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      „Das tun sie. Aber die alten Seilschaften halten auch heute noch zusammen. Ebenso wie die Nazis nach dem Krieg immer noch zusammengehalten haben. Solange, bis man sie aufgespürt hat.“ Er griff nach der Akte, die ihm seine Kollegin herüberreichte.

      „Ist es nicht fürchterlich, wenn man über zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR immer noch Angst vor den Stasi-Schergen haben muss?“

      „Sicher, aber geh mal davon aus, dass man sich dort den Fähigkeiten von Killern bediente. Nur dass sie unter dem Deckmäntelchen der SED töteten“, sagte er in einem konzentrierten Ton und sehr langsam.

      Die Augen des Tatortermittlers hefteten sich auf die Blätter in dem schmalen Aktenordner.

      „Ja, Du hast sicher Recht. Auch hier ist es wie immer und überall. Aus den Schlagzeilen, aus dem Gedächtnis der Massen. So werden auch die Stasi-Mörder langsam vergessen. Bis einer kommt und sie aufscheucht.“

      „Lass uns nicht allzu schnell eine Querverbindung ziehen. Es kann sein, dass der Tod des Staatsanwaltes gar nichts damit zu tun hat. Wir müssen erst alle Akten sichern“, sagte Kirsch.

      Eine Meldung über den Fund dieser Akten leitete Tim Wrobel direkt an die Staatsanwältin Hansen weiter. Keine halbe Stunde später war auch Oliver Hell im Bilde. In einem weiteren sehr unauffälligen Aktenordner fanden sich neben zwei Bildern mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern auch einige Original-Dokumente, deren Inhalt mit einem Edding-Marker teilweise unkenntlich gemacht worden war. So wie es die Stasi bei Millionen von Postsendungen, die vom Westen in den Osten geschickt worden waren, gemacht hatte. Eine dauerhafte Verletzung des Postgeheimnisses durch den repressiven Staatsapparat.

      Hatte Gauernack versucht, diese geschwärzten Stellen mit Leben zu erfüllen? War er damit jemandem zu nah gekommen?

      Spekulationen.

      Hell betrachtete die Fotos. Es handelte sich um Fotokopien von Originalen. Ob Gauernack die Originale ebenfalls besaß, konnte die KTU noch nicht sagen. Es waren scheinbar ganz normale Menschen, die auf dem Bildern zu sehen waren. Doch hatten sich diese beiden Männer bei der Verfolgung von Mitgliedern der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte hervorgetan. Das sagten die Akten aus, die sich ebenfalls in dem Ordner befanden.

      In den Zeiten des kalten Krieges sprach die IGFM insbesondere Menschenrechtsverletzungen in der DDR und den osteuropäischen Staaten an. Die Gesellschaft wurde 1972 in Frankfurt gegründet und war streng antikommunistisch ausgerichtet. Die Aktivitäten der Gesellschaft waren dem DDR-Geheimdienst ein Dorn im Auge. Wie man heute weiß, wurden einige Mitglieder der Gesellschaft von der Stasi umgebracht. Diese Mordaufträge konnten dem Ministerium für Staatssicherheit, kurz Stasi zweifelsfrei angelastet werden. Anhand von eigenen Stasi-Dokumenten konnten die Verbrechen erst rekonstruiert und die Täter einwandfrei identifiziert werden. Auch diese beiden Männer, deren Bilder Hell nun in Händen hielt, hatten sich Anfang der Neunziger vor Gericht verantworten müssen, wurden aber freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen. Einer der Männer hieß Harald Jochheim. Er wohnte in der Nähe von Asbach, einem kleinen Ort an den Füßen des Westerwaldes.

      Julian Kirsch sah sich weiter in der Wohnung des ehemaligen Staatsanwaltes um. War es doch gewöhnt, sich in den Wohnungen von Toten oder Verdächtigen umzuschauen, so fühlte er sich jetzt gerade extrem unwohl. Sonst waren es Unbekannte, mit denen die Ermittler nichts verband, jetzt spielte auch die Trauer mit, da es ein Mensch war, den man kannte.

      Kirsch stand in der Türe zum Schlafzimmer. Etwas hielt ihn zurück. Wie eine unsichtbare Barriere. Das Schlafzimmer markierte den intimsten Bereich der Wohnung. Doch er gab sich einen Ruck. Er musste hier ohne Emotionen ermitteln, auch wenn es ihm sehr schwer fiel.

      Vielfach fand man im Schlafzimmer Dinge, mit denen sich die Vermissten oder Opfer kurz vor ihrem Tod am intensivsten beschäftigt hatten. Bücher, Musik, Akten. Alles wirklich Private fand sich dort. Auf dem Tisch neben dem Bett lag ein weiterer roter Ordner, einer wie sie eben bereits gesehen hatten. Er nahm ihn in die Hand und blätterte darin.

      Nichts Neues.

