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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
sein Schiff nahm. Sie spannten die Segel aus und fuhren
durch die hohe See, bis sie nach dem Lande Provence
kamen. Dort stieg Nicolette aus und wanderte
fiedelnd durch das Land, bis sie zum Schloß von
Beaucaire kam, wo Aucassin wohnte. Sie trat vor Aucassin
und sang ihm ein Lied, das von Nicolettes
Abenteuern seit ihrer Trennung von ihrem Liebsten
handelte. Als die Jungfrau sah, daß Aucassin sie noch
liebte, salbte sie sich mit einem Pflänzlein, Schellkraut
geheißen, und wurde wieder so schön, als sie je
gewesen, dann ließ sie Aucassin durch die Vizegräfin,
ihre Pflegemutter, benachrichtigen, daß Nicolette, sein
süßes Lieb, aus fernen Landen gekommen sei, ihn
aufzusuchen. Als nun Aucassin vernommen, / daß
sein Lieb ins Land gekommen, / ward er aller Sorgen
bar, / fröhlich, wie er niemals war, / und in ungeduld'ger
Hast / eilt er in der Frau Palast. / In die Kammer
trat er ein, / und das holde Mägdelein / sprang
empor mit flinken Füßen, / um ihn jubelnd zu begrüßen.
/ Aucassin, der sel'ge Mann / zog mit Armen sie
heran, / hielt sie zärtlich fest umfangen, / küßt ihr
Augen, Mund und Wangen. / Also ließen sie's die
Nacht; / aber als der Tag erwacht, / führt der Graf in
stolzer Schar / die Geliebte zum Altar, / und das Kind
in Glanz und Ehre / ward zur Dame von Beaucaire – /
und sie lebten sonder Klage / lange wonnenreiche
Tage. / Alles Glück, das sie begehrt, / war den beiden
voll beschert. – / Mehr zu melden weiß ich nicht: /
somit endet mein Gedicht, / endet Sang und Sage.
Vom Kaiser Constans
Einst lebte in der Stadt Byzanz ein heidnischer Kaiser,
welcher in der Sternkunde unterrichtet war und
den Lauf der Planeten und des Mondes kannte; er sah
die Wunder des Himmels und glaubte an die Offenbarungen
des bösen Feindes. Dieser Kaiser, welcher
Moslin hieß, ging eines Nachts bei hellem Mondlicht
unerkannt mit einem Ritter durch die Straßen der
Stadt. Da hörte er, wie in einem Hause, an dem sie
vorbeigingen, ein Christenweib in Kindsnöten lag.
Der Mann dieses Weibes aber betete zu Gott; bald
betete er, daß sie entbinden möge und bald wieder,
daß sie nicht entbinden möge. Da verwunderte sich
der Kaiser und sprach zu dem Manne: »Sage mir, du
Schurke, warum bittest du das eine Mal deinen Gott,
daß er deine Frau entbinden lasse und das andere Mal
wieder, daß er sie nicht entbinden lasse?« »Herr,«
entgegnete der Mann, »ich verstehe viel von jener
Wissenschaft, die man Astrologie nennt, ich kenne
den Lauf der Fixsterne und Planeten und weiß wohl,
daß das Kind, wenn es zu unrechter Stunde geboren
wird, ein grausamer Tod erwartet.« »Sage mir,«
sprach der Kaiser, »was dir die Sterne künden!« »So
wisset, Herr, daß dieser neugeborene Knabe dereinst
die Kaiserstochter, welche vor acht Tagen das Licht
erblickte, heiraten wird, und er wird Kaiser und Herr
dieser Stadt und der ganzen Welt werden.« Darauf
ging der Kaiser mit dem Ritter weiter, und er befahl
seinem Begleiter, das Kind heimlich wegzunehmen,
so daß es niemand bemerke. Der Ritter ging in das
Haus, wo gerade zwei Frauen mit der Wartung der
Wöchnerin beschäftigt waren, während das Kind in
Tüchlein gewickelt auf einem Sessel lag. Der Ritter
ergriff das Kind, legte es auf eine Schüssel und brachte
es dem Kaiser, ohne daß man es merkte. Da ließ
der Kaiser mit einem Messer den Leib des Knäbleins
vom Magen bis zum Nabel aufschneiden, und er sagte
zu seinem Begleiter, nun würde dieser Hundesohn
seine Tochter nicht mehr heiraten und nicht mehr Kaiser
werden. Darauf wollte der Kaiser dem Kinde das
Herz aus dem Leibe reißen, aber der Ritter wehrte es
ihm und sprach: »Herr, um Gottes willen, was wollt
Ihr tun? Das schickt sich nicht für Euch, und wenn
man es erführe, würde man Euch tadeln. Laßt ihn nur,
er ist mehr als tot. Wenn Ihr aber wollt, daß noch ein
übriges geschehe, so will ich ihn ins Meer werfen und
ertränken.« »Ja,« sprach der Kaiser, »werft ihn hinein,
denn ich hasse ihn über die Maßen.« Der Ritter wikkelte
das Kind in eine seidene Decke und trug es zum
Meere. Als er aber am Ufer stand, fühlte er Mitleid
mit dem Kinde und sagte, es solle nicht ertränkt werden;
er ließ es also in seiner Hülle auf einem Misthau-
fen vor dem Tore eines Mönchsklosters liegen, in
welchem die Mönche gerade ihre Morgenmesse sangen.
Als die Mönche ihren Gottesdienst beendet hatten,
fanden sie das schreiende Kind und trugen es zu
ihrem Abt. Dieser sah, daß es ein schöner Knabe war
und beschloß, es aufzuziehen. Er ließ es auskleiden
und gewahrte, daß sein Leib vom Magen bis zum
Nabel gespalten war. Daher ließ er, als es Tag geworden
war, die Ärzte rufen und fragte sie, um wieviel
Gold sie das Kind heilen wollten. Sie forderten hundert
Byzantinermünzen. Darauf ließ der Abt das Kind
taufen und nannte es Constans, weil es soviel gekostet
hatte. Die Ärzte aber bemühten sich so lange um das
Kind, bis es geheilt war, denn sein zartes Fleisch
wuchs bald wieder zusammen, wenn auch die Narbe
blieb. Der Abt ließ den Knaben von einer Amme ernähren
und dieser wuchs heran und gelangte zu großer
Schönheit. Mit sieben Jahren schickte ihn der Abt in
die Schule und bald übertraf er seine Gefährten an
Fleiß und Wissen. Da der Abt bemerkte, wie stattlich
der Knabe heranreifte, ließ er ihn auf allen seinen Reisen
mit sich reiten. Einst geschah es, daß der Abt von
Amts wegen eine Unterredung