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Die beiden Mädchen sahen sich gegenseitig an und lachten dann zu dem Jungen hinunter: »Da musst du aber raufkommen und uns runterholen, sonst werden wir nirgends hingehen«, rief Levana frech.

       »Ich werde Mama holen, wenn ihr da nicht runterkommt, das ist nämlich unser Haus«, drohte er wieder.

       »Warum sollten wir? Es macht Spaß und wenn du willst, kannst du dich gerne zu uns setzen«, bot Rya an.

       »Das geht nicht, Papa hat mir verboten hier hochzuklettern. Er hat gesagt, falls er mich jemals dabei erwischen sollte, würde er mich dafür enterben. Ich weiß zwar nicht, was das bedeutet. Aber wenn Papa das sagt, heißt das bestimmt langer Hausarrest«, stotterte er, doch in seinen Augen funkelte die Vorfreude darauf, dem Ruf der Versuchung zu folgen.

       Rya und Levana mussten sich gegenseitig festhalten, um nicht vor Lachen runterzufallen.

       »Jemanden zu enterben, bedeutet lediglich, jemandem nichts zu vererben. Was wiederum bedeutet, dass dieses Haus vielleicht niemals dir gehören wird und du uns darum auch nicht verbieten kannst, hier oben zu sitzen«, schmunzelte Levana über ihre eigene Schlagfertigkeit.

       Der Junge überlegte kurz, ob das, was er gerade gehört hatte, wohl stimmen würde, während er sich an der Stirn kratzte und wieder nach oben blickte.

       »Na komm endlich«, winkte Rya ihn hoch.

       Er grübelte eine Weile und versuchte schließlich, hochzuklettern. »Na gut, Papa ist eh in der Moschee, ich komme zu euch.«

       Rya und Levana waren geschmeidig wie freche Katzen hochgestiegen und es amüsierte sie, weil der kleine Junge dabei seine Schwierigkeiten hatte und ihnen auf allen Vieren entgegen kroch. Schließlich stand er mit weichen Knien vor ihnen und stellte sich höflich vor. »Mein Name ist Jasin«.

       Die beiden Mädchen lächelten ihn an. Rya deutete auf ihre Freundin: »Das ist Levana und ich bin Rya.«

       »Los, setz dich zu uns, wir tun dir schon nichts«, ermunterte ihn Levana.

       Jasin kam vorsichtig näher, hockte sich mit übereinander geschlagenen Beinen hin und fragte schüchtern: »Wo wohnt ihr?«

       Rya deutete mit dem Finger über die Dächer: »Gleich zwei Straßen weiter, neben dem Gemüseladen. Siehst du da drüben in dem Haus, wo Rauch aus dem Kamin steigt? Das ist mein Haus. Und in dem Haus direkt rechts daneben wohnt Levana.«

       Jasins Blick wanderte suchend in die Ferne und zaghaft nickte er, als er besagte Häuser erkannte. Levana beobachtete ihn neugierig dabei. »Wir haben dich hier noch nie gesehen. Seid ihr neu hier? Denn wir kennen eigentlich jeden hier. Oder hat man dich adoptiert?«, fragte sie frech.

       »Nein, mein Vater ist wegen der Arbeit hier, er arbeitet für eine große Firma. Wir sind bis jetzt schon oft umgezogen, weil er immer wieder versetzt wurde. Vor zwei Wochen sind wir hergekommen. Wir werden wahrscheinlich nicht mehr von hier weggehen, das hat mir Papa versprochen«, antwortete Jasin fröhlich und ging nicht auf die Stichelei des Mädchens ein. »Doch seit den Angriffen von letzter Woche hat mein Papa Angst. Habt ihr davon gehört? Ein Dorf wurde aus der Luft bombardiert. Es ist gar nicht so weit weg von hier. Man konnte es bis hierher hören!«

       Rya wurde traurig. »Ja, auch wir hatten alle große Angst. Wenn ich mal groß bin, werde ich den Krieg beenden!«

       Jasin fragte: »Und wie lange wohnt ihr schon hier?«

       »Schon immer. Rya und ich kennen uns von Geburt an. Unsere Mütter sind gute Freundinnen, so wie wir auch«, lächelte Levana stolz.

       »Ich kenne niemanden hier«, meinte Jasin traurig.

