Скачать книгу

blieb in der Tür stehen und genoss ihren Auftritt ein wenig. Das Gefühl hatte Hell jedenfalls. Alle standen auf und begrüßten sie herzlich. Hände wurden geschüttelt und viele Umarmungen waren fällig. Selbst Hell kam nicht umhin, seine Profilerin in den Arm zu nehmen. Hätte er es anders gemacht, als am Vorabend in seinem Garten, wäre er sich seltsam vorgekommen. Am herzlichsten war die Begrüßung zwischen ihr und Lea Rosin.

      Meinhold legte schließlich ihre Tasche ab und ging zu den Glastafeln herüber. „Wie ich sehe, rüsten wir auf. Glastafeln und Tablet-PCs. Nicht übel. Der Fortschritt hält Einzug in Bonn.“

      „Wie man’s nimmt“, antwortete Hell.

      „Christina, Du kennst das Video noch nicht. Hier, schau mal. Wir haben es auf dem Tablet-PC“, sagte Rosin. Sie hielt ihr ihren PC hin.

      Scheinbar ruhig betrachtete sie die bewegten Bilder. Zum Schluss kniff sie die Lippen zu einem Strich zusammen und nickte.

      „Na, Du Profiling-Genie. Mach uns mal schlau“, sagte Wendt und lehnte sich provokant in seinem Sessel zurück.

      „Wieso konnte der Satz nur von dir kommen, Jan-Phillip?“, antwortete sie und legte ihren Kopf leicht schief. Mitleidiger Blick.

      „Wieso? Wir sind alle gespannt!“ Er hielt entschuldigend die Hände vor sich und schaute sich zustimmungsheischend um. Dann legte er den Zeigefinger an sein Kinn.

      Meinhold hielt kurz inne, bevor sie anfing.

      „Also, dann fange ich mal an. Ich gehe davon aus, dass der Mörder von Jan Schnackenberg den Mord geplant hat. Es ist keine Tat im Affekt. Dafür spricht nicht nur die Tatausführung, sondern auch die Kontaktaufnahme zur Polizei. Der Täter ging bei dem Mord planvoll vor. Er hatte nicht nur seine Waffe dabei, sondern auch eine Kamera, um den Mord aufzuzeichnen.“

      „Aha, wie hat er es geschafft, den Mann so zu einzuschüchtern, dass er sich ohne Gegenwehr hat abknallen lassen?“, fragte Klauk.

      Die Frage überrumpelte Meinhold ein wenig. Doch fand sie schnell eine Antwort.

      „Gute Frage, Sebastian. Das ist eine der Ungereimtheiten in dem Fall. So etwas habe ich auch noch nicht gelesen.“ Wendt zwinkerte ihr zu. Wahrscheinlich, weil sie ‚gelesen‘ sagte, anstelle von ‚erlebt‘.

      „Lasst sie mal machen. Fragen können wir dann immer noch stellen“, sagte Hell. Er faltete seine Hände vor dem rechten Knie und gab Meinhold ein Zeichen fortzufahren.

      „Ich gehe davon aus, der Täter ist gebildet, sehr wahrscheinlich hat er eine Ausbildung. Eine feste Beschäftigung ist sehr wahrscheinlich. Ebenso kann er verheiratet sein, oder in einer festen Beziehung leben. Er agiert geradlinig und kontrolliert, was darauf schließen lässt, dass er das aus seinem Beruf her kennt. Der Täter ist sicher sozial angepasst. Er wird eine normale Kindheit erlebt haben, hatte eine mittlere bis gute Beziehung zu den Eltern.

      Er ist mobil. Gilt als freundlich, extrovertiert und liebenswürdig. Keiner vermutet einen Mörder in ihm. Er ist aber trotzdem kein Partygänger. Lebt eher zurückgezogen. Ein wichtiges Merkmal ist: er geht wahrscheinlich gerne nachts vor.“

      Wendt runzelte die Stirn. „Und das alles liest Du aus dem, was wir am Tatort gefunden haben?“

      „Ja“, antwortete sie knapp.

      „Lebt er hier in Bonn?“, fragte Rosin.

      „Sehr wahrscheinlich. Sollte nicht noch ein weiterer derartiger Mord passieren, dann gehe ich davon aus. Ja.“

      „Was macht aus so einem Menschen einen Mörder?“

      „Das müssen wir herausfinden. Wer sich mit Profilen befasst, muss die Vorgehensmuster und die charakteristischen Eigenschaften des wahrscheinlichen Täters feststellen. Er geht von Fakten aus und setzt diese in seiner Analyse durch logische Überlegungen zueinander in Beziehung.“

      „Aber mehr als das hier haben wir doch nicht“, sagte Klauk zögerlich. Er hatte sich, wie geplant, Notizen gemacht. Er klopfte mit dem Stift auf den Block.

