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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
er den anderen Korb. Er steckte seine Schnauze hinein
und zog drei Netze voll Aale hervor. Der Schlaumeier
packte die Stricke mit den Zähnen, warf sich die
Netze auf den Rücken und überlegte sich nun, wie er
wieder vom Wagen herunterkommen sollte. Erst kniete
er und spähte, dann schnellte er sich los und sprang
mit einem Satz vom Wagen herab auf die Straße,
während er um den Hals geschlungen seine Beute
trug. Nachdem er seinen Sprung getan hatte, rief er
den Kaufleuten zu: »Gott behüte euch! Dieser Haufen
Aale ist mein, den Rest könnt ihr behalten.« Als die
Kaufleute solches hörten, erschraken sie und riefen:
»Seht den Fuchs!« Sie sprangen vom Wagen herab
und hofften Reinhart noch zu erwischen, aber umsonst.
»Wehe!« sagten sie und rangen die Hände,
»das ist ein schöner Schaden! Wir Toren haben Reinhart
geglaubt! Nun hat er uns die Körbe aufgebunden,
hat sich satt gefressen und nimmt uns noch drei Netze
voll Aale mit. Möge er daran platzen!« »Ihr Herren!
Wozu der Lärm? Ihr könnt reden, was ihr wollt. Ich
bin Reinhart und werde schweigen.«
Als die Kaufleute die Verfolgung aufgegeben hatten,
ging Reinhart geradeswegs in seine Burg, wo ihn
seine Angehörigen, die der Hunger quälte, mit Ungeduld
erwarteten. Hermeline, seine treffliche Gattin,
sprang ihm entgegen, und die Brüder Percehaie und
Malebranche eilten auf ihren Vater zu, welcher in kurzem
Trab, dick, vollgefressen und heiter daherkam,
die Aale um seinen Hals geschlungen. Reinhart trat in
seinen Bau und sperrte vorsorglich die Türe ab von
wegen der Aale. Seine Kinder putzten ihm indes die
Stiefel ab und häuteten die Fische, dann schnitten sie
dieselben in Stücke und steckten diese auf kleine
Bratspieße aus Haselgerten. Hierauf wurden die Kohlen
angeblasen und die Fische auf die Glut gelegt.
Während die Aale brieten, siehe, da kam Herr
Ysengrin, der Wolf, des Weges, welcher schon seit
dem frühen Morgen umhergelaufen war, ohne nur das
geringste gefangen zu haben. Hungrig schlich er sich
durch das Holz auf Reinharts Bau los; denn er sah aus
der Küche, in welcher die Aale am Spieße gedreht
wurden, Rauch aufsteigen. Ysengrin witterte den
Duft, der ihm fremd war: er kräuselte die Nase und
leckte sich den Bart; darauf trat er zu einem Fenster,
um zu erspähen, was es da gäbe. Die Frage war nur,
wie er dahinein gelangen könne, denn gegen Bitten
pflegte Reinhart unempfänglich zu sein. Der Wolf lief
unstät umher, hier und da einen sehnsüchtigen Blick
nach der Burg werfend, welche ihm unzugänglich
blieb. Schließlich beschloß er, seinen Gevatter zu bitten,
er möge ihm um Gottes willen ein wenig von seinem
Fleische abgeben. Er rief also durch ein Loch:
»Herr Gevatter, öffnet mir die Tür! Ich bringe Euch
gute Nachricht!« Reinhart hörte und erkannte ihn
wohl, dennoch hatte er taube Ohren für ihn. Ysengrin
stand betrübt draußen und sprach: »Öffnet, lieber
Herr!« »Wer seid Ihr?« fragte Reinhart lächelnd. »Ich
bin es!« versetzte jener. »Wer ich?« »Euer Gevatter!«
»Ach so, wir glaubten, Ihr wäret ein Landstreicher.«
»Nein,« sprach Ysengrin, »öffnet!« »Ihr werdet Euch
einen Augenblick gedulden müssen,« sagte Reinhart,
»bis die Mönche gespeist haben, die sich gerade zum
Essen niedersetzen!« »Wie? sind das Mönche?«
»Vielmehr,« entgegnete jener, »eher Canonici. Sie
sind vom Orden St. Benedikts und ich habe mich
ihnen angeschlossen.« »Um Gottes willen,« sprach
der Wolf, »redet Ihr die Wahrheit?« »Bei der heiligen
Barmherzigkeit!« »Aber, sagt mir, eßt Ihr Fleisch?«
»Das ist verpönt,« sagte Reinhart. »Was essen denn
die Mönche?« »Sie essen Weichkäse und Fische. So
empfiehlt es St. Benedikt!« Ysengrin sprach: »Davon
wußte ich nichts. Aber gewährt mir Gastfreundschaft.
Es ist spät und ich weiß nicht, wohin ich mich noch
wenden soll.« »Gastfreundschaft?« sagte Reinhart,
»redet nicht davon! Nur ein Mönch oder ein Eremit
kann bei mir Unterkunft finden. Geht anderswo hin!«
Ysengrin sah ein, daß er unter keinen Umständen eingelassen
werden würde; trotzdem fing er wieder an:
»Fische? Ist das gutes Fleisch? Gebt mir doch einen
Brocken, nur um zu verkosten!« Der schlaue Fuchs
nahm drei Stücke Aal, die auf den Kohlen brieten und
inzwischen gar geworden waren. Ein Stück aß er
selbst, die anderen brachte er dem Wolf und sprach zu
ihm: »Gevatter, tretet ein wenig näher und empfangt
aus Nächstenliebe von unserer Speise. Aber wir erwarten,
daß Ihr auch in unseren Orden eintreten werdet!
« »Ich weiß es noch nicht, aber es ist möglich!«
versetzte Ysengrin, »jedoch, lieber guter Meister, gebt
mir geschwind das Essen!« Ysengrin erhielt es und
verschlang es in einem Happ. »Wie dünket Euch
darum?« fragte Reinhart. Der Feinschmecker zitterte
und brannte vor Gier. »Es möge Euch tausendmal
vergolten werden, Herr Reinhart!« sprach er, »aber
gebt mir nur noch ein einziges Stück, süßer, lieber
Gevatter, nur zum Anbeißen; dann will ich auch
Eurem Orden beitreten.« »Ich rate Euch sehr, Mönch
zu werden,« antwortete der listige Reinhart, »denn bei
Euren Anlagen werdet Ihr es noch vor Pfingsten zum
Prior oder Abt bringen.« »Hätte ich dann Fische
genug?« »Soviel Ihr essen wollt; aber zuvor müßt Ihr
Euch Haar und Bart scheren lassen.« Ysengrin begann
zu brummen, als er vom Scheren reden hörte.
»Wenn es sein muß, Gevatter,