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»Wenn du möchtest, darfst du gerne die Teller aus der Vitrine holen.«

       Nach einer Weile war der Tisch mit silbernem Besteck gedeckt, einem Kerzenständer aus Gold und Tellern aus feinem, chinesischem Porzellan. Rya hatte Blütenblätter aus dem Garten über den Tisch gestreut.

       Das besondere Essen verlangte besonderes Gedeck: Es gab Maqlube, ein Schmorgericht aus Reis, Lammfleisch und Auberginen mit gerösteten Mandeln. Dazu wurde Musakkhan serviert, gebackenes Huhn auf Brotfladen, Salat mit frischen, gewürfelten Tomaten, Gurken und Joghurt.

       Familie Zafar war froh, endlich wieder den ganzen Tag hindurch essen zu dürfen, denn erst gestern war der Fastenmonat Ramadan zu Ende gegangen, der neunte Monat des muslimischen Mondjahres. Diesmal war der Ramadan in den Sommer gefallen und durch die längeren Tage war es viel anstrengender, vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang nichts zu essen oder zu trinken.

       »Papa, darf ich mir einen Fisch aus dem Teich nehmen und ihn sezieren?«, fragte Deron in die Stille des Abendessens hinein, als die Teller gerade aufgetragen wurden.

       »Finger weg von den Fischen! Wenn du unbedingt etwas auseinandernehmen möchtest, dann such dir einen Frosch!«, murrte Herr Zafar halbherzig, im Kopf bereits vom köstlichen Mahl schlemmend.

       Ryas Bruder wurde ganz heiß und er schluckte. Papas Fisch hatte er schon mittags aus Versehen getötet. Deron saß starr auf dem Stuhl, den Blick nach unten gesenkt, und wagte es nicht, zu widersprechen.

       Herr Zafar ahnte, dass etwas nicht stimmte, und fragte: »Hast du etwa schon wieder einen meiner Schleierschwanzgoldfische getötet?«

       Der Junge wurde nervös und bekam es mit der Angst zu tun. Er wusste, dass er bedacht antworten musste und hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht, um dem bohrenden Blick seines Vaters zu entgehen. Herr Zafar trommelte mit seinen Fingern auf den Tisch und Ungeduld kam langsam in ihm auf.

       Der Blick der Mutter wanderte zwischen Ehemann und Sohn hin und her. Alle warteten auf Derons Antwort. Dieser nuschelte mit gedämpfter Stimme:

       »Ja, Vater!«

       Einer Antwort würde er eh nicht entgehen können und es wäre besser, nicht zu lügen.

       »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du die Fische in Ruhe lassen sollst?«, ärgerte sich Herr Zafar mit harter Strenge.

       »Ich wollte ihn doch nur untersuchen! Außerdem möchte ich eines Tages Arzt werden«, rechtfertigte sich der fünfzehn jährige Deron kleinlaut.

       »Arzt? Du kannst nicht einmal einen Hahn von einer Henne unterscheiden! Die armen Tiere. Wie willst du mit diesen Voraussetzungen Arzt werden? Du würdest die armen Jungs kastrieren, anstatt sie zu beschneiden«, schimpfte Herr Zafar, verstimmt, da er seinen Sohn schon oft ermahnt hatte, den Fischen fern zu bleiben.

       In diesem Moment klingelte es an der Haustür und Levana, Ryas beste Freundin, kam mit ihrer Mutter Mona zum Abendessen.

       Deron atmete erleichtert auf und verschwand heimlich auf sein Zimmer.

       Die Mittagssonne brannte und hunderte von Menschen drängten durch die verwinkelten Gassen. Kinder tobten herum, rannten durch die Beine der Erwachsenen und jagten einander lachend hinterher. Der süßliche Duft von Früchten und Gewürzen lag in der Luft und aus einigen Kaminen stieg Rauch.

       Rya und Levana kletterten zu dieser Jahreszeit oft auf Bäume oder saßen stundenlang heimlich auf den Dächern fremder Häuser. Manchmal aßen sie Kirschen und spuckten die Kerne von oben auf die Straße, während sie sich Geschichten ausdachten. Ihre Kindheit war unbeschwert und glücklich. Die beiden hatten sich und das war ihnen genug, denn sie wussten alles voneinander. Noch konnten sie nicht ahnen, dass ein einziger Tag ihr Leben verändern sollte.

