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nicht schaden“, sagte Meinhold, „Ich wollte doch mal eben hören, worum es geht. Lea hat nur ein paar Schlaglichter geworfen. Stimmt das, Gauernack ist ermordet worden?“

      „Wir wissen es nicht. Die KTU untersucht sein Haus und seine Akten im Büro, um eine Spur zu finden. Alles spricht dafür…“, sagte er und bat mit einer Handbewegung Christina Meinhold einen Stuhl an. Sie setzte sich und stellte ihre Handtasche auf den Stuhl neben sich.

      „Wie schrecklich, Gauernack war ja kein Charmebolzen. Aber ermordet? Gab es eine akute Bedrohungslage?“

      „Nein, so viel wie wir wissen, nicht. Oberstaatsanwältin Hansen arbeitet daran. Darf ich dir etwas zu trinken bringen, Christina? Ein Bier, alkoholfrei natürlich?“

      Sie nickte. „Aber wegen Gauernack habt ihr mich sicher nicht angerufen“, fragte sie, nachdem sie den ersten eiskalten Schluck aus der Flasche getrunken hatte.

      „Nein, wegen eines anderen Mordfalles.“

      Während Hell ihr die Geschehnisse vom Vorabend erzählte, hörte Meinhold ihm konzentriert zu. Dabei rieb sie mit ihrem Daumen gedankenverloren das Kondenswasser vom Etikett, was sich durch die Hitze direkt gebildet hatte.

      Kapitel 3

       Mittwoch

      Oliver Hell schaute auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten nach sieben. Er hatte zuhause gefrühstückt und war auf dem Weg nach Bonn. In den Radio-Nachrichten wurde bereits über einen irren Killer spekuliert, der den Mord an Jan Schnackenberg verübt haben sollte. Hell versuchte, ruhig zu bleiben bei dem Gedanken. Die Zeitungen würden an diesem Morgen ein Bild der Überwachungskamera der Sparkasse bringen. Darauf würde der Mann zu sehen sein, wie er die Telefonzelle verlässt. Der Abgleich der Time-Codes der Sparkasse und des Anrufes auf dem Revier hatte ergeben, dass es sich bei diesem Mann um den geheimnisvollen ‚Oskar‘ handeln musste. Jetzt konnten sie sich ins Büro setzen und auf ein Wunder warten.

      Die Chance, dass jemand einen Mann mit einem Kapuzenpulli bei über dreißig Grade gesehen hatte, war nicht schlecht. Das war an einem Tag, den jeder so textilfrei wie möglich verbringen wollte, so auffällig wie ein Eisbär in der Wüste.

      Hell schmunzelte bei dem Gedanken. Er überlegte, ob er wieder, wie am Vortag Zeitungen kaufen sollte, doch verwarf er den Gedanken. Wendt würde sicher auf die Idee kommen.

      Das Wunder, auf das Hell gewartet hatte, ereignete sich zwischen halb zehn und viertel vor zehn. Und zwar in Gestalt eines Anrufers beim Bonner Generalanzeiger, der sicher war, einen Mann zuerst an der Haltestelle und dann später auf dem Platz vor der Sparkasse gesehen zu haben. Er konnte eine Beschreibung von Oskar abliefern. Der Mann wurde gebeten, sich bei der Kriminalpolizei zu melden, damit dort eine Phantomzeichnung von ‚Oskar‘ angefertigt werden konnte.

      Mit diesen guten Nachrichten rief Hell bei Oberstaatsanwältin Hansen an, um nach dem Stand ihrer Recherchen zu fragen. Danach war sein Enthusiasmus wieder etwas gebremst, weil sie keine ehemaligen Strafgefangenen aufzählen konnte, die Gauernack nach der Verurteilung bedroht oder sonst wie auffällig geworden waren. Diesen Ast der Ermittlung konnte man getrost abschlagen.

      Ein wenig in Gedanken versunken, stand Hell vor der Glastafel. Klauk hatte in der Familiengeschichte der Gerickes geforscht. Die Eltern der beiden waren vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie waren bis zu ihrem tragischen Ableben beide in einem lokalen Fußballverein aktiv gewesen. Bis dahin galten Stephan und Christina Gericke als verheißungsvolle Talente. Nach dem Tod der Eltern übernahm ihre Tante die Vormundschaft. Im Laufe eines Jahres verwandelten sich die beiden Vorzeigeschüler zu Problemkindern. Stephan geriet mit vierzehn Jahren in die Bonner Drogenszene. Christina schaffte zwar so gerade noch die Versetzung von der fünften in die sechste Klasse, drehte aber dann in der sechsten Klasse eine Ehrenrunde. Stephan Gericke bekam erst Sozialstunden auferlegt, die Sozialarbeiter der Stadt gaben sich bei der bedauernswerten Tante die Klinke in die Hand. Ein Jahr später erhielt er die erste Haftstrafe auf Bewährung.

