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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
und die eine der Dienerinnen stieg auf den Turm,
von dem aus man den Park übersehen konnte. Da sah
sie, wie der König und die Königin sich mit einer
Schar von Damen und Rittern unter einer Pinie niedergelassen
hatten. Hurtig stieg sie wieder herab und
bat den Königssohn, unverzüglich seinen Plan auszuführen.
Der Jüngling hob Clarmondine auf sein Roß
und band sie fest, um sie vor dem Fallen zu bewahren,
die Mägde befestigten Körbe mit Speisen und
Wein an den Seiten des Flugzeugs und dann setzte er
sich selbst vor die Prinzessin auf das Zauberpferd; er
drehte den Zapfen, der den Flug nach aufwärts regelte,
und schwebte mit seinem Lieb dem jungen Tag entgegen.
Zunächst steuerte er ganz langsam und hielt sich
nahe am großen Turm, von wo man den Park, den die
ersten Strahlen der Sonne beschienen, überblicken
konnte. König Carmans lustwandelte dort mit seinen
Begleitern. Da hub Cleomades von seiner luftigen
Höhe aus zu reden an: »Herr, sucht Eure schöne
Tochter nicht, denn Euer Suchen ist umsonst. Ich
habe mich Eurer Tochter ergeben und sie hat mir ihre
Huld gewährt. Nun fliegen wir nach Spanien in mein
Heimatland, unser Hochzeitsfest zu halten. Und damit
Ihr wißt, wer Eure Tochter entführt: ich bin von edler
Art und weit in ferne Lande drang meines Namens
Ruhm, Cleomades heiße ich, mein Vater trägt die
Krone Spaniens.« Die Königin blickte in die Höhe
und rief: »Ach, mein Kind, wohin gehst du?« Dann
fiel sie bewußtlos vor Gram zu Boden. Während die
Herren und Damen des Hofes sich um die ohnmächtige
Königin bemühten, flog das Liebespaar in blitzschneller
Fahrt westwärts, der König Carmans aber
faßte sich an die Stirn und glaubte, ein schwerer
Traum habe ihn gequält.
Cleomades reiste mit der Prinzessin so lange durch
die Luft, bis an einem Dienstag Morgen die Sonne
vor ihren Augen die Türme Sevillas vergoldete. Da
sprach der Königssohn: »Nun freut Euch, süßes Lieb,
wir sind am Ziel!« »Herr,« sprach die Jungfrau, »ich
bitte Euch, Ihr wollet mich hier an einem geschützten
Orte absteigen lassen. Ich bedarf zunächst der Ruhe,
ehe ich vor Eure Eltern trete, denn ich zittere vor
Angst und Kälte.« Der Jüngling trug sie in einen Garten
von Pinien und Lorbeerbäumen, der sich außerhalb
der Mauern ausdehnte, und setzte sie unter einem
Olivenbaume ab. Die Jungfrau streckte sich ermattet
auf den grünen Rasen, und nachdem sie ein wenig geruht
hatte, begehrte sie zu essen. »Wenn es Euch nicht
mißfällt, Liebste,« sprach Cleomades, »so möchte ich
jetzt meine Eltern und meine Schwester aufsuchen
und sie bitten, Euch hier abzuholen.« »Holt sie, Herr,
und laßt mich indes hier ruhen. Die Glieder schmerzen
mich und ich kann mich so nicht vor dem Volke
zeigen.« »So erholt Euch, bis ich wiederkomme und
lauscht dem Sang der Vögel, die in den Zweigen zwitschern!
« Cleomades eilte in sein väterliches Schloß
und ließ die Jungfrau mit dem Pferd im Garten, die
sich mit Singen die Zeit vertrieb. Crompart, der Falsche,
hatte sich an diesem Morgen früh erhoben und
erging sich in dem nämlichen Garten, um Heilkräuter
zu sammeln. Er hörte das Lied der Jungfrau und
wandte sich der Gegend zu, aus der die Töne kamen.
Clarmondine erschrak, als sie das Scheusal erblickte;
sie verstummte augenblicklich und rief mit lauter
Stimme nach ihrem Geliebten. Crompart freute sich in
seinem treulosen Herzen, denn er glaubte, eine Gelegenheit
zur Rache gefunden zu haben. Überdies gefiel
ihm die Jungfrau, und er dachte, wenn er Marina nicht
bekommen könne, so wolle er wenigstens diese zu
seiner Liebsten machen. Als er sie nach Cleomades
rufen hörte, erriet er den Zusammenhang. »Erschreckt
nicht,« sagte er, »ich will Euch kein Leid tun!« »Herr,
mir graut vor Euch! Bitte, geht, denn gleich wird
Cleomades zurückkehren, dem ich angehöre.« »Eben
dieser ist es, der mich sendet,« entgegnete der Zwerg
listig, »er befiehlt Euch, daß Ihr zu ihm kommt; ich
werde Euch auf dem Roß zu ihm tragen, denn er lehrte
mich, es zu behandeln, und daran mögt ihr erkennen,
daß ich sein Vertrauter bin.« Die Jungfrau glaubte
den Worten des Schurken und erhob sich. Der
Bucklige setzte sie auf das Zauberpferd und band sie
fest, dann hing er Fleisch und Wein an die Seite des
Tieres und stieg selber auf. Hurtig drehte er den Zapfen,
und in rasender Fahrt erhob sich das Flugzeug in
die Wolken.
Hier müssen wir unser Liebespaar seinem Schicksal
überlassen und geben es dem Leser anheim, sich
selber auszumalen, welche Gefahren und Abenteuer
die Liebenden noch zu bestehen hatten, bis sie endlich
wieder miteinander vereinigt wurden.
13. Altfranzösische Marienlegenden
Der Tänzer Unserer lieben Frau
Es war einmal ein Gaukler, der tanzend und springend
von Ort zu Ort zog, bis er der ewigen Wanderfahrt
und aller Weltlust müde ward. Da gab er all seine
Habe hin und trat in das Kloster zu Clairvaux ein.
Der neue Laienbruder war zwar schön und stattlich
von Gestalt, doch die Bräuche und Sitten des Klosters
kannte er nicht. Er hatte ja seine ganze Zeit mit Springen,
Tanzen und Räderschlagen verbracht und nie
hatte ein Mensch den Gedanken gehabt, ihm das Vaterunser,
das Ave oder gar das Kredo zu lehren. Voll
Demut staunte er alles im Kloster an, er sah, wie die
Brüder nie ihr frommes Schweigen brachen, und so
ging auch er wie ein Stummer umher, bis er von den