       Rya lächelte, dann tröstete sie ihn sanft: »Doch du kennst uns! Wenn du möchtest, kannst du ab heute unser Freund sein«

       Jasin blickte verschämt lächelnd auf seine Füße und nickte. »Sehr gerne!«

       »Aber nur, wenn du Geheimnisse für dich behalten kannst und wir auf dem Dach sitzen dürfen!«, grinste Levana frech.

       Jasin nickte wieder. Dann spuckten Rya und Levana in die Hände und forderten ihn auf: »Jetzt musst du auch in die Hand spucken.«

       Jasin sah die beiden verdutzt an. Er verstand nicht, warum er in seine Hand spucken sollte. Aber er traute sich nicht, irgendwelche Fragen zu stellen und spuckte auch in seine Hand. Dann schlugen Rya und Levana ein.

       »Jetzt ist es offiziell. Ab heute bist du unser Freund«, lachten Rya und Levana.

       Jasin lachte breit und auf seinem Gesicht zeigte sich plötzlich ein kleines Grübchen.

       Rya bot ihm auch von den Kirschen an und spuckte in weitem Bogen einen Kern über das Hausdach. Jasin beobachtete sie belustigt dabei, dann machte er es ihr nach. Ab jenem Tag saßen sie zu dritt auf den Dächern der Stadt und wurden schon bald unzertrennlich.

      Kapitel 3

      Rya lag in einer ungemütlichen Position auf dem Marktplatzboden, als sie langsam wieder zu sich kam. Als sie die Augen öffnete blickte sie direkt in die Sonne, die als weißer Punkt vor ihr schwebte. Schützend hielt sie sich die Hand vor das Gesicht. Eine beruhigende männliche Stimme fragte sie besorgt:

      »Fehlt Ihnen etwas? Wie geht es Ihnen?«

      Rya war kaum anwesend. Sie fasste sich an den Kopf und fragte leise: »Was ist passiert?«

      »Sie sind auf den Boden gestürzt«, antwortete dieselbe Stimme besorgt.

      Seine Hand streckte sich Rya entgegen, um ihr aufzuhelfen. Zögernd hob sie ihren Arm und fasste mit ihrer Hand die Seine.

      Sie spürte eine angenehme Wärme, Sicherheit und Geborgenheit. Behutsam nahm sie seine Hand fester und während Rya vorsichtig nach oben gezogen wurde, hörte sie den Ruf eines Pfaus. Außer den Kopfschmerzen hatte sie keine Verletzungen davongetragen.

      Nachdem sie wieder sicher auf beiden Beinen stand hob sie den Blick und starrte direkt in seine Augen, hielt dabei seine Hand fest umklammert. Sie konnte es kaum fassen.

      ›Das ist er, der Unbekannte von vorhin.‹

      Ihr wurde ganz wohl ums Herz. Seine Augen strahlten wie Honigperlen und sie konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Ihr Herz vollführte wilde Freudensprünge in ihrer Brust. Ein Zittern ging durch ihren Körper.

      Rya konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ein Glücksgefühl machte sich in ihr breit, sie konnte es nicht fassen, dass das Schicksal sie tatsächlich zueinander geführt hatte. Glücklich lächelnd studierte sie seine Gesichtszüge, prägte sie sich genau ein, als fürchtete sie, er könnte gleich wieder verschwinden. Sie versuchte zu verstehen, was gerade mit ihr geschah. Ein Gefühl von Vollkommenheit und tiefster Reinheit umhüllte ihr Herz.

      Seine Stimme war tief und melodiös, sang ihr ein Lied von Freude und Trauer, das sie noch nie vernommen hatte.

      »Es tut mir sehr leid, was Ihnen passiert ist«, entschuldigte er sich.

      »Verzeihung. Was haben Sie eben gesagt?«, fragte Rya verlegen und errötete, als sie sich dabei ertappte, wie sie ihn anstarrte.

      »Es tut mir leid, hatte ich gesagt«, antwortete er mit seiner sanften Stimme, doch Traurigkeit überschattete seine Züge.

      »Nein, Sie müssen sich nicht entschuldigen, Sie können doch nichts dafür!«, flüsterte sie und schaute verlegen zu Boden.

      Rya versuchte, seinem bohrenden Blick auszuweichen, um sich nicht zum Narren zu machen. Daher bückte sie sich schnell, um das herumliegende

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