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Sie brauchen mir nicht zu helfen, bitte, Sie haben schon genug getan.«

      Der junge Mann schaute sie kurz traurig an und wandte seinen Blick dann zum Himmel, als würde er Regen erwarten.

      »Gut, wenn Sie darauf bestehen. Aber darf ich Sie bitten, mir Ihren Namen zu verraten«, fragte er leise, aber selbstbewusst.

      »Warum wollen Sie meinen Namen wissen?« Rya kämpfte gegen ihre Nervosität an, doch die Freude über seine Frage ließ ihr Herz abermals einen wilden Polka tanzen.

      »Verzeihung, ich wollte Ihnen nicht zu Nahe treten«, entschuldigte sich der junge Mann schnell, doch ein Grinsen trat plötzlich auf seine Lippen. »Es interessiert mich lediglich, ob Ihr Name auch so wundervoll ist, wie Sie es sind.«

      Rya errötete wieder ob dieses offenen Kompliments. Sie blickte ihn an und konnte nicht glauben, wie sanft und stolz er war. In seinem Gesicht las sie, dass er sie nicht ein weiteres Mal fragen würde. Also antwortete sie zaghaft und etwas verlegen: »Mein Name ist Rya Zafar.«

      »Rya«, wiederholte er leise. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Rya.«

      Rya bemerkte, wie er sie beobachtete, als sie das restliche Obst aufsammelte.

      »Es wäre mir eine große Ehre, Sie bald wiederzusehen«, sprach er ernst.

      Rya lächelte liebevoll, aber auf diese Frage hin schlug sie die Augen nieder. Sie antwortete widerwillig, wünschte sich, es nicht aussprechen zu müssen. »Das geht nicht. Mir ist es nicht gestattet – meine Eltern verbieten es mir. Ich bin Muslime, ich kann nicht!« Ihre Stimme wurde immer hilfloser und sie wandte sich von ihm ab.

      Er schaute kurz um sich, um sicher zu gehen, dass ihnen niemand zuhörte. Dann ging er schnell um sie herum, legte seinen Kopf leicht zur Seite, sah ihr tief in die Augen und erklärte: »Sag ihnen, dass es da jemanden gibt, der keinen weiteren Tag verstreichen lassen möchte, ohne Sie wiederzusehen.«

      Rya blickte ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf.

      »Sie sind ja verrückt«, lachte sie, doch ein Teil von ihr war ihm dankbar für seine Hartnäckigkeit.

      »Nein, das ist mein voller Ernst, ich muss dich wieder sehen. Möchtest du es auch?« Die plötzliche Zärtlichkeit in seinen Worten und die Nähe zwischen ihnen versetzte Rya einen Stich ins Herz.

      »Nein … ja … wie soll ich es bloß arrangieren? Es wäre falsch von mir.« Verzweifelt runzelte sie die Stirn.

      »Ich habe da eine Idee, vielleicht könnte sie unser Problem beseitigen«, begann er zögernd, aber bedacht. »Alljährlich gibt es ein Fest in dem großen Haus, auf dem Berg dort drüben.« Er zeigte mit dem Finger zu einem Hügel in der Ferne, der majestätisch zwischen den Häusern der Stadt aufragte. »Es ist eine Veranstaltung vom Bürgermeister.«

      Dann schaute sich der junge Mann um und fügte leise hinzu: »In einigen Tagen ist es wieder soweit. Bei Sonnenuntergang können wir uns im Garten neben der Terrasse, an der alten Statue treffen.«

      Rya überlegte kurz. Sie wusste, dass ein Treffen mit ihm eigentlich kein Problem darstellen würde. Schließlich lebten ihre Eltern nicht hier. Aber sie spürte im Innern ihres Herzens, aus einem Instinkt heraus, dass sie es ihm nicht so leicht machen wollte. Er sollte schließlich nicht den Eindruck bekommen, sie würde sich mit jedem gutaussehenden Mann sofort verabreden. Und außerdem verbot es ihr Stolz.

      »Ohne Einladung können wir da aber nicht hin. Und zu so später Stunde ist es fast unmöglich.«

      »Mache dir keine Sorgen, man wird dir ohne Probleme Einlass gewähren. Und außerdem wirst du auf der Gästeliste stehen.«

      »Sicher?«

      Der Fremde nickte.

      »Geht in Ordnung!«, freute sich Rya, ohne sich zu fragen, wie er das zustande bringen wollte.

      »Ich freue mich, dich bald wieder zu sehen«, lächelte er sie glücklich an, erhob sich und eilte davon.