      Er legte den Ordner in eine Asservatenkiste, die er vor sich abgestellt hatte. Dabei fiel ein Blatt aus dem Ordner heraus und segelte unter das Bett. Julian Kirsch kniete sich hin und schaute unter das Bett. Das Blatt lag beinahe unter der Mitte des Bettes. Er legte sich auf den Rücken und angelte danach. Seine Nase berührte den Rand des Bettgestells. Er rückte noch ein wenig weiter, denn seine Finger konnten das Blatt zwar ertasten, aber nicht zu sich hinbewegen. Jetzt schob er auch seine Stirn unter das Bett. Da fiel sein Blick auf etwas, was nicht dorthin gehörte, wo es sich befand. Er konnte es nicht identifizieren.

      Jetzt erreichte er das Blatt Papier und schob es mit den Fingern über den Teppichboden. Er holte es hervor und legte es achtlos hinter sich. Das fremde Etwas erregte seine volle Aufmerksamkeit. Er angelte mit der Hand danach. Es war am oberen Bettrand festgeklebt. Hatte Gauernack hier etwas versteckt? Er drehte das schwarze Kästchen, um den Kleber zu lösen. Es ließ sich schließlich vom Bettgestell lösen und er holte es hervor.

      Er hielt es in den mit den grünen Handschuhen geschützten Händen.

      Was war das? Es war kein Kästchen, in dem man etwas aufbewahren konnte. Nein, das hier schien ein elektronisches Gerät zu sein. Es hatte die Größe einer Männerhand. Flach, schwarz. Er legte es in einen Asservatenbeutel und beschriftete ihn sorgfältig. Neugierig trug er den Beutel zu seiner Kollegin herüber.

      „Schau mal Heike. Hast Du so etwas schon einmal gesehen?“, fragte er und hielt sein Fundstück in der Hand. Er drehte es hin und her.

      Heike Böhm erschrak, als sie sah, was ihr Kollege dort in dem Asservatenbeutel bei sich trug.

      *

      Hell beauftragte Wendt damit, sich einmal diesen Harald Jochheim anzuschauen. Ohne deutlich zu werden. Sollte die Stasi wirklich hinter dem Unfall stecken, dann würden er und seine Hintermänner möglichenfalls aufgescheucht. Das durfte auf keinen Fall passieren. Er verließ im selben Moment das Büro, als auch Hell sich auf den Weg in die KTU machte. Sie warfen einander noch einen flüchtigen Gruß zu.

      Auf dem Weg in die KTU nutzte Hell die Zeit, um eine SMS an Franziska Leck zu schicken. Nur ein kleines ‚Ich denke an dich‘. Es kam keine Antwort, was Hell auch nicht erwartet hatte, denn sie war ja noch immer auf dem Seminar. Er steckte das Handy weg und öffnete die Türe zur Abteilung der Tatortermittler.

      „Was habt ihr denn für ein Teufelsding gefunden?“, fragte er, als Tim Wrobel seinen Kopf hinter einem der neuen Bildschirme hob. Seine Hornbrille saß auf seinem Kopf, nicht auf der Nase.

      Hallo Oliver“, brummelte Wrobel, „Definitiv etwas, was Du nicht gerne unter deinem Bett hättest.“ Er schob sich die Brille wieder vor die Augen.

      „Will sagen?“

      „Wir sind uns sicher, es ist ein elektromagnetischer Feldemitter.“

      „Was tut das? Was kann das?“

      Wrobel trat hinter der Reihe von Bildschirmen hervor. „Kleiner Exkurs in Technonologiegeschichte gefällig? So etwas ist in jedem alten Monitor verbaut gewesen. Du erinnerst dich? Diese klobigen Kästen, die noch bis vor kurzem auf unseren Schreibtischen standen. So etwas nannte man Monitor. Es hat die Zeilen geschrieben, könnte man sagen. Doch dieser hier ist etwas Besonderes.“

      Hell mochte den Zynismus seines wissenschaftlichen Kollegen. „In wie fern?“

      „Vor allem bei Röhrenmonitoren, bzw. Bildschirmen, die auf dem Prinzip der Bildröhre basieren, entstehen elektromagnetische Strahlen. Durch eine Lochmaske wurden sie daran gehindert, nach außen aus dem Gehäuse herauszutreten. Du erinnerst dich an den TCO-Aufkleber, den jeder Bildschirm hatte? Den verdankten wir der schwedischen Normengesellschaft MPR und der schwedischen Berufsgenossenschaft TCO. Die haben Grenzwerte der Strahlenemission festgelegt, die dann als TCO-Norm bezeichnet wurde. Bildschirme, die der TCO-Norm entsprachen, bezeichnete man als strahlungsarme Bildschirme.“

      „Ja, klar. Aber was hat das mit diesem schwarzen Ding zu tun?“ Hell zeigte auf das schwarze Kästchen, was Wrobel schon auseinandergeschraubt

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