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Abitur in­ter­es­sier­te mich nur noch, ob ich in Israel Musik studieren konnte, ob der Kibbuz das zuließ. Man sagte mir, dass ich erst einmal eine Hachschara ma­chen und dann in einen Kibbuz gehen müsste. Nach ein paar Jahren würde man dann sehen, ob man mich Musik studie­ren ließe. Das hat mich nicht begeistert.

      Ich bewarb mich nun um ein Stipendium für das Jerusalemer Kon­servatori­um, das Palestine Music Conservatory, das Emil Hauser 1933 gegründet hatte. Heute ist es die Israel Aca­demy of Music. Hauser bekam jedes Jahr 30-40 Zer­ti­fi­ka­te von der britischen Mandatsregierung für Stu­denten und prüfte die Be­wer­­ber in Ber­lin. Ich hatte das Glück, die Prüfung zu bestehen, und konnte im Oktober 1938 ausreisen. Unsere Eltern kamen erst An­fang 1939. Unser Vater war krank, er bekam auch jahre­lang keine Er­laub­nis, als Arzt zu arbeiten, denn es gab in Palästina einen Numerus clau­sus für Ärzte. Ich habe drei Jahre am Konservatorium Klavier und Flöte studiert und er­hielt 1941 mein Abschlusszeug­nis. 1949 hei­ratete ich eine Französin, die ich in Tel Aviv kennen gelernt hatte.

      Bit 1980 gehörte ich dem Israel Phil­harmo­nic Orchestra an, dann ging ich in Pension. Ich habe viel Kammermusik gemacht, etwa Barockmusik, in Quar­tetts und Trios mitgespielt. Neben Klavier und Flöte spiele ich auch Cembalo. Nach der Pensionierung gin­gen wir nach Pa­ris, wo die Mut­ter mei­ner Frau pfle­ge­be­dürf­tig war. Wir lebten wechsel­weise in Paris und in Tel Aviv. ­Mei­ne Frau hatte den Krieg in Frank­reich er­lebt, teil­weise in Pa­ris, teil­weise in Südfrank­reich. Ihr Vater kam aus Indien, und die Eltern hatten sich getrennt, als der Vater dorthin zu­rück­keh­ren wollte.

      Nach dem Tod meiner Schwie­germutter vor etwa 10 Jahren sind wir nach Eng­land gezogen. Meine Frau arbeitet als englisch-französi­sche Dol­metscherin. Ich habe hier viele Freunde und gebe gelegent­lich auch noch Kon­zerte. Ich fühle mich aber als Israeli und bin in Israel zu Hause. Wir verbringen jedes Jahr zwei bis drei Monate in Tel Aviv. Ich lese Hebräisch und Eng­lisch, aber wenn ich die Wahl habe, lese ich lieber und besser Deutsch.

      Flucht mit Gestapo-Hilfe. Salo Glass

       Bericht von Salo Glass, im Alter von 92 Jahren, nahezu blind, 1995 in New York auf Band gesprochen. Ergänzende Informationen durch seine Tochter.

      Ge­bo­ren bin ich 1903 in Go­llantsch, im Kreis Won­gro­witz in der Pro­vinz Posen. Posen gehör­te zum V. Ar­mee­korps, und auch in mei­ner Familie gab es viele Sol­daten. Mein Vater hat bei den Grünen Jägern ge­dient, sein jün­gerer Bru­der bei den Schwarzen Husaren in Danzig. Auch der ältere Bruder meiner Frau war Sol­dat, er fiel 1918 wenige Tage vor Kriegsende. Ich war seit meinem 10. Lebens­jahr Mitglied der Ju­gend­wehr. Im Krieg haben wir in Laza­retten bei der Be­treu­ung der Verwundeten geholfen.

      Ich lebte bis 1920 in Po­sen, votierte nach Abtretung der Provinz an Polen für Deutschland und siedel­te nach Frankfurt/Oder über. 1938 wohn­te ich dort mit mei­ner Frau und zwei Töch­tern im Haus von Rechts­anwalt Broh in der ­Richt­stra­ße. Zwei Wochen vor den Novemberereignis­sen war der zweite Kantor und drei Tage später der alte Syn­agogen­diener gestor­ben. Rabbi Curtis Cassel fragte mich den Tag dar­auf, ob ich nicht ein­sprin­gen wollte. Es passte mir schlecht, aber ich bin seiner Bitte nach­gekom­men.

      Im Herbst 1938 war die Mehrzahl der jüdi­schen Ge­schäfte in Frank­furt schon in "arische" Hände über­führt worden. Viele Juden, vor allem jüngere, hatten die Stadt be­reits verlassen. Am 8. No­vem­ber 1938 nach­mit­tags hörte ich von einem Freund, dass etwas im Gange sei. Ich solle am Abend besser nicht zu Hause blei­ben. Ich bin spät nach Hause gekommen und habe gehört, wie man mei­nen Nach­barn zur Rech­ten und meinen Nachbarn ge­gen­über abge­holt hat. Bei mir hat man nicht ange­klopft - ich glau­be, man hat noch nicht ge­wusst, dass ich hier eingezo­gen war.