      Mit siebzehn schien Stephan Gericke nichts mehr von einer kriminellen Laufbahn abhalten zu können. Doch wie ein Wunder kam es nicht dazu. Er machte eine Lehre als KFZ-Mechaniker und legte die Prüfung als Bester seines Lehrjahres ab. Seine Schwester schaffte das Abitur.

      Die durch den frühen Tod der Eltern verkorkste Kindheit der beiden schien vergessen zu sein.

      Bis zum gestrigen Tag hatte man von den beiden nichts mehr gehört. Stephan Gericke hatte seine Meisterprüfung abgelegt und machte sich mit der kleinen Autowerkstatt selbstständig. Christina begann ein Studium der Sozialwissenschaften.

      Hell ordnete eine Observierung von Christina Gericke an. Sollte sie wirklich Kontakt zu ihrem Bruder unterhalten, so würde man sie festnehmen. Wendt gefiel diese Anordnung überhaupt nicht.

      „Selbst wenn sich ihr Bruder bei ihr meldet, dann kann es auch sein, dass sie trotzdem unschuldig ist“, sagte er.

      „Das werden wir dann sehen. Gericke ist unser Hauptverdächtiger. Die Observierung kann sie ebenso entlasten. Sieh es positiv, Jan-Phillip.“

      Rosin wunderte sich über die Zögerlichkeit ihres Kollegen. „Jan-Phillip, man könnte auf die Idee kommen, Du hättest dich in die Frau verknallt. Das ist hoffentlich nicht so.“

      „Nein, quatsch“, widersprach er vehement.

      Wir müssen den Fall von allen Seiten beleuchten, dazu gehörte auch die Observierung von Gerickes Schwester. Das machte Hell noch einmal unmissverständlich klar.

      „Es ist Zeit, die Geschichte genauer zu untersuchen“, stimmte auch Klauk zu.

      Hell lenkte das Gespräch auf den anderen Fall. ‚Oskar‘ war nun das Thema.

      „Ich hatte gestern Abend noch Besuch“, fing er an zu erzählen.

      „Aha“, sagte Wendt mit einem Tonfall, der etwas Schlüpfriges andeuten wollte.

      „Nein, nicht was Du denkst. Christina war noch kurz bei mir und wir haben das Profil besprochen. Wenn sie gleich kommt, wird sie es uns noch einmal erläutern“, antwortete Hell.

      Lea Rosin überlegte einen Moment.

      „Kann sie es denn schon erstellen, ein Profil?“, fragte sie.

      „Ja, das kann sie. Mir war es auch fremd, aber aus der Art und Weise der Tatausführung und der Öffentlichkeit, die der Täter sucht, kann man sehr wohl bereits ein Profil erstellen.“

      „Da bin ich mal gespannt“, sagte Wendt.

      „Das darfst Du auch sein. Christina wird gleich hier sein. Sie holt sich nur noch ein paar Informationen zum Tatort, die sie für das Profil noch benötigt. Sebastian, hast Du noch Informationen zur Lebenssituation von Jan Schnackenberg?“

      Klauk legte sein Tablet weg und schob die Kappe zurück auf seinen Stift, den er für Notizen schon bereit gelegt hatte. Er räusperte sich.

      „Jan Schnackenberg war auf der Arbeit sehr beliebt. Das haben alle bestätigt. Keiner stellt sich vor, dass es ein Kunde gewesen ist, der so einen Mord ausführt. Wir haben aber bislang nur ein allgemeines Bild von ihm erarbeiten können, für Detaillierteres war die Zeit zu kurz. Laut Aussagen seiner Kollegen war er ein ruhiger, gewissenhafter Angestellter, ohne große Launen und Allüren.“

      „Wissen wir denn, wo er sich vor seinem Tod aufgehalten hat?“

      „Nein, noch nicht. Seinen Kollegen erzählte er nichts. Aber das passe zu ihm. Er hätte nie viel von sich erzählt“, ergänzte Klauk.

      „Wer bringt so jemanden um?“, fragte Rosin.

      „Stille Wasser sind tief. Er hat vielleicht ein dunkles Geheimnis. Er wäre nicht der Erste“, witzelte Wendt. Er wischte sich mit dem Zeigefinger etwas aus dem äußersten Augenwinkel.

      „Nein, jetzt mal ohne Scheiß. So ein Mord ohne Motiv wäre noch passend zu unserem ‚Oskar‘“, sagte Rosin. Ihren letzten Satz bekam noch kaum jemand

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