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wer hat da ge­ses­sen? Der Kommis­sar mit seinem Assi­sten­ten! Der Transport ging über die Donau. Es waren insgesamt 400 Leu­te, die auf das Schiff soll­ten. Alle sind un­ter­sucht worden. In der letzten Minute befahl der Kommissar mich zu sich. Er forderte mich auf, mein Jacket zu öff­nen, er wolle wissen, was ich noch ver­steckt habe. Er hat mein Jacket und meine Hose durch­sucht. "Ich habe nichts ver­steckt, ich habe hier nur das erlaubte Geld. Weiter nichts!". "Wieso hat er noch Geld?" "Ich woll­te mei­ner Frau noch eine Uhr kaufen, aber wir sind zu­rückge­rufen wor­den, und daher hatte ich das Geld noch in der Ta­sche". Es waren 150 Mark und etwas Kleingeld. Er sagte, das Klein­geld könne ich be­halten, die 150 Mark müssten zurück­geschickt werden, an die Mut­ter oder einen Ver­wand­ten. Ich sagte, das Geld solle dann an eine jüdische Familie gehen, wo der Mann gefallen ist. In dem Moment habe ich geglaubt, er wolle mich erschießen. Doch er nahm mir nur das Geld ab und ging weg. Wir sind dann abge­fah­ren.

      Wir fuhren hinunter nach Rumänien und sollten von dort per Schiff in die Türkei weiterreisen. Da ich in Kon­stan­ti­nopel einen Ver­wand­ten hat­te, wollte ich mich er­kun­di­gen, ob ich te­le­fo­nie­ren könne. Plötzlich stand wie­der der Kom­missar vor mir. Er hatte das Schiff gar nicht ver­lassen, son­dern war mit uns ­ge­fah­ren und hatte in der Kapitänskajüte über­nach­tet. Er gab mir etwas engli­sches Geld und ­meinte, es sei nicht ganz recht ge­wesen, dass er mir das Geld wegge­nommen habe. Schließ­lich würden wir noch viele Wochen unter­wegs sein. Er gab mir auch eine Karte mit einer Brief­mar­ke. Von Palästina aus soll­te ich ihm schrei­ben. Er woll­te über­prü­fen, ob der Damp­fer angekom­men ist. Es war ein sehr altes Schiff, ein frühe­rer Pferde­damp­fer.

      In Rumä­nien verließ uns der Kommissar also endgültig. Wir waren noch zwei Monate unterwegs, bis wir endlich in Palä­sti­na ankamen. In Frankfurt waren bei unserer Abreise noch etwa zwanzig jüdische Familien zurückgeblieben.

      Rauch und splitterndes Glas. Curtis Cassell

       Interview mit Rabbi Curtis Cassell am 21.6.1996 in London ; sowie C. Cassell , Die Liste : Erinnerungen an die Pogromnacht in Frankfurt .

      Mein Abitur habe ich in Oppeln abgelegt, dann drei Semester in Breslau studiert und mein Studium in Berlin an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums fortgesetzt. Meine Lehrer waren hier Leo Baeck und Ismar Elbogen, dessen Tochter an seiner Vorle­sung teilnahm. 1936 traf ich eines schönen Tages auf dem Weg zum Bahnhof Dr. Ignaz Maybaum. Der fragte mich, ob ich sein Nachfolger als Rabbiner in Frankfurt/Oder werden wollte. Maybaum war damals gerade zum ersten Gemeinderabbiner von Berlin berufen worden. Er war ein großer Wissenschaftler, aber auch ein Querkopf: Zunächst Zionist, dann entschiedener Antizionist, als der Zionismus modern wurde.

      Das Angebot Maybaums nahm ich nach Rücksprache mit meinen Professoren an. Ich musste jedoch zunächst noch fast täglich von Frankfurt nach Berlin fahren, um das Studium abzu-schließen. Die jüdische Gemeinde in Frankfurt war sehr geschlossen. Vom Antisemitismus habe ich dort zunächst nicht allzu viel gespürt, doch hatte ich auch wenig Kontakt mit Nichtjuden. Allerdings gab es schon vor der Kristall­nacht 1938 einige antisemitische Vorfälle. Darunter eine Vorladung zur Gestapo, als ich 1938 aus dem Urlaub von Prag zurückkehrte. Eingehend befragte man mich nach den Gründen meines Besuchs in Prag, und dann forderte mich der vernehmende Beamte auf, ihm eine Liste sämtlicher Juden des Regierungs­bezirks auszuhändigen. Den Zweck dieser Liste fand ich erst später heraus, durch die Ereignisse der „Kristall­nacht“.

      Am 28. Oktober 1938 wurden 17000 Juden polnischer Herkunft in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Deutschland deportiert, wobei sie all ihren Besitz verloren. Da Polen sie nicht hereinließ, irrten sie unter unsäglichen Bedingungen im deutsch-polnischen Grenzgebiet umher. Damals bat mich die Zentralstelle der Reichs­ver­tretung deutscher Juden, nach Bent­schen an die Grenze zu fahren, um Hilfe für die gestran­de­ten Juden zu organisieren. Doch als ich in Bentschen ankam, wurde ich sofort von der Gestapo verhaftet und mit dem nächsten Zug nach Frankfurt zurückgeschickt. Am 7. November erschoss Herschel Grünszpan, dessen Eltern zu den Ausgewiesenen gehörten, den Ange­stellten von Rath der Pariser Botschaft. Dies wurde zum Anlass der „Kristallnacht“ und der Ereignisse des 9. November 1938 genommen.

