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Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel. Dr. Hans Stumme
Читать онлайн.Название Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel
Год выпуска 0
isbn 9783742750839
Автор произведения Dr. Hans Stumme
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
hatte, hervor und rief: »Königin, weine nicht
mehr! Deine Tochter wird nicht sterben! Freilich kann
ich das, was die Alte angerichtet hat, nicht gänzlich
unwirksam machen; aber ich kann der Sache eine andere
Richtung geben. Die Prinzessin wird allerdings
durch Spindeln Unglück haben; aber, statt dass sie
sterbe, wird sie nur schlafen und zwar hundert Jahre
im Schlafe verharren. Nach hundert Jahren wird ein
Prinz kommen, – kommen und sie aufwecken und heiraten.
«
Hierauf liess der König, um seine Tochter vor die-
sem Unheile zu schützen, überall öffentliche Verkündigung
ergehen, des Inhaltes, dass jeder, bei dem daheim
man eine Spindel fände, zum Tode verurteilt
werden solle. – Etwa fünfzehn Jahre waren vorübergegangen,
und das Kind war zu einer Jungfrau herangewachsen.
Einst reiste sie mit ihrer Mutter und ihrem
Vater nach einem Palaste, den sie im Freien hatten,
und das junge Mädchen begann den Palast von oben
bis unten zu durchwandern; denn sie hatte ihn, ausser
an diesem Tage, noch nie betreten. Während sie so
herumwanderte, gelangte sie nach einem sehr hohen
Turme und fand daselbst eine alte Frau, die dasass
und spann, denn sie hatte nichts von der Bekanntmachung
des Königs gehört. Die Prinzessin trat auf sie
zu und fragte sie: »Grossmutter, was ist das?« »Meine
Tochter, das ist eine Spindel!« »Lass sie mich betrachten,
Grossmutter! Willst du?« »Natürlich, meine
Tochter! Sehr gern! Da!« Die Prinzessin streckte ihre
Hand aus, die Spindel zu nehmen; aber, da sie etwas
hastig war, stiess sie mit der Hand an sie, – und sofort
sank sie ohnmächtig zu Boden! Die arme alte Frau
kam fast von Sinnen; sie begann laut um Hilfe zu
rufen, und die Leute kamen herbei, aber vergebens!
Was man auch mit der Prinzessin begann, – sie blieb
ohnmächtig!
Da erinnerte sich die Königin an das, was ihr die
Zauberin zuletzt gesagt hatte; und weil es nun einmal
bestimmt war, dass das eintreten sollte, bereitete man
für die Prinzessin ein Bett im schönsten Zimmer des
Palastes, zog ihr die schönsten Kleider an, die sie besass,
und legte sie auf das Bett. Wer sie sah, vermeinte,
sie schliefe: denn ihre Lippen waren immer noch
rot, ihr Gesicht war in keiner Weise verändert und sie
atmete leise. Der König ordnete an, dass niemand sie
je berühren dürfe und gebot jedem dieses Zimmer zu
verlassen.
Jene Zauberin nun, welche dem Schicksale der
Prinzessin diese Wendung gegeben hatte, lebte in
einem gewissen Lande, das von jenem Orte zwanzigtausend
Meilen entfernt lag. Sie hatte einen Diener
von kleinem Wüchse, der ein Paar Stiefel besass, mittels
welcher er mit einem Schritte fünfzig Meilen zurücklegen
konnte. Der kleine Kerl brach sogleich auf
und benachrichtigte die Zauberin vom Schicksale der
Prinzessin; und die Zauberin traf in kurzer Zeit in
einem Wagen von Feuer ein; sie kam aus der Luft
herab, und vier Drachen zogen den Wagen fort. Der
König ging, sie zu empfangen, und brachte sie hinein
zu seiner Tochter. Die Zauberin erklärte ihm, dass
alles, was er angeordnet hatte, gut sei; aber, klug wie
sie war, bedachte und erkannte sie, dass die Prinzessin,
wenn sie erwachen würde, sich in diesem alten
Palaste ja ganz verlassen finden müsste. Was tat sie
deshalb? Mit einem Stabe, welchen sie bei sich hatte,
berührte sie alles, was sich in diesem Palaste befand,
abgesehen vom Könige und der Königin, – also:
Damen, Kämmerer, Pagen, Köche, Diener, Kutscher,
Grooms, Rosse, sonstige Tiere und auch eine kleine
Hündin, die auf dem Bette der Prinzessin lag; und
indem die Zauberin diese berührte, schliefen sie in der
Stellung, die sie innehatten, ein: der eine im Sitzen,
der andere im Stehen, der dritte die Treppe hinaufsteigend,
der vierte Musik machend, der fünfte essend.
Auf dem Feuer stand das Essen: das Feuer hielt im
Brennen ein, und das Essen kochte nicht fertig. Der
König und die Königin küssten ihre Tochter, verliessen
die Burg und liessen Anschlagzettel an den
Ecken der Häuser anschlagen: niemand dürfe sich der
Burg nähern. Aber das Verbot war gar nicht nötig,
denn schon nach einer Viertelstunde sprossten in
Menge Nesseln und Dornsträucher empor und wuchsen
höher und höher, bis sie die Burg verhüllten und
von ihr nichts mehr als die Türme sichtbar blieben.
Die Zeit verstrich, – zehn Jahre, zwanzig Jahre, –
der König und die Königin starben; andere kamen; –
sechzig Jahre, achtzig Jahre, – schließlich hundert
Jahre. Eines Tages nun – nach hundert Jahren also –
zog der Sohn des damaligen Königs, der in keiner
Weise mit der Familie jener Prinzessin verwandt war,
auf die Jagd und erblickte jene Türme, die zwischen
Nesseln und Dornen versteckt lagen. Er fragte, was
das für eine Burg sei, und der eine gab ihm dies, der
andere das zur Antwort! Doch niemand konnte ihm
einen genauen Bescheid geben. Zuletzt kam der Prinz
mit einem alten Hirten zusammen, der ihm berichtete:
»Fürst, es ist länger als fünfzig Jahre her, – da hat mir
mein Vater gesagt, dass in jenem Palaste sich eine
Prinzessin befände, die hundert Jahre schlafen müsse
und wieder erwachen werde, wenn ein Prinz zu ihr
käme, welcher sie dann heiraten werde.« Als der Prinz
diese Rede hörte, liess er alle seine Leute hinter sich
und machte sich ans Werk, die Dornen zu durchschneiden,
um ins Schloss zu gelangen.