      Um Viertel vor Zwölf bin ich hin­ausgegan­gen zur Synago­ge. Dort habe ich alles in Trümmern vorge­fun­den. Ich konnte nur noch zwei Thora-Rollen ret­ten. Plötzlich stand ein Gestapo-Kommissar mit seinem Assistenten vor mir. Was ich hier tue? Ich erwiderte, ich versuche zu ret­ten, was ich kann. Er: Sie haben kein Recht dazu! Ich erklärte ihm, dass ich nach dem Tod des alten Synagogendieners des­sen Amt übernommen habe. Im gleichen Moment kam die SA-Ab­tei­lung in die Synagoge, Sturmbann­füh­rer ­Schi­low10 mit sei­nen 60 Mann. Er redete kurz mit dem Kommis­sar, und die Sache war geklärt. Nach­her fragte mich der Kommissar nach mei­ner Bezie­hung zu Schi­low. Es war eine alte Freund­schaft. Ich war zu seinem 50. Ge­burtstag ein­ge­laden. Dort waren 60 SA-Leute, 12 SS-Leute und meine Wenig­keit.

      Der Kommissar hat mich noch zehn Minu­ten lang verhört und dann gehen lassen. Kurz vor Eins war ich zu Hause. Früh am nächsten Morgen ging ich noch einmal zur Synagoge, um nachzuse­hen, ob noch etwas zu retten war. Die Synagoge war völlig niedergebrannt. Die Leute, die dort zu­schauten, gaben sich gleichgültig. Mir war klar, dass ich auf der Straße nicht mehr sicher war. Ich bin dann mit der Stra­ßen­bahn zum Juden­fried­hof ge­fahren und blieb dort unge­fähr zwei Stun­den. Der Friedhofsauf­seher Biller­beck hat mich dann mit sei­nem Auto zu meinem – nichtjüdischen - Freund Lauten­sack gefahren. Ich wusste, dort war ich vorerst außer Gefahr.

      Später erfuhr ich, dass der Kommissar sich Einlass zu unserer Woh­nung verschafft und mit mei­ner Frau gesprochen hatte. Er sagte zu ihr: "Lass dei­nen Mann allein, komm mit den Kin­dern, du be­kommst eine schöne Woh­nung, und wir werden für dich sorgen. Du bist doch nicht jü­disch." Sie sagte mit Nach­druck­: "Ich bin jü­disch!" Sie zeigte ihm auch das Bild ihres Bruders, der 1918 gefallen war. Er gab dann mei­ner Frau noch eine Bescheinigung und versprach ihr, sie könne sich auf ihn berufen, wenn je­mand sie be­drängen sollte. Eine Woche später allerdings hat der Kommis­sar noch einmal zwei Leute zu mei­ner Frau ­ge­schickt, um sie zu einer Trennung zu überreden.

      Ich war sehr vor­sich­tig, als ich nach Hause gin­g. Mit mei­ner Frau hatte ich ver­abre­det, dass sie ein Hand­tuch aufs Fen­ster legt, damit ich wissen konnte, ob jemand oben war. Ich ging hinauf, müde und ka­putt von allem, was ich gehört und gesehen hatte, und be­stürzt darüber, wer alles verhaftet wor­den war. Später habe ich ge­hört, dass die Verhafte­ten, etwa 35 Männer, ­ins KZ Sach­sen­hausen trans­portiert ­wor­den waren. Mich sel­bst hat man nicht belä­stigt.

      Der Kommissar bat mich tags darauf um meine Hilfe. Ein jüdischer Feld­webel in Für­sten­berg hatte sich die Uniform angezo­gen mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse und sich dann er­schossen. Ich sollte den Toten identifizieren und dann bestatten. Ich habe in ihm einen alten Bekann­ten wie­dererkannt, der vier Jahre im kai­ser­li­chen Hauptquartier ge­dient hat­te. Wir haben getan, was wir konn­ten, um ihn auf­zu­bahren und ins Grab zu legen.

      Mit dem Gestapo-Kommissar bin ich meistens gut ausgekommen. Eines Tages wurde ich wieder zu ihm bestellt. Er hat dage­standen mit erhobener Faust, wie um mich zu schla­gen. Es ging darum, dass ich den vorgeschriebenen Vornamen "Israel" nicht führ­te. Er nahm schließlich aus sei­ner Schub­la­de die Verordnung heraus und ­stellte dann fest, dass ich den Namen Isra­el nicht tra­gen müs­se, denn mein Name Salo rei­che zur Kenn­zeichnung als Jude ­aus. Von der Zeit an hatte ich Ruhe.

      Als meine Abreise feststand, ging ich zu ihm, um ihm mitzuteilen, dass ich das Land ver­las­se. Er hat mich aufge­for­dert, wahr­heits­widrig zu un­ter­schrei­ben, dass ich der kom­mu­ni­sti­schen Par­tei angehört habe. Ich habe mich ge­wei­gert. Er be­stand darauf und hat sich aufge­regt, als ich dies nicht tat. Aber als ich mich verab­schie­dete, wünschte er mir gute Reise.

      Meine Frau und ich sollten im Spätsommer 1939 mit einem von der Gestapo organisierten Trans­port nach Palästina ausreisen. ­Mei­ne bei­den Töch­ter konn­ten nicht mit uns fahren, da Kinder unter 12 Jahren nicht legal ein­reisen durf­ten. Ich konnte für sie jedoch Plätze in Kinder­trans­porten nach Eng­land beschaf­fen. Es gab keine andere Möglich­keit, wir mussten uns von ihnen tren­nen. Meine jün­ge­re Toch­ter Ruth fuhr so mit 6 Jah­ren im Fe­bruar 1939, meine Älte­re, Mar­got, mit 11 Jahren etwas später nach Eng­land.

      Wir

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