      Dieser Tag war auch mein Geburtstag. Meine Schwiegereltern aus Berlin waren zu Besuch gekommen, und ich begleitete sie abends zum Bahnhof. Dabei fielen mir schon zahlreiche Polizisten auf, die sich dort aufhielten. Später gingen wir schlafen, wurden jedoch bald vom Geräusch zerschla­genen Glases und Brandgeruch geweckt. Die Synagoge brann­te. Fenster und Schaufenster der Geschäfte wurden einge­worfen. Noch heute leidet meine Frau unter dem Schock dieser schrecklichen Nacht, wenn sie das Geräusch split­tern­den Glases hört. Wir riefen den befreundeten Rechtsanwalt Leo Nehab an, der in der gleichen Straße wohnte. Wir fürchteten, dass man auch unser Haus nicht verschonen würde, da es ja der Synagoge angeschlossen war. Nehab forderte uns auf, sofort zu ihm zu kommen.

      Die Synagoge hatte zwei Ausgänge, den Haupteingang in der Richtstraße, einen Nebenausgang in der Wollenweberstraße. Dass die Gestapo uns am Haupteingang erwartete, wussten wir nicht. Glückli­cherweise verließen wir das Haus durch den Nebenausgang und entgingen so der Verhaftung. Ungefähr um elf Uhr abends waren wir sicher in der Wohnung unseres Freundes. Um vier Uhr früh klingelte es dort an der Tür. Es war die Gestapo, die Nehab verhaftete. Ich konnte mich mit meiner Frau unter dem Schreibtisch verstecken. Es war uns klar, dass wir Frankfurt schleunigst verlassen müssten. Da der Bahnhof, wie ich am Abend gesehen hatte, von Polizei bewacht wurde, gingen wir zu Fuß zur nächsten Bahnstation und bestiegen dort den Zug, der uns zu den Schwiegereltern nach Berlin führte. Am übernächsten Tag erschien die Gestapo auch hier und verhaftete meinen Schwiegervater. Ich stand neben ihm, doch mir passierte nichts, denn ich stand nicht auf ihrer Liste.

      Die Beamten gingen mit preußischer Gründlichkeit vor, verhaftet wurde nur, wer auf der Liste stand. Erst später wurde mir bewusst, dass auch die Gestapo in Frankfurt die Verhaftungen nach einer solchen Liste vornahm, eben der Liste, die ich für sie im Sommer 1938 hatte anfertigen müssen. Tatsächlich sah ich meine Liste bei einem der Verhöre nach der Kristallnacht bei der Gestapo auf dem Schreibtisch liegen. Da wurde mir klar, dass die Aktion schon lange vorbereitet worden war und wenig mit von Raths Tod zu tun hatte, der nur als Vorwand diente.

      Mein Schwiegervater, Werner Mosse, wurde mit vielen anderen in das Konzentrationslager Sachsen­hau­sen gebracht, wo er mehrere Wochen blieb. Als er ent­lassen wurde, war sein Gesundheits­zu­stand äußerst schlecht. Er war im ersten Weltkrieg Stabsarzt gewe­sen und hatte immer geglaubt, dass die Berichte über deutsche Untaten in Belgien und anderswo Gräuelmär­chen sein mussten. Nun war er eines anderen belehrt. Inzwischen war meine Frau nach Frankfurt zurückgefahren, um nach der Wohnung zu sehen. Sie fand sie versiegelt vor. Um die Siegel entfernen zu lassen, musste sie bei der Gestapo vorsprechen. Dort sagte man ihr, ich solle sofort nach Frankfurt zurückkehren. Als ich dort ankam, war die „Aktion“ vorüber. Ich wurde nicht verhaftet, doch unter Hausarrest gestellt. So aber konnte ich meine Gemeinde nicht betreuen, obwohl die Frauen besonderen Beistand benötigten, da ihre Männer verhaftet waren. Als ich mich darüber bei der Gestapo beschwerte, wurde der Hausarrest aufgehoben. Übrigens kam nach der „Kristall­nacht“ ein protestantischer Geistlicher zu mir, um mir sein Mitgefühl auszudrücken.

      Das Innere der Synagoge war zum großen Teil demoliert, die Orgel völlig zerstört. Die Orgelpfei­fen waren beschlagnahmt worden, da sie aus Blei waren. Aus meiner Wohnung war eine neue Reiseschreib­maschine verschwunden. Bei einem weiteren Verhör bat ich die Gestapo um eine entsprechende Bescheinigung, da ich auswandern woll­te und diese für die Behörden benötigte. Daraufhin er­hielt ich die Schreibmaschine zurück, denn sie sei nicht recht­mäßig entfernt worden. Die Gestapo trug mir auf, weiterhin Gottes­dienste abzuhalten, denn es sollte so aussehen, als ob weiter nichts geschehen sei.

      Neben den Gottesdiensten begann ich für die wenigen jüdischen Schüler, die noch in Frankfurt verblieben und nun aus den allgemeinen Schulen herausgeworfen worden waren, Schulunterricht zu organisieren. Die Frauen der

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