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gehen, und so wurde mir schließlich das dritte Jahr von Ben Shemen ausbe­zahlt, damit ich in Jeru­salem ein Gymnasium besuchen konnte.

      Ich erhielt dann noch ein Stipendium, das mir den weite­ren ­Be­such des Gymnasiums ermöglichte. Das war schon wäh­rend des Krie­ges. Für mich war es eine große Sache, denn das Gymna­sium zu besuchen war sonst bei den Neuein­wande­rern nicht üb­lich. Die an­dern Kinder stammten aus eta­blierten Familien. Ich mach­te auch immer die Schul­ar­bei­ten, wäh­rend die an­dern Schüler fau­lenz­ten. Aber sie hatten Ver­ständ­nis dafür, dass bei mir die Dinge anders lagen. Nach drei Jahren, 1943, habe ich das Ab­itur abge­legt. An­schlie­ßend lebte ich ein Jahr in dem Kib­buz Dorot in der Negev, öst­lich von Gaza. Das war ein jun­ger Kibbuz, damals erst ein Jahr alt. ­Dann ging ich an die Uni­ver­sität in Jeru­sa­lem, studierte Ju­dai­stik und jüdische Geschichte. Ich hatte dort berühmte Leh­rer, Baer, Al­lon, Dinur. Ich habe auch hebräi­sche Literatur ge­hört und schließ­lich an einem Kurs für engli­sche Litera­tur teilge­nommen. Den hielt ein Pro­fes­sor Isaacs, der ei­gens aus Lon­don kam. Die ganze Universität wollte zu ihm, er nahm aber nur zwölf Schü­ler, ich war da­bei - ein ganz großes Privileg.

      Das Studium habe ich jedoch nicht beendet. Kurz vor dem Ab­schluss wurde ich nach Zypern geschickt, wo die großen Lager für die inter­nierten Immi­granten waren, welche die Engländer nicht ins Land lie­ßen. Vor allem Dinur schickte seine Schüler nach Zy­pern. Die Je­wish Agency küm­mer­te sich um die Inter­nierten und gab Geld für deren Ausbil­dung. Wir haben dort ein Seminar für Jugend­liche aufge­baut, die die Schule ver­lassen und nichts zu tun hatten. Es gab ein Som­mer- und ein Win­ter­la­ger. Es war eine gute Sa­che, die Schüler waren vor­bild­lich, sie sogen jedes Wort auf.

      Auf Zypern habe ich gehei­ra­tet. Mein Mann, David Brodski, war aus Polen am Anfang des Krieges über Russland und Japan nach Ame­rika geflüchtet. Er wurde dann ame­ri­ka­ni­scher Sol­dat und bekam bei der Ent­las­sung eine Geld­summe von der Armee. Für Sol­daten, die stu­die­ren wol­lten, gab es die GI-Bill, monat­lich eine reich­liche Summe für das Stu­dium. Er stu­dierte in Jeru­salem, ging jedoch dann wie ich nach Zypern, und dort haben wir uns kennen gelernt.

      Ich erinne­re mich noch an die Nacht, als der Staat Israel ausge­rufen wurde. Als ich von Zypern zu­rück­kam, war schon der Be­frei­ungs­krieg im Gange. Ich ging nicht mehr an die Uni­ver­sität, sondern auf die Musikaka­demie. Musik zu studie­ren war mein ei­gentlicher Wunsch. Auch mein Bruder war Musi­ker. Musik war ein wichtiger Bestandteil unserer Jugend­zeit gewe­sen, sie steht für das, was uns das Land unserer Ge­burt nicht nehmen konnte, als es uns verstieß, dahin, wo wir hingehö­ren, und wohin wir ohne den Druck der Verfolgung wahrscheinli­ch nie ge­langt wären.

      Ich habe dann ­l­ange Zeit in der Mu­sik­ab­tei­lung am is­rae­li­schen Rund­funk gear­beitet. Ich wurde durch Serien über Komponi­sten be­kannt, die mit Schau­spie­lern und Musi­kern gestaltet wurde. Eine ganze Gene­ration hat ihre musika­lische Bil­dung aus die­sen Pro­gram­men bezo­gen. Ich habe mich dann 1986 frühzei­tig pen­sio­nie­ren las­sen. Ich wollte mich noch meinen literarischen Interessen widmen, einige Bücher schreiben. Jahrelang habe ich dann an einer Rilke-Bio­gra­phie gear­beitet, mit Gedichten und Briefen. Etwas Derarti­ges gab es in Ivrit, in Neuhebräisch, über­haupt nicht. Dann habe ich noch eine Anthologie deutscher Lieder her­ausge­geben, Texte in Ivrit zu der entsprechenden Musik. 1994 er­hielt ich in Weimar vom Goethe-Institut eine Me­dail­le für meine Aktivitäten auf dem Gebiet des literarischen und künst­lerischen Kulturaustausches zwischen Deutschland und Israel. Jetzt (1995) ar­beite ich an der Bio­gra­phie eines is­raeli­schen Kom­poni­sten, der auch aus dem Ge­biet von Posen stammt.

       Bericht von Eldad (Alfred) Neumark, London, 23.6.1996.

