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Ein Traum aus Sand und Regen. Farsana Roya
Читать онлайн.Название Ein Traum aus Sand und Regen
Год выпуска 0
isbn 9783738023473
Автор произведения Farsana Roya
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ja, in einer Stadt, wo du nur einmal abbiegen musst, um in eine andere Kultur eintauchen zu können. Wo Angehörige dreier Weltreligionen friedlich miteinander leben und einander respektieren, so, wie es sein sollte.« Rya musste abermals seufzen. Die Liebe zum alleinigen Gedanken von einem solchen Frieden hatte sie dazu animiert, Politik zu studieren.
»Und erst die Basare! Viel schöner als Zuhause«, lenkte Sakine schwärmend vom Thema ab und brachte Rya somit zum Schmunzeln. Ihre Schwester liebte es, zu kochen, und sie liebte es, einkaufen zu gehen. Auch Rya konnte sich dem Zauber der orientalischen Basare kaum entziehen, daher nickte sie nur gedankenverloren auf Sakines Anmerkung: »Wo solch berauschende Orte existieren, muss es doch einfach harmonisch sein. Es geht nicht anders.«
»Wir können ja gleich morgen auf den Markt gehen! Die Schränke müssen eh aufgefüllt werden und auf dem Weg könnten wir auch gleich dem Tempelberg einen Besuch abstatten. Ich wollte die berühmte Klagemauer schon immer einmal sehen«, schlug Rya mit wachsendem Enthusiasmus vor und schaffte es endlich, ihr Gesicht dem Himmel abzuwenden und stattdessen vorfreudig ihrer Schwester zuzuwenden. Diese lächelte nur stumm und besiegelte das Ganze mit einem Nicken.
Zufrieden verschränkte Rya die Arme hinterm Kopf.
Die nächsten Wochen würden unvergesslich werden. Frei von Sorgen oder Pflichten, frei von unnötigen Grenzen und Verboten.
Ungefähr um dieselbe Zeit, zu der sie am Vortag aufgebrochen waren, schlugen Rya und Sakine den Weg zum nahe gelegenen Bazar ein. In Sakines Armbeuge hing ein geflochtener Korb, bereit, mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt zu werden.
In ihrem Kopf ging sie akribisch die imaginäre Liste durch, nach der sie den Markt absuchen würde, während Rya an ihrer Seite mit staunenden Augen durch die Straßen schlenderte.
Sie absorbierte jeden Eindruck, der flüchtig ihre Sinne streifte.
Männer in Jeans und Shirt, die als Zeugnis ihres Glaubens die Kippa auf dem Kopf trugen, ebenso wie elegant gekleidete Damen mit Hijab.
Quengelnde Kinder, die an den Seiten ihrer Eltern liefen und regelmäßig an ihrer eigenen, ungemütlichen Kleidung und den Armzipfeln ihrer Mütter zerrten.
Dann und wann drehte Rya sogar ihren Kopf, um einer besonders interessanten Person hinterher zu blicken, oder einem der streunenden Tiere, die blitzartig um Häuserecken huschten und Schutz im kühlen Schatten suchten.
Sie hatten den Bazar fast erreicht, als ein gebrechlicher, alter Mann ihren Weg kreuzte. Er schob einen Holzkarren vor sich her, auf dem Tongefäße zu einer gefährlich wackligen Pyramide aufgestapelt waren. Zwischen dem Gedränge der Menschenströme, die auf den staubigen Straßen in alle Richtungen stoben, schien jeder leichte Windhauch seine Ware zu Fall bringen zu können.
Auch er schritt in Richtung Bazar und Rya beobachtete ihn neugierig dabei, wie er es tatsächlich heil dorthin schaffte. Im dichten Gedränge des Marktes verlor sie schnell den Blickkontakt mit dem Karren, doch schon wurde ihre Aufmerksamkeit von allerlei anderem auf sich gezogen.
Hölzerne Stände mit provisorischen Strohdächern reihten sich zu einer Allee aneinander, überall standen kindergroße Leinensäcke, in denen sich Obst, Gemüse oder Gewürze stapelten. Menschen jeden Alters und Geschlechts drängten sich an die Verkäufer, deren Stimmen laut durcheinander riefen, allesamt ihre Waren anpreisend.
»Frische Beeren! Ganz billig, nur heute zu einem Sonderpreis!«
»Wassermelonen, süße Wassermelonen!«
Die satten Farben der Lebensmittel schienen das Farbspektrum zu sprengen, die würzigen, scharfen, süßen und manchmal stechenden Gerüche Ryas Sinne zu betäuben. Ihr war, als wäre sie gefangen in einem wahren Strudel aus herrlichsten Eindrücken.
Blind für ihr eigentliches Ziel folgte sie Sakine, die zu einem Falafelstand lief, wo sie sich vor dem angehenden Einkauf eine Stärkung gönnen wollte.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt inzwischen erreicht und kein Wölkchen trübte den azurfarbenen Himmel, als in der Ferne der Muezzin zum Gebet rief.
