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Flüchtlingen an Bord wurde ihm vor Istanbul die Weiterfahrt und den Insassen auch die Landung verweigert. Am 24. Februar 1942 wurde das Schiff dann nahe der Bosporusmündung von einem sowjetischen U-Boot torpediert7, nur ein Passagier überlebte die Katastrophe.

      Im November 1941 wurde durch Erlass die weitere Auswanderung von Juden verboten, die "Endlösung" kündigte sich an. Dennoch war es in Einzelfällen durch Bestechung auch später noch möglich, aus Deutschland herauszukommen. Den Eltern von Eva Gumpert gelang durch Einsatz des gesamten Ver­mögens noch 1942 die Ausreise nach Kuba. Sie waren wohl die letz­­ten, die aus Frankfurt noch in die Freiheit gelangen konnten.

      Auch für zahlreiche andere Juden aus Frankfurt war das Ziel der Ausreise nicht Palästina, sondern ein anderes westliches Land, vorzugsweise Nord-, aber auch Mittel- und Südamerika. Dies war auch bedingt durch die zunehmende Abschließung der westlichen Länder gegen die jüdische Einwanderung. Bekannt ist die Irrfahrt der "St. Louis" mit 937 Juden, denen überall die Landung verweigert wurde. Eine ähnliche Odyssee, allerdings mit glücklicherem Ausgang, findet sich im Bericht der damals 8-jährigen Lilo Holzheim über ihre Dampferfahrt nach Brasilien. Von der tödlichen Gefahr, welche die trotz Visum verweigerte Aufnahme durch den Diktator Vargas heraufbeschwor, ahnte das Kind nichts.

      In den von Deutschland inzwischen besetzten Gebieten waren die Juden, die sich zunächst gerettet glaubten, erneut höchster Lebensgefahr ausgesetzt. In Holland war auch der Frankfurter Jachin Simon wieder in den Machtbereich der Gestapo gelangt. Nach der deutschen Besetzung betreute er vor allem die in Holland verbliebenen Kinder und Jugendlichen und wurde schließlich damit beauftragt, Fluchtwege für sie zu organisieren. Da Frankreich und die Schweiz jüdische Flüchtlinge an Deutschland auslieferten, leitete er die Transporte nach Spanien. Auf einem dieser Wege verhaftete ihn die holländische Polizei. Um der Auslieferung an die Gestapo zuvorzukommen, wo er womöglich unter der Folter Mitstreiter hätte verraten können, nahm er sich am 23. Januar 1943 im Gefängnis das Leben.

      Mehr Glück hatten die Flüchtlinge in Dänemark, insgesamt etwa 1500. Dänemark hatte in großzügiger Weise jungen deutschen Juden schon in den 30er Jahren Arbeitsstellen bei Bauern angeboten. Von dieser Möglichkeit machten auch mehrere Frankfurter Ge­brauch. So ging schon 1935 Susi Pincus mit anderen Jungen und Mädchen nach Dänemark auf "Einzelhachschara". Zu Kriegsbeginn befanden sich von den Frankfurtern noch die Söhne von Arnold Naftaniel und Max Berlowitz in Däne­mark. Dort lebten damals etwa 8000 Juden. Als im Oktober 1943 auch die dänischen Juden deportiert werden sollten, gelang es dank gezielter Warnung von deutscher Seite der dänischen Widerstandsbewegung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, mit Fischerbooten 7200 Juden zu retten. Nur etwa 500 konnten noch verhaftet werden. Auch diese wurden aufgrund der energischen Proteste von dänischer und schwedischer Seite schließlich geschont. Zu den mit Fischerbooten Geretteten gehörten auch Herbert Naftaniel und Eugen Ber­lowitz aus Frankfurt.

      Inzwischen erfüllte sich auch das Schicksal der letzten noch in Frankfurt verbliebenen Juden. Einige jüdische Frauen aus dem Altersheim, die in den ersten Kriegsjahren starben, wurden noch im Kriege auf dem jüdischen Friedhof in der Dammvorstadt beigesetzt. Der nichtjüdische Friedhofsgärtner Billerbeck beerdigte die Toten nach jüdischem Ritual mit den entsprechenden Gebeten, die er als langjähriger Augen- und Ohrenzeuge beherrschte. Die letzten "Volljuden", die nicht durch "arische" Ehepartner geschützt waren, wurden in zwei Transporten, im August 1942 24, im Juni 1943 noch 3 Personen, nach Theresienstadt deportiert. Von diesen sind nur zwei zurückgekehrt.

      Damit rundet sich das Schicksal der Frankfurter Juden in der NS-­Zeit zu einer Geschichte von extremen Tiefen und Höhen mensch­lichen Verhaltens. Superlative nutzen sich hier rasch ab. Jeder Schritt, den ich in Israel oder London in die Häuser der einst Verfolgten tat, führte zu Begegnungen mit tüchtigen und erfolg­reichen Menschen, die sich aus dieser so unendlich entwürdigenden und erniedrigenden Situation Wege in eine neue Zukunft gebahnt haben. Mit Menschen, die sich nicht in Hass verzehrten, sondern dem Besucher aus dem Land, das ihnen so Schlimmes angetan hat, in der Regel mit freundlicher Offenheit begegneten.