       Schweigend saßen sie auf einem Dach und sahen der roten Sonne bei ihrem Lauf über den Himmel zu. Rya war heute ungewöhnlich still und Levana spürte, dass etwas sie bedrückte. Liebevoll kniff sie Rya in den Oberarm und fragte sie: »Geht es dir gut?«

       Ryas Blick fiel auf die rechteckigen Lehmziegelhäuser, die am Nordwestrand der Stadt standen, in der Ferne nur schemenhaft zu erkennen. Dann betrachtete sie die nahe Neustadt, wo sie wohnten. Sie versetzte sich in Gedanken an einen Ort, den es noch nicht gab. Dann schüttelte sie leicht den Kopf und meinte: »Levana, ich möchte nie erwachsen werden!«

       Vielleicht hatte Rya Recht, aber immer so jung zu bleiben mochte Levana nicht. Denn oft stellte sie sich vor, wie toll es wäre, ohne Erlaubnis aus dem Haus gehen zu dürfen.

       Nachdem sie sich alle Vorteile des Erwachsenseins ausgemalt hatte, beschloss sie laut:

       »Doch, ich möchte schon erwachsen werden. Dann kann ich Mamas Auto benutzen, das geht nämlich viel schneller als zu Fuß. Und wir könnten spät nach Hause kommen und müssten niemanden um Erlaubnis fragen.«

       Rya warf einen Blick auf das Haus, in dem sie wohnte. Rauch stieg aus dem Kamin auf.

       »Nee, wenn wir erwachsen sind, müssen wir so komischen Frauenkram machen. Hinter dem Herd stehen, das Haus putzen und die ganzen Einkäufe erledigen.«

       Levana, die bereits zu einer Erwiderung ansetzen wollte stockte. Ihre Freundin hatte Recht, Hausarbeit war lästig, und demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust bei dieser Vorstellung.

       »Oh, das stimmt, Rya. Nein, so möchte ich nicht leben. Ich werde schnell erwachsen und dann heirate ich. Ich lasse meinen Mann kochen und putzen und danach darf er mit mir Karten spielen oder verstecken.«

       Rya, aus ihren Gedanken gerissen, sah Levana verwirrt an, dann bildete sich ein Grinsen auf ihren kindlichen Zügen. »Du bist witzig«, stellte sie kichernd vor, doch Levana runzelte daraufhin nur die Stirn.

       Dann begann auch sie zu lachen.

       Schmollend forderte sie: »Mein Mann muss mir jeden Abend vorlesen und mit mir Fahrrad fahren.«

       Rya prustete vor Lachen und fragte: »Was ist, wenn er dir nicht vorlesen mag?«

       »Hm«, überlegte Levana laut und wippte auf dem heißen Dach mit den Beinen hin und her. »Dann werde ich nicht mehr mit ihm spielen«, beschloss sie kurzerhand und grinste glücklich über diesen Beschluss.

       Rya kicherte leise.

       Gedankenverloren bot sie ihrer Freundin die Tüte voller Kirschen an, die sie in ihrer Hand hielt und beide aßen weiter. Sie beobachteten die kleinen Kerne verzückt bei deren Flugbahn, doch irgendwann wurde Levana die Stille langweilig und sie fragte:

       »Darf ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«

       Rya sah ihre Freundin ernst an: »Klar.«

       Kauend runzelte Levana ihre Stirn, dann begann sie:

       »Eigentlich möchte ich nie heiraten, ich möchte nicht wie meine Mama traurig sein. Sie weint immer heimlich. Außerdem hat sie seit dem Tod von Papa ein schwaches Herz und sollte jeglichen Stress vermeiden. Du kannst dich doch noch erinnern, wie sie in der Küche lag und beinahe gestorben wäre, hätte dein Vater sie nicht gerettet. Nein, Rya, ich möchte nicht heiraten.«

       Rya blickte ihre beste Freundin traurig an und legte ihre Hand auf dessen Schulter, denn sie wusste ganz genau, was Levana meinte. Dann schwiegen sie für einige Minuten vor sich hin.

       Levana beobachtete die spielenden Kinder auf der Straße vor ihnen und begann traurig zu erzählen: »Manchmal denke ich mir, es wäre toll, einen Bruder zu haben. Aber meine Mutter hat gesagt,

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