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brachte mich ohne mein willentliches Zutun zum Schmunzeln. Vielleicht war ich ja, ohne es zu wissen, auch ein gottbegnadeter Schreiber dieses omnipräsenten Allmächtigen, der alles über die Zukunft wusste.

      Wenn es um die Zukunft ging, war ich derzeit sehr hellhörig. Würde die GTU die Stürme der Zeit – also die knappe Kasse der Arbeitsverwaltung – und die Marotten eines hinterrücks intrigierenden Arbeitsamts-Abteilungsleiters überstehen? Da gab es neuerdings einen neuen Vorgesetzten unserer Erzfeindin, Frau Söhnlein, die uns bei jedem Kurs-Neuantrag Steine in den Weg legte und die Amts-Zahlungen bis zu sechs Monaten verzögerte. Sie schien ihren neuen Abteilungsleiter, Dr. Braun, gegen unser Bildungsinstitut gebrieft und ihm viel Mist erzählt zu haben. Jedenfalls warnten mich Herr Lewin und Herr Scherwarth vor ihm. Beide waren als Arbeitsberater für die fachliche Beurteilung unserer Umweltkurse zuständig.

      „Er ist ein scharfer Hund und spielt sich gerne auf. Er hat mich bereits über Ihr Institut ausgefragt und das in einem sehr merkwürdigen Ton. Mir schwant da nichts Gutes. Er ist ein typischer Aufsteiger, der sich jetzt irgendwie beweisen muss“, hatte Lewin gemeint.

      „Kann er denn der GTU etwas?“

      „Nur, wenn er grundlegende Kritikpunkte findet. Aber solange die Vermittlungsergebnisse Ihrer Absol­venten auf dem neuen Umweltarbeitsmarkt so hervorragend sind und solange ich die arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit attestiere, kann er eigentlich wenig machen.“

      „Eigentlich“. Das Wörtchen sollte schon bald Bedeutung erhalten.

      Meine Gedanken floppten zurück zum FDP-Minister Möllemann und seinem Versprechen, mehr Finanzmittel für Bafög und Bildung und bezahlbaren Wohnraum bereit zu stellen. Es war klar, dass dieses Versprechen nicht eingelöst würde. Aber wen juckte es, wenn die Studenten nicht unüberhörbaren Rabatz machten?

      Doch wären sie so zäh und mutig wie die Studenten der 68er-Zeit? Wahrscheinlich würde das Politikversprechen im Archiv des Bonner Bildungsministeriums von Motten zerfressen enden. Und in Sachen Hinhaltetaktik hatten unsere Politiker seit damals enorm dazugelernt. Wahrscheinlich würde die jetzige studentische Erhebungswelle wieder mit allerlei wortreichen Streicheleinheiten aus Bonn hingehalten werden, damit sie im Laufe der Zeit hoffnungslos abebbt.

      Dann schwappte eine Nachricht von Ost nach West. Am 19. Januar versicherte DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker, die Mauer werde „in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind.“

      Die Zahl der Ausreisewilligen in der DDR schien mir in letzter Zeit rasant zu steigen. Es gab hierzu keine Statistiken, aber mein Bauchgefühl entstand aus den bruchstückhaften Alltagsnachrichten. Tamara, meine Freundin aus Ostberlin, schrieb dazu eine Ansichtskarte mit einem Aussichtsturm, dazu einen einzigen Satz: „C’est la vie.“

      In den USA löste der Ölmagnat George Bush den Staatsschauspieler Ronald Reagan als 41. Präsidenten ab. Was weder Gewinn noch Verlust war. Ein kultureller Verlust war hingegen der Tod des surrealistischen Malers, Bildhauers und Grafikers Salvador Dali, der im nordspanischen Figueras starb. Später, als Emma und ich überraschend im September beschlossen, einen Kurzurlaub in Figueras zu machen und Dalis Haus zu besuchen, sollte dies zu einem beinahe tödlichen Urlaub für unsere beiden Kinder geraten – aber das war im Januar noch weit entfernte Zukunft.

      In meinem kleinen Universum jedenfalls jagte eine Supernova die andere. Große politische Überlegungen wurden zunehmend von meinem bürgerlichen Unternehmeralltag verdrängt. Als erstes verdrängte Mitte Januar der Besuch von Meise und diesem merkwürdigen Anlageberater namens Jürgen Harksen meine politische Kaffeesatzleserei.

      „Darf ich Sie wirklich wie eine Zitrone ausquetschen?“, fragte ich völlig unverhohlen, denn Herr Harksen hatte mir dies gerade angeboten. Meise, der unbescholtene, von ständiger Geldabwesenheit gesegnete Künstler, saß als stiller Zuhörer in unserer Runde.

