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die Zauberin, die sich hinter dem Türvorhange versteckt

       hatte, hervor und rief: »Königin, weine nicht

       mehr! Deine Tochter wird nicht sterben! Freilich kann

       ich das, was die Alte angerichtet hat, nicht gänzlich

       unwirksam machen; aber ich kann der Sache eine andere

       Richtung geben. Die Prinzessin wird allerdings

       durch Spindeln Unglück haben; aber, statt dass sie

       sterbe, wird sie nur schlafen und zwar hundert Jahre

       im Schlafe verharren. Nach hundert Jahren wird ein

       Prinz kommen, – kommen und sie aufwecken und heiraten.

       «

       Hierauf liess der König, um seine Tochter vor die-

       sem Unheile zu schützen, überall öffentliche Verkündigung

       ergehen, des Inhaltes, dass jeder, bei dem daheim

       man eine Spindel fände, zum Tode verurteilt

       werden solle. – Etwa fünfzehn Jahre waren vorübergegangen,

       und das Kind war zu einer Jungfrau herangewachsen.

       Einst reiste sie mit ihrer Mutter und ihrem

       Vater nach einem Palaste, den sie im Freien hatten,

       und das junge Mädchen begann den Palast von oben

       bis unten zu durchwandern; denn sie hatte ihn, ausser

       an diesem Tage, noch nie betreten. Während sie so

       herumwanderte, gelangte sie nach einem sehr hohen

       Turme und fand daselbst eine alte Frau, die dasass

       und spann, denn sie hatte nichts von der Bekanntmachung

       des Königs gehört. Die Prinzessin trat auf sie

       zu und fragte sie: »Grossmutter, was ist das?« »Meine

       Tochter, das ist eine Spindel!« »Lass sie mich betrachten,

       Grossmutter! Willst du?« »Natürlich, meine

       Tochter! Sehr gern! Da!« Die Prinzessin streckte ihre

       Hand aus, die Spindel zu nehmen; aber, da sie etwas

       hastig war, stiess sie mit der Hand an sie, – und sofort

       sank sie ohnmächtig zu Boden! Die arme alte Frau

       kam fast von Sinnen; sie begann laut um Hilfe zu

       rufen, und die Leute kamen herbei, aber vergebens!

       Was man auch mit der Prinzessin begann, – sie blieb

       ohnmächtig!

       Da erinnerte sich die Königin an das, was ihr die

       Zauberin zuletzt gesagt hatte; und weil es nun einmal

       bestimmt war, dass das eintreten sollte, bereitete man

       für die Prinzessin ein Bett im schönsten Zimmer des

       Palastes, zog ihr die schönsten Kleider an, die sie besass,

       und legte sie auf das Bett. Wer sie sah, vermeinte,

       sie schliefe: denn ihre Lippen waren immer noch

       rot, ihr Gesicht war in keiner Weise verändert und sie

       atmete leise. Der König ordnete an, dass niemand sie

       je berühren dürfe und gebot jedem dieses Zimmer zu

       verlassen.

       Jene Zauberin nun, welche dem Schicksale der

       Prinzessin diese Wendung gegeben hatte, lebte in

       einem gewissen Lande, das von jenem Orte zwanzigtausend

       Meilen entfernt lag. Sie hatte einen Diener

       von kleinem Wüchse, der ein Paar Stiefel besass, mittels

       welcher er mit einem Schritte fünfzig Meilen zurücklegen

       konnte. Der kleine Kerl brach sogleich auf

       und benachrichtigte die Zauberin vom Schicksale der

       Prinzessin; und die Zauberin traf in kurzer Zeit in

       einem Wagen von Feuer ein; sie kam aus der Luft

       herab, und vier Drachen zogen den Wagen fort. Der

       König ging, sie zu empfangen, und brachte sie hinein

       zu seiner Tochter. Die Zauberin erklärte ihm, dass

       alles, was er angeordnet hatte, gut sei; aber, klug wie

       sie war, bedachte und erkannte sie, dass die Prinzessin,

       wenn sie erwachen würde, sich in diesem alten

       Palaste ja ganz verlassen finden müsste. Was tat sie

       deshalb? Mit einem Stabe, welchen sie bei sich hatte,

       berührte sie alles, was sich in diesem Palaste befand,

       abgesehen vom Könige und der Königin, – also:

       Damen, Kämmerer, Pagen, Köche, Diener, Kutscher,

       Grooms, Rosse, sonstige Tiere und auch eine kleine

       Hündin, die auf dem Bette der Prinzessin lag; und

       indem die Zauberin diese berührte, schliefen sie in der

       Stellung, die sie innehatten, ein: der eine im Sitzen,

       der andere im Stehen, der dritte die Treppe hinaufsteigend,

       der vierte Musik machend, der fünfte essend.

       Auf dem Feuer stand das Essen: das Feuer hielt im

       Brennen ein, und das Essen kochte nicht fertig. Der

       König und die Königin küssten ihre Tochter, verliessen

       die Burg und liessen Anschlagzettel an den

       Ecken der Häuser anschlagen: niemand dürfe sich der

       Burg nähern. Aber das Verbot war gar nicht nötig,

       denn schon nach einer Viertelstunde sprossten in

       Menge Nesseln und Dornsträucher empor und wuchsen

       höher und höher, bis sie die Burg verhüllten und

       von ihr nichts mehr als die Türme sichtbar blieben.

       Die Zeit verstrich, – zehn Jahre, zwanzig Jahre, –

       der König und die Königin starben; andere kamen; –

       sechzig Jahre, achtzig Jahre, – schließlich hundert

       Jahre. Eines Tages nun – nach hundert Jahren also –

       zog der Sohn des damaligen Königs, der in keiner

       Weise mit der Familie jener Prinzessin verwandt war,

       auf die Jagd und erblickte jene Türme, die zwischen

       Nesseln und Dornen versteckt lagen. Er fragte, was

       das für eine Burg sei, und der eine gab ihm dies, der

       andere das zur Antwort! Doch niemand konnte ihm

       einen genauen Bescheid geben. Zuletzt kam der Prinz

       mit einem alten Hirten zusammen, der ihm berichtete:

       »Fürst, es ist länger als fünfzig Jahre her, – da hat mir

       mein Vater gesagt, dass in jenem Palaste sich eine

       Prinzessin befände, die hundert Jahre schlafen müsse

       und wieder erwachen werde, wenn ein Prinz zu ihr

       käme, welcher sie dann heiraten werde.« Als der Prinz

       diese Rede hörte, liess er alle seine Leute hinter sich

       und machte sich ans Werk, die Dornen zu durchschneiden,

       um ins Schloss zu gelangen.

      

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