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eine große und breite Tonsur haben, nur muß erst das

       Wasser warm sein.« Der Fuchs stellte Wasser aufs

       Feuer und ließ es kochen; dann kam er wieder und

       hieß den Wolf seinen Kopf durch ein Loch neben der

       Türe stecken. Ysengrin reckte den Hals vor und Reinhart

       goß ihm das kochende Wasser über den Schädel.

       Der Wolf biß die Zähne zusammen und fuhr zurück:

       »Reinhart!« schrie er, »ich bin hin. Das war ein

       schlechter Streich, Ihr habt mir eine zu große Platte

       geschoren.« Reinhart streckte die Zunge einen halben

       Fuß weit aus dem Maul: »Herr, so ist es im Kloster

       der Brauch,« sagte er, dann fuhr er fort: »Der heilige

       Orden erheischt es, daß wir in der ersten Nacht eine

       Probe bestehen. Wir wollen fischen gehen.« Ysengrin

       entgegnete: »Gern werde ich alles tun, was die Regel

       verlangt.« Reinhart schlüpfte durch einen Spalt und

       trat zu Ysengrin, der noch immer über seine Platte

       klagte, auf der keine Haut und kein Fell mehr geblieben

       war. Beide gingen von dannen, Reinhart voraus

       und der andere hinterher, bis sie zu einem Weiher gelangten.

       Es war wenig vor Weihnacht, um die Zeit, da man

       die Schinken in Salz legt. Der Himmel war klar und

       sternenhell, und der Teich, in welchem Ysengrin fischen

       sollte, war fest zugefroren. Nur ein Loch war

       offen geblieben, welches die Bauern geschlagen hatten,

       um ihr Vieh zu tränken, und neben dem Loch war

       ein Eimer stehen geblieben. Reinhart ging vergnügt

       auf den Eimer zu, sah seinen Gevatter an und sprach:

       »Herr, diesen nehmt! Hier gibt es eine Menge Fische,

       und auf diese Weise pflegen wir sie zu fangen.« »Bruder

       Reinhart!« erwiderte Ysengrin, »bindet mir diesen

       Eimer fest an den Schwanz!« Der andere nahm ihn

       und band ihn so fest er konnte. »Bruder,« sagte er

       dann »jetzt haltet Euch ruhig, damit die Fische kommen.

       « Dann drückte er sich unter ein Gebüsch und

       steckte die Schnauze zwischen die Füße, um zu beobachten,

       was jener anstellen würde. Das Wasser begann

       zu gefrieren und der Eimer an Ysengrins

       Schwanze fror mit ein, so daß der Schwanz fest an

       das Eis geheftet wurde. Nach einer Weile glaubte der

       Wolf, es sei nun genug, und er versuchte, den Eimer

       herauszuziehen. Lange zerrte er vergebens, dann rief

       er nach Reinhart, denn der Tag begann schon zu dämmern.

       Reinhart erhob den Kopf, öffnete die Augen

       und blickte sich um: »Bruder,« sprach er, »laßt Eure

       Arbeit stehen, gehen wir heim, lieber Freund! Wir

       haben genug Fische gefangen.« »Reinhart, es sind zuviel!

       « rief ihm Ysengrin zu. »Ich habe so viel gefangen,

       daß ich den Eimer gar nicht wieder herausziehen

       kann!« Reinhart antwortete lachend: »Wer zuviel begehrt,

       verliert alles.«

       Die Nacht war vorüber, der Tag brach an, und die

       Sonne erhob sich im Osten. Alle Wege waren weiß

       vom Schnee. Herr Constant von Granches, ein behäbiger

       Ritter, hatte in der Nähe des Teiches genächtigt

       und sich nun samt seinem Jagdgefolge zufriedenen

       Gemütes erhoben. Er nahm sein Horn, rief den Hunden

       und ließ sich seinen Sattel bringen, während der

       Jagdtroß lärmte und schrie. Reinhart hörte es und

       floh, bis er seinen Bau erreicht hatte. Ysengrin hingegen

       mußte bleiben, er zog und zerrte mit solcher Wut,

       daß ihm fast die Haut barst. Während der Wolf sich

       so abquälte, kam ein Bursche des Weges, der zwei

       Hunde an der Leine führte. Er erblickte Ysengrin, der

       mitsamt seinem Glatzkopf auf dem Eise angefroren

       war und schrie: »Hoho! Der Wolf! Herbei, herbei!«

       Die Jäger sprangen samt den Hunden aus dem Hause.

       Herr Constant sprengte auf seinem Rosse hinterdrein

       und rief: »Laßt los, laßt die Hunde los!« Die Hundeführer

       koppelten die Hunde ab, und diese stürzten

       sich auf den Wolf, der sich nach Kräften wehrte. Herr

       Constant zog sein Schwert und schickte sich an, den

       Wolf gut zu treffen. Dieserhalb stieg er vom Pferde

       und ging über das Eis hinüber auf ihn los. Von hinten

       wollte er ihn treffen, aber er verfehlte ihn, kam durch

       den Schwung ins Gleiten und fiel so heftig hin, daß

       ihm der Kopf blutete. Mit Mühe erhob er sich und

       ging zornig wieder auf den Wolf los. Er gedachte ihn

       auf den Kopf zu treffen, aber der Schlag ging daneben:

       das Schwert traf nur den Schweif und schnitt ihn

       da, wo er angewachsen war, ratzibutz ab. Ysengrin

       fühlte sich frei, er sprang davon, von den Hunden verfolgt

       und gebissen, den Schwanz jedoch mußte er zu

       seinem Schmerz als Pfand zurücklassen. Er floh einen

       Abhang hinauf, und als er droben war, blieben die

       Hunde ermüdet stehen und kehrten um. Ysengrin aber

       eilte weiter, bis er den schützenden Wald erreicht

       hatte. Dort hielt er inne und schwur, er wolle sich an

       Reinhart blutig rächen.

      Kapitel 3

      11. Predigtmärlein des 13. Jahrhunderts

       Der neue Adam

       Ein Eremit tadelte einstmals Adam und grollte ihm,

       daß er ein so leichtes Gebot übertreten habe, anstatt

       Mitleid mit ihm zu fühlen. Sein Gefährte wollte ihn

       züchtigen; er legte eine Maus zwischen zwei Schüsseln

       und sagte zu ihm: »Bruder, bis ich zurückgekehrt

       bin, sollst du nicht nachsehen, was zwischen diesen

       beiden Schüsseln verborgen ist.« Als jener fort war,

       begann der andere nachzugrübeln: warum hat er mir

       dieses Gebot auferlegt? ich muß doch einmal sehen,

       was er zwischen die beiden Schüsseln versteckt hat.

       Er hob die obere Schüssel auf, und die Maus entwich.

       Als der Gefährte zurückkam und die

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