krüppel und Lahmen,
die Tag und Nacht vor den Altären und in den
alten Grüften hocken, die mit den alten abgeschabten
Kapuzen und den alten Lumpen angetan, die nackt
sind und barfuß und ohne Hosen, und vor Hunger und
Durst, Frost und Elend sterben. Die kommen ins Paradies;
mit denen habe ich nichts zu tun. Aber in die
Hölle will ich gehen! Denn in die Hölle kommen die
weisen Meister und die schönen Ritter, die in Turnieren
und in gewaltigen Kriegen gefallen sind, die guten
Knappen und die freien Männer. Mit diesen will ich
gehn! Auch kommen dahin die schönen höfischen
Damen, die neben ihrem Herrn zwei oder drei Freunde
hatten. Auch kommt dahin das Gold und das Silber,
Pelz und Grauwerk und Harfner und Spielleute
und die Könige der Welt. Mit diesen will ich gehn;
aber Nicolette, mein süßes Lieb, muß bei mir sein.«
Indessen bedrängte ein feindliches Heer die Burg
des Grafen, und dieser suchte Aucassin durch die Versprechung,
daß er Nicolette, welche in einen Turm
eingeschlossen war, sprechen und küssen dürfe, zur
Teilnahme am Kampfe zu bewegen. Diese Aussicht
veranlaßte auch wirklich den Jüngling, in die Schlacht
zu ziehen. Glaubt aber ja nicht, daß er daran dachte,
Ochsen, Kühe oder Ziegen zu rauben oder mit einem
Ritter Hiebe zu wechseln. Nein, durchaus nicht! Er
war so in Gedanken an Nicolette, sein süßes Lieb,
verloren, daß er ganz der Zügel vergaß und alles dessen,
was er hätte tun sollen. Das Roß aber, das die
Sporen gefühlt hatte, trug ihn ins Gedränge und stürzte
sich mitten unter die Feinde. Diese legten Hand an
ihn von allen Seiten, entrissen ihm Schwert und
Lanze, führten ihn spornstreichs als Gefangenen fort
und berieten sich schon, welchen Tod sie ihn sterben
lassen wollten. Da aber bedachte sich Aucassin, daß
er sein süßes Liebchen nicht mehr küssen könne,
wenn ihm der Kopf abgeschnitten würde, er legte
Hand ans Schwert, richtete um sich her ein Blutbad
an und sprengte im Galopp zurück.
Nicolette fühlte sich indessen vor den Nachstellungen
des Grafen in ihrem Turme nicht mehr sicher und
beschloß, zu fliehen. An Bettlinnen und Handtüchern
ließ sie sich herab, durchquerte unter großer Mühe
und Drangsal den Burggraben und flüchtete sich in
einen Wald. Ohne Säumen schritt sie dann / durch
den tiefen dichten Tann / auf verwachsnem Steige
fort, / bis sie kam an einen Ort, / wo sich in der Wildnis
Mitten / sieben Waldespfade schnitten. / Sie hält
hier am Kreuzweg inne / und gedenkt des Freundes
Minne, / ob sich die so wahr erprobt, / wie sein Wort
es ihr gelobt. / Und aus frischem Stechpalmgrün, / aus
den Lilien, die dort blühn, / bildet sie mit schwankem
Dach / ein geflochtnes Laubgemach. / Und sie
schwört bei Gottes Gnade: / »Kommt mein Freund
auf diesem Pfade, / ohne daß sein Herz ihm kündet, /
wer dies blum'ge Haus gegründet, / und er mir die
Liebe tut, / daß er hier ein Weilchen ruht, / dann ist
falsch, was er verspricht, / und wir sollen länger nicht
/ Lieb und Liebchen heißen!« Und wirklich traf Aucassin,
als er einst auf einem Ritt durch den Wald Erholung
und Zerstreuung suchte, auf Nicolettes Blumenlaube:
»Ha, bei Gott,« rief er aus, »hier war Nicolette,
mein süßes Lieb, und das baute sie mit ihren
schönen Händen. Um ihrer Huld und Liebe willen
werde ich absteigen und hier die Nacht über ruhen.«
Die Liebenden beschlossen nun, in ein anderes
Land zu ziehen, Aucassin nahm die Jungfrau vor sich
auf sein Roß, und sie ritten zum Gestade des Meeres,
wo sie Kaufleute trafen, die sie willig in ihr Schiff
aufnahmen. Doch als sie auf hoher See waren, erhob
sich ein großer, gewaltiger Sturm und trieb sie von