      „Immer zu! Ohne Fragen kann man nichts wagen“, lächelte mich der Mann im dunkelblauen Zwirn an. „Investments sind immer Wagniskapital, aber glauben Sie mir: Meine Börsenentscheidungen beruhen auf jahrelangem Erfolg!“

      „Mich interessiert natürlich Ihre berufliche Qualifikation, wenn ich Ihnen einige tausend Mark anvertrauen soll.“ Wohlweislich hatte ich mit Emma besprochen, dass wir keinerlei Auskünfte über unsere Investitionsschlappe in Sachen Getreide geben würden. Wir wollten uns schlicht und einfach völlig dumm stellen und wissen wollen, wie Harksen gedenke, aus wenig Geld ein Vermögen zu machen.

      „Ich habe mich ganz privat in das Geschäft der Anlageberatung eingearbeitet. Wie alles begann?“ Harksen sah mich fragend an, und ich nickte. „Aus unseren ersparten 15.000 Mark erwirtschaftete ich durch den Kauf und Verkauf von Aktien über meine Bank eine Rendite im zweistelligen Prozentbereich. Weil meine Frau von meiner Begabung als Aktienprofi ihren Sportkameraden vorschwärmte, kamen die bald zu mir und legten einige tausend Mark an, auf dass ich mehr daraus mache. Für mich selbst fielen zehn Prozent des Gewinns als Beteiligung ab.“

      „Und daraus entwickelte sich in so kurzer Zeit Ihr Anlageimperium?“, fragte ich. Harksen hatte zuvor berichtet, dass er große Investmentfirmen in Dänemark und Norddeutschland besitze, dazu Immobilien in finanziellen Größenordnungen, die seine Börsengeschäfte mit Millionenbeträgen absicherten.

      Der Finanzmann fuhr fort: „Natürlich dauerte alles seine Zeit. Nach den Sportkameraden meiner Frau kam eines Tages der Besitzer des Fitnessclubs und wollte auch bei mir investieren. Zu dieser Zeit begannen die Börsengeschäfte deutschlandweit zu boomen. Der Fitnesschef fragte mich, ob ich eine Firma mit Gewerbeerlaubnis besäße. Ich schüttelte den Kopf. Der neue Kunde überzeugte mich, dass ich die Anmeldung als seriöses Aushängeschild bräuchte und kannte jemanden bei der Handelskammer. Es dauerte keine zwei Wochen, schon besaß ich eine eingetragene Firma mit dem schlichten Namen »Nordanalyse« und die Gewerbeerlaubnis.“

      Das interessierte mich. „Benötigten Sie dazu irgendeinen Qualifikationsnachweis?“

      Harksen schüttelte lächelnd den Kopf. „Anlageberatung ist kein Ausbildungsberuf. Es ist eine Begabung.“

      Emma schaute etwas verwundert. Ich war von Harksens unbedarfter Ehrlichkeit überrascht. Dass auch dies nur eine Masche war, durchblickten wir erst viel später.

      „Der Fitnessclubbesitzer sammelte in seiner Familie, es kamen 7.000 Mark zusammen“, fuhr Harksen mit entwaffnender Offenheit fort. „Ich gab ihm das Geld nach wenigen Monaten mit zehnprozentiger Verzinsung zurück. Das sprach sich in Windeseile im Freundes- und Bekanntenkreis der Familie herum. Nun hatte ich schon zehn Kunden. Die Börse boomte weiter. Da ich den Kunden regelmäßig selbst erstellte Kontoauszüge gab, waren sie beruhigt und ließen ihr Geld stehen. So konnte ich mit immer größeren Beträgen handeln.“

      „Selbst erstellte Kontoauszüge?“, fragte ich.

      „Selbstverständlich! Weil ich ja individuelle Anlagen tätige und meinen Kunden entsprechende treuhänderische Sicherheiten gebe.“

      Was Harksen Meise, Emma und mir zu dieser Zeit verschwieg, war folgendes: Ende 1987 hatte er seinen ersten gebrauchten Jaguar für 11.000 Mark gekauft, wusste aber nicht, wovon er ihn innerhalb der vereinbarten Zahlungsfrist bezahlen sollte. Er wollte unbedingt den Jaguar – und zwar als Renommierobjekt, denn er hatte sehr schnell erkannt, dass seine gierigen Kunden auf schnelle Geschosse abfuhren. Dass sie also leicht mit Statussymbolen zu blenden waren.

      Auf die Idee, eine Anleihe bei den geparkten Termingeldern der Kunden zu machen, brachte ihn ausgerechnet ein Banker. Ohne zu wissen, dass dieses Geld gar nicht Harksen gehörte, schlug er ihm eine simple Umbuchung vor. Nun war der Damm gebrochen. Da die realen Gewinne und auch Teile der Einlagen nun formal in Harksens Privateigentum übergegangen und bereits aus­gegeben waren, fing er an, auf seinen individuellen Kontoauszügen für die Kunden fiktive Gewinne gutzuschreiben.

      Wenn Anlagen gekündigt wurden, waren es meist kleinere vierstellige Summen, die er problemlos aus frischen Einlagegeldern bedienen konnte. Jahre später wird mir Harksen gestehen, dass ihm manchmal mulmig bei dem Gedanken geworden sei, dass alle seine Kunden gleichzeitig kündigen könnten. Doch die Stimme seines Gewissens

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