Diesen Ruf nahmen die Schwestern als Stichwort, um mit ihrer Suche zu beginnen. An einem Gemüsestand blieben sie stehen und während Sakine mit dem älteren Verkäufer über die Preise für verschiedenstes Grünzeug diskutierte, betrachtete Rya weiterhin gedankenverloren ihre Umgebung.
Sie wog gerade eine blutrote Paprika in den Händen, als ihr Blick von einem gutaussehenden, jungen Mann gefesselt wurde. Sein Schritt war schnell und bestimmt, als hätte er ein genaues Ziel vor Augen.
Rya konnte nur einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht erhaschen, doch dieser genügte, um ihren Eindruck von ihm zu bestätigen. Die Züge des Unbekannten waren gezeichnet von Entschlossenheit, sein schwarzes Haar modisch nach hinten gekämmt. Er marschierte mit erhobenem Kopf, seine schlanke Gestalt bewegte sich geschmeidig durch die Menge hindurch.
Er hielt nicht an, um zu feilschen, seine Augen wanderten nicht. In Jeans und Shirt gekleidet machte er einen eher gewöhnlichen Eindruck, doch seine Ausstrahlung brachte Rya dazu, gedankenverloren einen Schritt zur Seite zu machen, um ihn in dem Gedränge nicht aus den Augen zu verlieren. Der blaue Rucksack auf seinem Rücken war ihr dabei ein Wegweiser.
›Wer bist du nur? Was führt dich hierher? Du kaufst nicht ein … triffst du dich mit jemandem?‹ Rya musste die Zähne zusammenbeißen, bei diesem Gedanken. Ein Mann wie er würde ihr niemals seine Aufmerksamkeit schenken. Er hatte sie noch nicht einmal bemerkt.
›Wie magst du wohl heißen? Wo führt dich dein Weg wohl hin?‹ Sie fragte sich, ob sie ihn vielleicht wieder sehen würde. Menschen trafen sich immer zwei Mal im Leben, das hatte ihre Mutter ihr eingeschärft.
Ihr Herz klopfte schneller bei der Vorstellung, ihn kennen zu lernen. Richtig zu treffen, mit ihm zu reden. Er war schon fast verschwunden, nur noch entfernt konnte sie seinen Rucksack ausmachen. Ein scharfes Gefühl von Realität schwappte über sie, als sie sich dessen bewusst wurde.
Gleich würde er fort sein, sie würde ihn nicht wiedersehen. Der kurze Moment von Euphorie und Aufregung, der sie bei seinem Anblick überkommen war, würde schwinden und zurück würde nur die bittere Erinnerung bleiben.
›So ist das Leben. Auf Licht folgt die Dunkelheit.‹ Er war fort. ›Doch nur im Schatten vermag man es, die Sonne auch zu erkennen.‹ Seufzend drehte Rya sich zurück zum Stand und legte die Paprika wieder auf den Sack, in dem ihre Artgenossen ruhten.
Neben ihr stritt sich Sakine immer noch mit dem armen Mann, der langsam die Geduld zu verlieren schien. Rya musste schmunzeln, als sie den bärtigen Verkäufer mitleidig betrachtete.
Dann, einem plötzlichen Impuls folgend, drehte sie sich wieder nach links. In die Richtung, in die der Unbekannte eben untergetaucht war.
›Habe ich es nur geträumt, oder habe ich ihn tatsächlich gesehen?‹, wunderte sie sich im Stillen, ein Runzeln auf ihrer schmalen Stirn. ›Ich weiß es nicht mehr. Das Einzige, was im Leben gewiss ist, das ist der Tod. Er verhindert, dass Geschehenes ungeschehen gemacht werden kann. Kann man die Zeit zurückdrehen? Vor einem Augenblick habe ich ihn noch betrachtet und doch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit.‹
Sie biss sich auf die Lippe, als sie sich wieder abwandte und ein kleiner, schwarzer Punkt auf den roten Paprika ihre Aufmerksamkeit erregte. Rya beobachtete die kleine Ameise dabei, wie diese sorglos über das Gemüse spazierte.
›Für dich ist ein einziger Tag vielleicht wie ein ganzer Monat. Für mich ist eine Sekunde der Liebe vielleicht die Ewigkeit.
Wenn das Schicksal es so will, werden wir uns wieder sehen.‹ Ein warmes Kribbeln breitete sich in ihr aus und neuer Mut beflügelte die junge Frau.
Plötzlich zerriss ein ohrenbetäubender Knall ihre Gedanken. Hysterische Schreie zerschnitten die Luft. Es roch verbrannt.
Eine dunkle Rauchwolke stieg über dem Marktplatz auf, Stände fingen Feuer, Männer und Frauen rannten wild durcheinander, jeder auf sein eigenes Wohl bedacht.