      Letztlich haben sie auch für die gesprochen, die nicht mehr reden können, von denen nicht einmal Gräber geblieben sind. Ich möchte dieses Vorkapitel nicht schließen, ohne auch an diese oft alten und hilflosen oder auch ganz jungen Menschen zu erinnern, denen der Ausweg verschlossen blieb. Angesichts dieses Geschehens ist alles Gerede von „Wiedergutmachung“ oder „Verzeihung“ ebenso hohles Geschwätz wie die Forderung nach einem "Schlussstrich". Das Geschehene kann nicht wieder gut gemacht, den Schuldigen kann kein Leben­der verzeihen. Wenn wir eines tun können, so dies, die Schicksale nie in Vergessenheit geraten zu lassen. Diese Verpflichtung gilt auch für die Generationen derer, die persönlich keine Schuld auf sich geladen haben.

      Die Kontrahenten. Ignaz Maybaum und Hermann Gerson

       Alisa Jaffa, Memories of my Father, in Nicholas de Lange, Ignaz Maybaum – A Reader, New York/Oxford 2001.

      Ignaz Maybaum wurde 1897 in Wien geboren, im gleichen Jahr, als in Basel der erste Zionistenkongress stattfand. Sein aus Ungarn stammen­der Vater betrieb eine Schneider­werkstatt im 9. Distrikt. Dort besuchte Maybaum auch das Gymnasium. Moderne Fremdsprachen, wie Englisch, gehörten nicht zum Programm; eine Schulregel verpflichtete die Schüler, in den Pausen Griechisch zu sprechen. Nach dem Abitur meldete Maybaum sich zur Armee, wurde im 1. Weltkrieg Leutnant der Kavallerie und erhielt drei Tapferkeits­medaillen, eine davon persönlich von Kaiser Franz Joseph. Eine Gelb­sucht beför­derte ihn ins La­­za­rett und rettete ihm das Leben, denn seine Kompanie wurde in der Zwi­schenzeit fast völlig aufgerieben.

      Nach seiner Entlassung 1919 entschloss er sich, Rabbiner zu werden. Das Erste, das er im Seminar in Wien zu sehen bekam, war das Schaubild einer Kuh mit Markierung der koscheren und nicht-koscheren Anteile. War das die Essenz des Rabbinertums? Maybaum hielt nichts von der in Österreich vorherrschenden traditionellen Ortho­doxie. Jedenfalls ver­ließ er bald Wien und ging nach Berlin an die Hochschule für die Wissenschaft des Juden­tums.

      In Berlin wohnte er bei seinem Onkel, Siegmund Maybaum, der selbst an der Hochschule Homiletik (Predigtlehre) unterrichtete. Der Onkel war als Prediger und Gelehrter angese­hen und ein entschiedener Gegner des Zionismus. Im Haus des Onkels traf Maybaum seine spätere Frau, Frances Schor, damals ein 16-jähriges Schulmädchen. Er heiratete sie 1925, als er nach abgelegtem Examen seine erste Stelle in der Gemeinde von Bingen am Rhein antrat. Von hier aus wurde er 1928 nach Frankfurt/Oder berufen.

      Die Machtergreifung Hitlers bedeutete einen tiefen Ein­­schnitt. Bei einer Konferenz von jüdischen Honoratioren Ende 1935 wurden Bemerkungen Maybaums über Hitler von einem der Teilnehmer weitergegeben. Die Gestapo verhaftete ihn prompt wegen staatsschädigender Äußerungen und hielt ihn sechs Wochen im Berliner Columbia-Haus fest. Einmal wurde er zur Einschüchterung vor ein Hinrichtungspeleton gestellt. Nach öffentlichem Druck, auch durch die ausländische Presse, ließ man ihn schließlich ohne Prozess und Ur­teil frei­.

      In Frankfurt profilierte sich Maybaum als entschiedener Geg­ner des politischen Zionismus in Reden und Buchveröffentlichungen. Seiner Auffassung nach sollten Juden ihren Platz in Deutschland nicht aufgeben. 1936 wurde er zum Gemeinderabbiner von Berlin berufen. Seine Predigten dort erfuhren großen Zulauf. Inzwischen aber hatten sich die Bedingungen für die jüdischen Gemeinden verschlechtert. Jüdische Stu­denten konnten nicht länger die Univer­sitäten besuchen. Als Aus­gleich nah­men viele junge Leute jüdische Studien auf. Maybaum unter­richtete Klassen dieser Studenten in rabbi­nischer Lehre.

      In der Pogromnacht im November 1938 entging er nur mit Glück der erneuten Verhaftung. Um von der Gestapo nicht zu Hause angetroffen zu werden, ließ er sich nächtelang von einem befreundeten Rabbiner durch die Vorstädte Ber­­lins chauffieren, bis sich die Lage beruhigt hatte. Nach dieser Erfahrung war auch Maybaum zur Emigration bereit. Sein Plan, nach New York überzusiedeln, war wegen der US-Einwanderungsbeschränkungen nicht zu verwirk­lichen. Auf Empfehlung des Chief Rabbi von London, J.H. Hertz, erhielt er jedoch ein Visum für England. Der neun­jährige Sohn Michael ging noch vor den Eltern mit

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