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meine Mutter Eng­lisch-Kurse. Die ganze Ge­meinde hat bei ihr Englisch gelernt, sie woll­ten ja alle auswandern. Meine Mut­ter musste die Lek­tio­nen vor­her erst selbst ler­nen, war den Schü­lern immer gera­de eine Lek­tion vor­aus.

      Wir haben auch ein Zim­mer an einen nichtjüdischen Geigen­leh­rer ver­mietet. Er war ent­schiedener Anti­na­zi und hat bis zum Som­mer 1938 in diesem Zimmer in unserer Wohnung Geigenstunden gegeben. Eines Tages kam er dann zu mei­nen El­tern und er­öff­nete ih­nen, dass er nicht mehr bei ihnen unter­rich­ten dürfe. Er bat sie um Verständ­nis, er ­sei ganz außer sich, aber er hätte große Schwie­rig­kei­ten, die Schüler durften nicht mehr kom­men. Bis dahin konnte auch die Klavierlehrerin noch in unser Haus zum Unterricht kommen, auch das war nun nicht mehr ­mög­lich. Auch sie musste uns ab­sagen, es tat ihr schreck­lich leid.

      Mein Vater gehörte dem Vor­stand der jüdischen Gemeinde an. Daneben war er auch in der ­Har­den­berg-Loge tätig. Dies war eine jüdische Loge, die nach dem Verbot der anderen Logen noch fort­be­stand. Sie be­fand sich in einem schönen Gartenhaus am Wilhelms­platz. Wir hat­ten dort auch unse­re Heim­aben­de von den "Werk­leu­ten". Wir haben dort einen Chor ge­habt und viel Musik ge­macht. Wäh­rend der Ver­samm­lun­gen kam mit­unter ein SA-Mann und kon­trol­lier­te. Wir waren jedoch infor­miert, wor­über wir dann zu sprechen hatten, und was wir zu sin­gen hatten. Das Thema wurde so­fort ge­wech­selt.

      Wir sind schon als junge Mäd­chen zu den "Werkleuten" gegan­gen, die aus den "Ka­meraden" hervorgegangen waren. Mein Bru­der, der drei Jahre älter war, ge­hörte schon lange dazu. Die "Ka­me­ra­den" waren noch in kei­ner Weise zio­ni­stisch aus­ge­rich­tet, sie stan­den dem Wan­der­vo­gel nahe, ver­anstal­te­ten Heim­aben­de, hatten La­ger, san­gen Lands­knechts­lie­der wie die an­dern deut­schen Bünde. Der Wan­dervo­gel wurde jedoch zuneh­mend anti­semi­tisch. Daher waren rein jüdische Wander­bünde gegrün­det worden. Die "Werkleute" waren bereits zio­nistisch aus­gerichtet, M­artin Buber hat sie stark beeinflusst. Sie sorgten auf die best­mögliche Weise für die Stärkung unsere­s Selbstbewusstseins. Wir pilger­ten sonn­tags hin­aus zu einer Wiese im Eich­wald, hielten Völ­ker­ball­tur­niere ab, sangen Lands­knechts- und hebräische Pionierlieder durchein­ander, saßen im Krei­se auf dem Gras, im Schnei­der­sitz, diskutierten über die Welt­pro­bleme, ­den Chas­si­dismus und die Kibbuz-Bewegung. Wenn wir durch die Wälder radelten, immer auf der Hut, zu zweit oder zu dritt, um nicht Auf­merksamkeit zu erregen, träumten wir von der judäi­schen Wüste, den Bergen Galiläas und der wunderbaren Frei­heit, die uns dort erwartete. Wir fühlten uns inzwischen als Fremde in dem Land unserer Geburt, das so sehr darauf aus war, uns loszuwerden.

      Gleichzeitig mit den wachsenden Einschränkungen und Schikanen der Nazi-Zeit intensivierte sich das kulturelle Leben. Da zahl­lose ­jü­di­sche Künstler entlassen waren und sozusagen auf der Stra­ße lagen, ­konn­ten sie nur noch im ei­ge­nen Rah­men wir­ken. So erschienen jetzt in unserer Provinzstadt angese­hene Musiker, Schauspieler und Schrift­steller, um im Saal der Hardenberg-Loge, und nach der Beschlagnahme dieses schönen Hau­ses in dem nüchternen Gemeinde­saal über der Synagoge ihre Kunst darzubieten. Alle wurden in unserm Haus empfangen, dort wurde musiziert, rezitiert, disku­tiert, und so konnte man immer etwas Neues hören und erleben. Meine Eltern führten ein offe­nes Haus, es gab viel Gesellig­keit. Hausmusik wurde veranstaltet, meine Mutter hat gesungen. Ich wurde als unentbehrliche Notenum­blät­te­rin in diesen Kreis hineingezogen und hatte mei­nen An­teil an dem Applaus für die Klaviervirtuosen. Wesentli­cher war aller­dings der Bei­trag meines Bruders, der sich als Beglei­ter, Solo­pianist und sogar als Komponist hervortat. Sein erster größerer Auftritt erfolgte bei den Kinder­szenen von Schu­mann, diesen Ton­dichtungen von den Freuden und Leiden, Äng­sten, Grü­be­leien und Träumen einer heilen Kindheit. Eben der, die unsere Eltern für uns geplant hatten, bevor ein böser, mäch­tigerer Wille ein­griff.