      Ich wurde 14 Tage nach der Ankunft meiner Eltern in Frankfurt geboren. Seit Ostern 1930 besuchte ich das Friedrichs­gym­nasium und hatte dort auch nach der Machtergreifung keine besonderen Schwierigkeiten mit Mitschülern. Das Problem war nach 1933 ganz allgemein, sich als Jude auf der Straße zu bewegen. Vor allem im ersten Jahr nach der Machtübernahme zogen dauernd Abteilungen der SA oder Hitler­jugend mit Fahnen die Straßen entlang. Wenn man die Hand nicht zum Hitlergruß hob, war das gefähr­lich, wenn man es aber tat und dann stellte sich heraus, dass man Jude war, war es noch gefährlicher.

      Im Friedrichsgymnasiums hatte ich nur einmal ein unschönes Erlebnis. Während des Potsdamer Tages am 21. März war ein großer Fackelzug der gesamten Frankfurter Jugend geplant. Auch die Schüler des Friedrichs­gymnasiums sollten geschlossen daran teilnehmen. Meine Eltern waren damals noch verwirrter als viele andere und schickten mich mit. Ich marschierte also mit den andern mit einer Fackel. Natürlich wussten viele, wer ich war, und meine Hintermänner verpassten mir dauernd Fußtritte. Ich war völlig konfus.

      Damals, mit zwölf Jahren, verstand ich nicht, warum ich an der deutschen Erhebung keinen Anteil haben sollte. Was hatte mein Judentum damit zu tun? Die Eltern konnten mir nicht helfen, sie waren selbst ratlos. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich durch die Jugendbewegung der "Werkleute" all-mählich meine jüdische Identität fand und verstand, dass ich ein anderer war. Ich begriff auch, dass dieses Anderssein keineswegs etwas Negatives war, dass ich im Gegenteil auf mein Jüdischsein stolz sein konnte.

      Die Schule selbst vertrat keine anti­semi­tische oder prosemitische Haltung. Sie war sozusagen neutral. Es hing völlig von den einzelnen Lehrern ab. Ich erinnere mich gut an unsern Klas­sen­lehrer Dr. Schmidt, der zu sagen pflegte: "Ihr HJ-Jungen arbei­tet alle nicht, ihr geht raus, marschiert, schwenkt Fahnen. Was soll aus dem armen Deutschland werden, wenn nur die Juden hier arbeiten, denn das sind die einzigen, die noch etwas tun!" Zu uns war er jedenfalls sehr nett. Es gab nur zwei Juden in der Klasse, Herbert Cohn und mich. Ein Mitschüler und hoher HJ-Führer, Wolf, hat die Klas­se gewarnt, mir auch nur ein Haar zu krümmen. Erst später habe ich erfahren, dass seine Schwester und Ada gute Freundinnen waren.

      Trotzdem spürte auch ich immer deutlicher, dass ich isoliert war, dass der kamerad­schaftliche Umgang innerhalb der Klasse mich ausschloss. Wir gingen mit zu allerhand Veranstaltungen, Wandertagen, besuchten Manöver der Wehrmacht, aber wir gehörten nicht wirklich mehr dazu. Unsere Eltern pflegten ihre verschiedenen Interessen. Der Vater liebte die Berge, die Mutter das Meer. So fuhr mein Vater in den Ferien ins Gebir­ge, meine Mutter mit uns an die See, und der Vater kam dann vielleicht noch für eine Woche zu uns. Er liebte Bäume und Blumen, kannte sie alle. Die Mutter war sehr musikalisch, sie fuhr jede Woche nach Berlin zum Gesangsunterricht. Auch ich fuhr nach Berlin zu Klavierstunden. In Berlin lebten auch meine Großeltern. Bei unsern Besu­chen dort wohnten wir bei ihnen.

      Mit der Übersiedlung unserer Eltern nach Berlin bin ich 1936 an die jüdi­sche Schule im Siegmundshof übergewechselt. Die Schule war sehr fromm. Wir Schüler, die von deutschen Gymnasien kamen, waren das nicht. Die Lehrer versuchten zunächst, auch aus uns fromme Juden zu machen. Wir mussten täglich Talmud und Rabbinerschriften lernen. Irgendwann haben die Lehrer aufgegeben. Im Übrigen war es eine ausgezeichnete Schule. Die Nazis hatten damals die Oberprima abgeschafft, weil sie Soldaten für die Wehrmacht brauchten, und so habe ich mit 17 Jahren 1938 dort noch regulär das Abitur abgelegt. Die Prüfung wurde unter Aufsicht einer vom Kultus­ministe­rium entsandten Kommission vorgenommen. Das Abitur war völlig in Ordnung, die Anforderungen entsprachen denen deutscher Gymnasien.

      Die "Kameraden" haben mir unendlich viel bedeutet. Gerson muss eine faszi­nierende Persönlichkeit gewesen sein. Er versuchte, aus den Werkleuten eine liberal-religiöse Gemeinschaft zu machen. Im Harz, im Riesen­gebirge wurden Lager veranstaltet, jeweils eine Woche, am Vormittag Wandern oder Ski­fahren, am Nachmittag Vorträge und Seminare. ­Wir hat­ten Win­ter- und Som­mer­lager mit Bi­bel- und Bub­er-Studien, aber auch Jack London und Rosa Luxemburg wurden gelesen. Die Hälf­te haben wir nicht ver­stan­den. Wir soll­ten uns da auch mit Mäd­chen treffen, aber nur, um über Kunst, Reli­gion, Juden­tum zu disku­tie­ren. Es gab einen sozialistischen Trend, ande­rer­seits war auch noch der Einfluss der Wander­vogel­bewegung spür­bar. Es verging kein Mo­nat, ohne dass man am Lager­feuer am Frei­tagabend den "Kor­nett" von Rilke zu hören bekam. Später allerdings,

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