      „Eben, daher müssen wir noch im Leben des Opfers graben, um ein Motiv zu finden. Für mich ist es eine sehr persönliche Tat. Das denke ich nicht nur. Der aufgesetzte Schuss ist der Beweis dafür“, antwortete Meinhold. Während ihrer Ausführung hatte sie Stichworte auf die Glastafel geschrieben.

      Jetzt schrieb sie das Wort ‚Motiv‘ auf die Tafel und machte zwei Fragezeichen dahinter. Sie schob die Kappe auf den Marker. „Das war’s.“

      „Die Frage, wieso er keine Gewalt angewendet hat, bleibt aber im Raum.“

      „Stimmt, das ist auch untypisch für einen so kontrolliert vorgehenden Mörder. Er fixiert normal sein Opfer und ist bei der Tatausführung brutaler. Aber ich erwähnte ja bereits, es gibt Ungereimtheiten.“

      „Sei mir jetzt nicht böse, Chris. Kann es sein, dass dein ganzes Profil nicht stimmt?“, fragte Rosin. Sie hoffte, dass Christina Meinhold ihr die Frage nicht übelnehmen würde.

      „Nein, da kann ich dich beruhigen. Das Profil stimmt zu neunzig Prozent. Bis auf diese Sachen.“

      Hell richtete sich in seinem Sessel auf. „Ich danke dir Christina. Das wird uns weiterhelfen, da bin ich mir sicher.“

      „Ich hoffe es. Profiling ersetzt keine normale Polizeiarbeit, es gibt ihm eine Richtung.“

      Hell zuckte mit den Schultern. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es klappt.“ Christina Meinhold schaute ihn an und beide fingen an zu grinsen.

      „Sehen Sie, Chef. Gefühle sind manchmal alles, was einem bleibt.“ Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. Vor nicht allzu langer Zeit hatte es zwischen den beiden Ermittlern einen Streit um solche Gefühle gegeben. Hell hatte dazu gelernt. Meinhold war weniger angriffslustig.

      „Es kommt viel Arbeit auf uns zu“, sagte Klauk.

      Oliver Hell seufzte und breitete die Arme aus. „Hat uns das je gestört? Nein oder?“

      „Wir brauchen einen neuen Schlachtplan. Wenn Christina jetzt bei uns ist, dann können wir uns anders aufstellen. Ich meine, ich könnte jemanden gebrauchen, der mir bei der Fahndung nach Gericke und den weiteren Ermittlungen hilft.“ Er richtete seinen Blick auf Hell.

      Der schüttelte bloß den Kopf. „Nein, wir brauchen alle. Du bleibst vorerst alleine an dem Fall Gauernack dran. Alle anderen kümmern sich um ‚Oskar‘. Sollte sich bei Gauernack etwas Neues ergeben, überlegen wir neu.“

      Wendt verzog den Mund, doch wusste er, dass Protest keinen Erfolg bringen würde.

      *

      Lydia Laws war schuld daran, dass Jan Schnackenberg an seinem letzten Abend Kaviar gegessen und dazu sündhaft teuren Rotwein getrunken hatte. Lydia war überhaupt schuld daran, dass er sich dazu entschlossen hatte, an diesem Abend mit ihr auszugehen. Lydia Laws war verheiratet. Das war für den sonst zurückhaltenden Schnackenberg ein Tabu. Er hatte auch nur zugesagt, weil es kein Rendezvous für zwei war, sondern ein Besuch bei einem noblen Event in der Piano-Bar des Maritim-Hotels in Bonn.

      Lydia hatte seit einiger Zeit ein Auge auf den erfolgreichen Banker geworfen. Daraus machte sie keinen Hehl. Ihre Ehe stand für sie kurz vor dem Aus und sie orientierte sich bereits neu. Sie war Luxus gewöhnt und bei Jan Schnackenberg erhoffte sie sich, diesen Luxus weiter erleben zu können.

      Es war ein erlesener und gut betuchter Kreis, der an dem Abend in der Piano-Bar Kaviar aß und Wein trank. Dort fühlte sich Lydia Laws wohl. Hier gehörte sie hin. So empfand sie.

      Jetzt war Jan Schnackenberg tot. Lydia Laws hatte natürlich von seinem spektakulären Tod gehört. Doch fühlte sie keine Trauer, nein eigentlich fühlte sie nur Enttäuschung. Umsonst investierte Zeit. Jetzt musste sie sich ein neues Opfer suchen, was sie umgarnen konnte.

      Sie hätte sich auch nicht bei der Polizei gemeldet, wäre da nicht die Furcht gewesen, dass die Ermittler ihr sowieso auf die Schliche gekommen wären. Es hätte unangenehme Fragen gegeben, womöglich einen Besuch zuhause.

Скачать книгу