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Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel. Dr. Hans Stumme
Читать онлайн.Название Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel
Год выпуска 0
isbn 9783742750839
Автор произведения Dr. Hans Stumme
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
und erblickte ihre zehn Töchter tot, – ihre
Köpfe hingen über den Rand des Bettes und die Kehlen
schauten aufgeschnitten heraus! Der Zauberer,
dem es vorkam, als ob seine Frau nicht schnell genug
wieder herunterkäme, stieg nun auch hinauf – und
was sah er? Er sah seine Frau ohnmächtig am Boden
liegen und alle seine Kinder tot! Sein Gesicht verlor
alle Farbe; er geriet in die höchste Wut; er schleuderte
ein Fass Wasser seiner Frau ins Gesicht und sprach
zu ihr, als sie wieder auf den Füssen stand: »Gib mir
die Siebenmeilenstiefel!« Das waren ein Paar Stiefel,
mittels deren er mit jedem Schritte sieben Meilen zurücklegte.
Er zog sie an und eilte den Knaben nach,
um sie einzuholen.
Die Knaben sahen es aus der Ferne, wie der Zauberer
von einem Berge auf den anderen sprang und im
Begriffe war, sie einzuholen; damit er sie nicht fände,
versteckten sich Kugelchen und seine Brüder unter
einer Felsplatte. Da der Zauberer sehr müde war,
ruhte er sich hernach auf dieser selben Platte aus und
schlief ein und begann zu schnarchen. Die Jungen
kamen nun wieder hervor und bekamen einen schönen
Schreck, als sie den Zauberer mit dem Messer in der
Hand daliegen sahen, – bereit, sie zu töten. Aber Kugelchen
wurde lange nicht so bestürzt wie seine Brüder;
vielmehr gebot er ihnen, schleunigst unter der
Platte hervorzukommen; und da sie nicht so sehr weit
vom Hause ihrer Mutter entfernt waren, gelangten sie
rasch nach Hause. Währenddem näherte sich Kugelchen
vorsichtig dem Zauberer, zog ihm die Stiefel aus
und zog sie selber hurtig an, denn diese Stiefel waren
eben auch zauberisch und passten deshalb jedem.
Unser Kugelchen begab sich nun gradaus nach dem
Hause des Zauberers, wo er die Frau neben den
Leichnamen ihrer Töchter weinend vorfand. »Höre!«
redete er sie an; »dein Mann befindet sich in grosser
Gefahr: Räuber haben ihn festgenommen und haben
geschworen, sie müssten ihn töten, wenn du ihnen
nicht sein ganzes Geld ausliefertest! Als sie ihm
schon den Dolch auf die Brust setzten, sah er mich
und bat mich, dich von der Lage, in der er sich befän-
de, in Kenntnis zu setzen, und trug mir auf, dir zu
sagen, du solltest soviel Münzen und Silberstücke, als
du besässest, zusammensuchen und mir übergeben,
damit du ihn vom Tode befreiest; und damit du mir
leichter Glauben schenkest, gab er mir seine Stiefel, –
auch, damit ich rascher hierherkäme.« Die Frau
glaubte alles, was ihr Kugelchen mitteilte, übergab
ihm alles, was sie im Hause hatte, und Kugelchen
begab sich mit dem ganzen Gelde, das er von ihr erhalten,
zu seinen Eltern, die ihn sehr willkommen hiessen.
Gerade zu dieser Zeit war der König jenes Landes
in grosser Not; denn er wusste gar nicht, was aus seinen
Soldaten geworden sei, die in den Krieg gezogen
waren. Unser Kugelchen begab sich zu ihm und erbot
sich, ihm Kunde von den Soldaten binnen zwölf Stunden
zukommen zu lassen. Der König hiess das willkommen,
und Kugelchen bekam richtig heraus, wo
sich die Truppen befanden, worauf er zum Könige zurückkehrte
und ihm meldete, dass seine Truppen den
Krieg gewonnen hätten. Nachdem Kugelchen noch
lange Zeit im Palaste des Königs geweilt, um Briefe
an andere Fürstlichkeiten zur Beförderung zu erhalten,
begab er sich nach Hause und schenkte seinen
Angehörigen Reichtümer in Menge; und so wurden
seine Angehörigen durch seine Kraft zu reichen Leuten.
II. Die Prinzessin, welche hundert Jahre schlief
und dann heiratete und zwei Kinder gebar,
namens Sonne und Mond.
Es war einmal ein König und eine Königin; sie hatten
keine Kinder, weswegen sie sehr betrübt waren und
wünschten, sie hätten einen Knaben oder ein Mädchen.
Schliesslich gebar die Königin ein Mädchen
und freute sich so sehr über das Kind, dass sie alle
Zauberinnen ihres Landes zu sich berief und einlud,
zur Taufe des Kindes zu kommen. Nach der Feierlichkeit
nahm man ein Frühstück ein, und alle Zauberinnen
bekamen ein Geschenk vom Könige, – ein goldenes
Behältnis voll silberner Sachen und vielen Perlen.
Als man bei Tische sass, trat noch eine Zauberin herein,
– eine Greisin, die über hundert Jahre alt war und
die man, weil man gemeint hatte, sie sei gestorben,
nicht eingeladen hatte. Der König sandte sofort, ihr
ein goldenes Etui und die übrigen Gegenstände holen
zu lassen, die er den anderen Zauberinnen gegeben
hatte; aber man konnte kein Etui für sie ausfindig machen.
Die Zauberin glaubte nun, dass man ihr das
getan hätte, weil sie nicht schön sei wie die anderen,
und begann laut mit ihren Zähnen zu knirschen und
das Kind mit einem hässlichen Blicke zu betrachten.
Eine andere Zauberin hörte, wie die Alte etwas mur-
melte, und da sie meinte, die Alte könne das Kind
verhexen, versteckte sie sich hinter einem Türvorhange,
um, wenn die alte Zauberin dem Kinde etwas
Böses antäte, bereit zu sein, die Sache für das Kind
abzuändern.
Unterdessen begannen die Zauberinnen vor dem
Kinde vorüberzuziehen, und jede begann der Kleinen
irgend etwas zu wünschen. Zuletzt kam die Alte herbei,
und jedermann sah mit Angst dem entgegen, was
sie sagen würde. Sie begann ihr Haupt hinundherzubewegen
und dabei ihre Lippen verächtlich zu spitzen
und sprach: »Ich sage, dass dieses Mädchen durch
Spindeln Unglück erleiden und sterben wird!« Alle
Anwesenden erschraken über das Grausame in diesem