      Fassungslos schaute Rya ihm nach. Da fiel ihr plötzlich auf, dass sie nicht einmal seinen Namen kannte. »Wollt Ihr mir nicht auch Euren Namen verraten?«, rief sie ihm nach, aber er war schon zu weit weg.

      »Schwesterherz!« Sakine kam um die Ecke des Standes gebogen und starrte Rya erleichtert an, ehe sie ihrer kleinen Schwester in die Arme fiel. »Für einen Augenblick dachte ich, etwas Schlimmes sei geschehen! Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut? Hast du dich verletzt?«

      »Mir geht es gut!« Innig erwiderte Rya die Umarmung Sakines. Ihre Augen aber hielten weiterhin nach dem Fremden Ausschau.

      Nachdem sich die Beiden wieder voneinander gelöst hatten, zupfte Sakine ihr Kleid zurecht und drängte: »Wir müssen uns beeilen. Komm, lass uns gehen! Es ist schon spät!«

      Sanft zog Sakine ihre Schwester mit sich fort und begann eine Geschichte über ihren Großvater zu erzählen, die sie erst vor wenigen Tagen erfahren hatte. Doch Rya war mit ihren Gedanken bei ihrem Unbekannten und hörte ihrer Schwester gar nicht zu. Ihr Herz pochte immer noch.

      Kapitel 4 – Rya und Levana

       Die drei Freunde gingen jede Woche auf Entdeckungstour und fanden immer wieder neue Plätze, wo sie gemeinsam spielen konnten. Manchmal liefen sie zu den alten Ruinen oder schauten den Männern bei den Ausgrabungen von alten Steingefäßen zu.

       Bald, als Levana und Rya auch Fahrräder von ihren Eltern geschenkt bekommen hatten, fuhren sie in das nahe Wäldchen, den ein kleiner Bach teilte. An einer Stelle führte eine schmale, wackelige Brücke über das Wasser auf die andere Seite des Waldes. Die Bäume beschirmten den Bach, doch die Sonne drängte sich dennoch durch das Laubkleid und ließ die Wasseroberfläche glitzern.

       Dieser Platz wurde mit der Zeit zum Stammplatz der drei Freunde, besonders, wenn es sehr heiß war. Dort fanden sie Schutz vor der Hitze und kühlten ihre Füße im Wasser. Manchmal fischten sie interessant geformte Steine vom Grund und bemalten sie mit ihren Farbstiften. Die Steine versteckten sie hinterher im Gebüsch.

       Eines Abends kam Levana auf die Idee, die Steine am Straßenrand zu verkaufen. Sie stellten vor Ryas Haus einen Tisch auf und boten Passanten die bunten Steine an. Einige kauften ihnen sogar welche ab. Für das selbstverdiente Geld ergatterten sie Eis und andere Leckereien. Wenn ihnen gerade mal langweilig war, nahmen sie die Farbstifte und bemalten sich gegenseitig, um einander zu ärgern. Abends kamen die drei Freunde mit bunten Köpfen nach Hause und mussten lange mit Wasser und Seife schrubben, bis die Farbe wieder weg war.

       Mit der Zeit kletterten sie nicht einmal mehr auf Dächer, denn die Gegend um das Wäldchen war viel spannender.

       »Rya, sieh dir mal Jasin an. Sein Stein sieht aus, wie er selbst - ein Teufelchen«, neckte Levana den Jungen, als sie an einem besonders heißen Nachmittag am Bach saßen.

       Jasin bekam einen roten Kopf, stand auf und rannte der flüchtenden Levana hinterher, doch es gelang ihm nicht, sie zu fangen. Als Levana den Jungen auslachte und dabei über die Schulter blickte, stolperte sie über einen besonders dicken Stein auf ihrem Weg. Strauchelnd fiel sie ins Wasser des Bachs.

       »Na, wer sieht denn jetzt wie ein Teufelchen aus?«, feixte Jasin, ehe er sich wieder neben Rya setze, die sich vor Lachen nicht mehr einkriegen konnte.

       Levana sah die beiden sauer an und rief: »Macht euch ruhig lustig über mich, euer Lachen wird euch noch vergehen.« Sie schöpfte mit ihren Händen Wasser aus dem Bach und spritzte beide nass.

       Dichte Wolken verdeckten die Sonne, doch bisweilen erhaschten einzelne Strahlen einen Blick auf die Erde.

       Die Zeit verging schnell für die Freundinnen und die Tage ihrer Kindheit wurden durch Jasin versüßt. Sie genossen es, durch den Wald zu streifen.

      

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