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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wasser warm sein.« Der Fuchs stellte Wasser aufs
Feuer und ließ es kochen; dann kam er wieder und
hieß den Wolf seinen Kopf durch ein Loch neben der
Türe stecken. Ysengrin reckte den Hals vor und Reinhart
goß ihm das kochende Wasser über den Schädel.
Der Wolf biß die Zähne zusammen und fuhr zurück:
»Reinhart!« schrie er, »ich bin hin. Das war ein
schlechter Streich, Ihr habt mir eine zu große Platte
geschoren.« Reinhart streckte die Zunge einen halben
Fuß weit aus dem Maul: »Herr, so ist es im Kloster
der Brauch,« sagte er, dann fuhr er fort: »Der heilige
Orden erheischt es, daß wir in der ersten Nacht eine
Probe bestehen. Wir wollen fischen gehen.« Ysengrin
entgegnete: »Gern werde ich alles tun, was die Regel
verlangt.« Reinhart schlüpfte durch einen Spalt und
trat zu Ysengrin, der noch immer über seine Platte
klagte, auf der keine Haut und kein Fell mehr geblieben
war. Beide gingen von dannen, Reinhart voraus
und der andere hinterher, bis sie zu einem Weiher gelangten.
Es war wenig vor Weihnacht, um die Zeit, da man
die Schinken in Salz legt. Der Himmel war klar und
sternenhell, und der Teich, in welchem Ysengrin fischen
sollte, war fest zugefroren. Nur ein Loch war
offen geblieben, welches die Bauern geschlagen hatten,
um ihr Vieh zu tränken, und neben dem Loch war
ein Eimer stehen geblieben. Reinhart ging vergnügt
auf den Eimer zu, sah seinen Gevatter an und sprach:
»Herr, diesen nehmt! Hier gibt es eine Menge Fische,
und auf diese Weise pflegen wir sie zu fangen.« »Bruder
Reinhart!« erwiderte Ysengrin, »bindet mir diesen
Eimer fest an den Schwanz!« Der andere nahm ihn
und band ihn so fest er konnte. »Bruder,« sagte er
dann »jetzt haltet Euch ruhig, damit die Fische kommen.
« Dann drückte er sich unter ein Gebüsch und
steckte die Schnauze zwischen die Füße, um zu beobachten,
was jener anstellen würde. Das Wasser begann
zu gefrieren und der Eimer an Ysengrins
Schwanze fror mit ein, so daß der Schwanz fest an
das Eis geheftet wurde. Nach einer Weile glaubte der
Wolf, es sei nun genug, und er versuchte, den Eimer
herauszuziehen. Lange zerrte er vergebens, dann rief
er nach Reinhart, denn der Tag begann schon zu dämmern.
Reinhart erhob den Kopf, öffnete die Augen
und blickte sich um: »Bruder,« sprach er, »laßt Eure
Arbeit stehen, gehen wir heim, lieber Freund! Wir
haben genug Fische gefangen.« »Reinhart, es sind zuviel!
« rief ihm Ysengrin zu. »Ich habe so viel gefangen,
daß ich den Eimer gar nicht wieder herausziehen
kann!« Reinhart antwortete lachend: »Wer zuviel begehrt,
verliert alles.«
Die Nacht war vorüber, der Tag brach an, und die
Sonne erhob sich im Osten. Alle Wege waren weiß
vom Schnee. Herr Constant von Granches, ein behäbiger
Ritter, hatte in der Nähe des Teiches genächtigt
und sich nun samt seinem Jagdgefolge zufriedenen
Gemütes erhoben. Er nahm sein Horn, rief den Hunden
und ließ sich seinen Sattel bringen, während der
Jagdtroß lärmte und schrie. Reinhart hörte es und
floh, bis er seinen Bau erreicht hatte. Ysengrin hingegen
mußte bleiben, er zog und zerrte mit solcher Wut,
daß ihm fast die Haut barst. Während der Wolf sich
so abquälte, kam ein Bursche des Weges, der zwei
Hunde an der Leine führte. Er erblickte Ysengrin, der
mitsamt seinem Glatzkopf auf dem Eise angefroren
war und schrie: »Hoho! Der Wolf! Herbei, herbei!«
Die Jäger sprangen samt den Hunden aus dem Hause.
Herr Constant sprengte auf seinem Rosse hinterdrein
und rief: »Laßt los, laßt die Hunde los!« Die Hundeführer
koppelten die Hunde ab, und diese stürzten
sich auf den Wolf, der sich nach Kräften wehrte. Herr
Constant zog sein Schwert und schickte sich an, den
Wolf gut zu treffen. Dieserhalb stieg er vom Pferde
und ging über das Eis hinüber auf ihn los. Von hinten
wollte er ihn treffen, aber er verfehlte ihn, kam durch
den Schwung ins Gleiten und fiel so heftig hin, daß
ihm der Kopf blutete. Mit Mühe erhob er sich und
ging zornig wieder auf den Wolf los. Er gedachte ihn
auf den Kopf zu treffen, aber der Schlag ging daneben:
das Schwert traf nur den Schweif und schnitt ihn
da, wo er angewachsen war, ratzibutz ab. Ysengrin
fühlte sich frei, er sprang davon, von den Hunden verfolgt
und gebissen, den Schwanz jedoch mußte er zu
seinem Schmerz als Pfand zurücklassen. Er floh einen
Abhang hinauf, und als er droben war, blieben die
Hunde ermüdet stehen und kehrten um. Ysengrin aber
eilte weiter, bis er den schützenden Wald erreicht
hatte. Dort hielt er inne und schwur, er wolle sich an
Reinhart blutig rächen.
Kapitel 3
11. Predigtmärlein des 13. Jahrhunderts
Der neue Adam
Ein Eremit tadelte einstmals Adam und grollte ihm,
daß er ein so leichtes Gebot übertreten habe, anstatt
Mitleid mit ihm zu fühlen. Sein Gefährte wollte ihn
züchtigen; er legte eine Maus zwischen zwei Schüsseln
und sagte zu ihm: »Bruder, bis ich zurückgekehrt
bin, sollst du nicht nachsehen, was zwischen diesen
beiden Schüsseln verborgen ist.« Als jener fort war,
begann der andere nachzugrübeln: warum hat er mir
dieses Gebot auferlegt? ich muß doch einmal sehen,
was er zwischen die beiden Schüsseln versteckt hat.
Er hob die obere Schüssel auf, und die Maus entwich.
Als der Gefährte zurückkam und die