      Aus dem Sprechzimmer meines Vaters hörte man immer seltener Baby­ge­schrei, manchmal verstummte es für ganze Stunden, be­sonders, wenn der SA-Mann auf der Straße patrouillierte und je­den, der mit einem Kind ins Haus trat, nach Namen und Anliegen fragte. Die weni­gen, die der ruhigen Autori­tät meines Vaters zuletzt noch die Treue hielten, kamen oft erst nach An­bruch der Dunkelheit oder baten ihn telefonisch um einen abendlichen und nächtli­chen Besuch. Meine Mut­ter, von Jugend auf zionistisch orientiert, drängte auf Auswanderung nach Palästina. Mein Vater pflegte auf schlim­me Geschichten stets mit dem Ausspruch zu reagieren: "Das glau­be ich nicht!"- In der Emigra­tion - und die Ali­jah, der "Auf­stieg" ins Land Isra­el war für ihn nichts anderes - sah er ­nichts als ein Kapi­tu­lieren, ein fatales Ak­zeptieren des Sieges des Bösen über das Gute. Seine Gäste führ­te er nach wie vor in die alten Frankfurter Messehäu­ser, zum Geburtshaus von Hein­rich von Kleist, zeigte ihnen das Kunersdor­fer Schlachtfeld oder den exo­tischen Baum, Gingko bilo­ba, den er in den Anlagen ent­deckt hat­te, und dekla­mierte dazu das Gedicht, das Goethe einst bei der Betrach­tung eines Baumes dieser Art in Heidel­berger Schlosshof nieder­geschrie­ben hatte.

      Doch war meine Kindheit keine glückliche. Nicht wegen des sich immer mehr verfinsternden Himmels, denn was wusste ich schon von dem Grauen, das in der Zukunft wartete, sondern weil über ihr die große, schwarze Wolke des Abschieds lag. Mein Vater hatte be­schlossen, nicht auszuwandern. Ande­re, viele nahe Ver­wandte und Freunde, entschie­den sich anders. Häuser, in die wir gewohnt waren einzutreten, wur­den zu abweisenden Fassaden. Um den Weg­gezogenen in ihre neuen Wohn­orte zu folgen, mussten wir, neben der Palä­stina-Karte, Knaurs großen Weltatlas zu Rate ziehen. Oft bedurfte es der Wanderung über mehrere Länder, um die verstreu­ten Mitglieder einer bis vor kurzem noch glücklich vereinten Familie aufzufinden.

      ­ Hirsch­bergs waren die er­sten, die weg­gin­gen, schon 1933, ohne zu zö­gern. Onkel Josef und Tante Else, wie wir sie nannten, waren die besten Freunde unserer El­tern gewesen. Onkel Josef besaß ein Riesen­grundstück mit Gar­ten, Wiese und Wald am Rande der Stadt, ein Para­dies unserer Kind­heit, bald ein ver­lorenes Paradies. Damals war Traud­chen Lapi­das noch da, die unzertrennliche Ge­fährtin meiner frühen Kind­heit, die Tochter des Kultusbeamten der jüdi­schen Gemeinde. Unter seinen verschiedenen Ämtern und Pflich­ten fiel ihm auch die Aufgabe zu, an den hohen Feiertagen den Scho­far, das uralte Wid­derhorn, zu blasen. In den letzten Monaten vor ihrer Abreise waren wir sehr aktiv. Ich schrieb Ge­schichten, sie illustrierte sie und band sie ein, und dann ver­kauften wir sie für teures Geld an wohlmeinende Be­kannte, eine Mark oder 1,50 pro Buch. Dann ging sie mit ihren Eltern nach Palästina, und ich schloss mich für eine Woche in mein Zimmer ein und war für nieman­den zu spre­chen.

      In den ersten Jahren predigte unser Rabbiner, Ignaz Maybaum, der angesehe­ne und auto­ritäre Seelsorger unserer Gemeinde, noch gegen die Klein­gläubi­gen, die nicht standhalten wollten. Eines Tages verschwand aber auch er, zunächst nur ins Ge­fängnis, und wir mussten uns für seinen kleinen Sohn Mi­scha alle möglichen Ablenkungen ausdenken, damit er nicht zu oft nach sei­nem Vater frag­te. Irgendwann packte auch er seine Sie­bensachen, nahm seine Frau, den krausköpfigen Mischa und das Ba­by, und suchte das Weite.

      Im Laufe der Zeit wurde es eine Ge­wohn­heit, auf den Bahn­hof zu ge­hen, wenn jemand abfuhr. Wir wink­ten, bis der Zug außer Sicht war, dann gingen wir nach Hause und brü­teten. In den letz­ten zwei Frank­fur­ter Jahren, 1937/38, hatten alle unsere gro­ßen Brü­der und Schwe­stern von den "Werkleu­ten" die Stadt ver­las­sen. Wir elf- bis dreizehnjährigen Jungen und Mädchen versuchten, unsere Verwaistheit mit gesteiger­ter Aktivi­tät zu verdrängen. Führerlos zurück­geblieben mussten wir uns nun selbst führen, auch nach außen hin. In be­stimmten Abstän­den musste ich mich als klei­nes Mädchen mit Pony und Stupsnase, doch "Orts­grup­pen­lei­te­rin der Werkleu­te", bei der Kri­mi­nal­poli­zei melden. Das war immer ein allgemei­nes Gaudium, und keiner von den jovialen Be­amten sprach anders mit mir als mit amüsiertem Augenzwin­kern.

      Anders war es bei der Gestapo, wohin ich einmal, mitten aus der Ge­schichtsstun­de her­aus, abge­holt wurde - zum Entsetzen mei­ner Mit­schüle­rin­nen. Man brachte mich in einen großen kahlen Raum. Dort traf ich eine Reihe

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