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Nach eine Weile fragte sie: „Was wird er tun und vor allem, was willst du jetzt tun?“

      Hell ließ seine Hände von ihrer Taille sinken und wandte sich ab. Erneut hob er die Arme, um sie resigniert sinken zu lassen.

      „Was kann ich schon tun? Ich muss nach Hause fliegen!“

      Franziska trat auf ihn zu. „Musst du nicht. Du bist noch nicht wieder im Dienst, Oliver. Wir können hier abwarten, was passiert. Vielleicht wird er ja auch sofort wieder gefasst und du machst dir ganz umsonst so einen Stress.“

      Hell schüttelte heftig den Kopf, blickte sie lange an. „Ich kann doch die Kollegen nicht meine Arbeit machen lassen, Franzi!“

      „Es ist nicht deine Arbeit. Du bist nicht im Urlaub, du bist von Dienst freigestellt. Und du weißt ebenso wie ich, dass man dich nicht sofort wieder ran lässt. Wenn du jetzt Hals über Kopf nach Hause fliegst, bringt dir das überhaupt nichts.“

      Aus ihren Worten konnte Hell ihre Sorge heraushören. Sie trat auf ihn zu und nahm ihn in den Arm.

      „Schatz, bleib bitte ruhig“, sagte sie leise und tätschelte seinen Rücken. Wie gut, dass er so ihren besorgten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Als sie ihn losließ, war schon wieder Zuversicht in ihren Blick zurückgekehrt.

      „Lass uns bitte etwas essen gehen, ich sterbe vor Hunger!“

      Sie ging zurück ins Bad, sagte über die Schulter hinweg zu ihm: „Wir gehen essen und du erzählst mir genau, was passiert ist. Dann bin ich nicht mehr ausgehungert und du kannst dir alles von der Seele reden!“

      Eine halbe Stunde später saßen sie gemeinsam in einem kleinen Restaurant an der Straße und Hell hatte ihr schon alles berichtet, was er über die Flucht von Ron Baum wusste. Noch immer herrschte keine Klarheit über das weitere Vorgehen. Beide waren sich nicht einig über die Motive des Ausbrechers. Hell war felsenfest davon überzeugt, dass Baum sich an ihm rächen würde. Franziska dagegen war nicht davon überzeugt. Jedenfalls tat sie so.

      „Wenn ich wüsste, was ich tun soll, wäre ich schlauer“, sagte Hell.

      „Hinter dem Warum muss nicht zwangsläufig der Racheplan stecken. Er könnte sich auch ins Ausland absetzen und sich dort verkriechen.“

      Obwohl Hell keinen Grund hatte, ihr zu widersprechen, fragte er dennoch skeptisch: „Du denkst, wir müssen nur so lange warten, bis er einem Kollegen in die Arme läuft? Denkst du das?“

      Franziska zuckte nur mit den Schultern und schob sich einen Bissen in den Mund. Ihr Schweigen beflügelte Hell. „Ist das nicht alles ein wenig zu simpel? Warum sollte er sich diese Mühe machen? Was sagt denn dein Profiler-Gehirn dazu?“

      Franziska kaute ruhig weiter und mit einem langen Blick auf das Weinglas vor sich antwortete sie: „Baum ist schwer einzuschätzen. Er hat aus Rache sein Leben weggeworfen. Das wird er vermutlich auch dir ankreiden. So verrückt, wie er denkt, macht es für ihn Sinn. Er sitzt nicht umsonst in der psychiatrischen Klinik ein … ich meine, er saß nicht umsonst dort ein. Und es deutet vieles darauf hin, dass er seine Rachepläne wieder aufnehmen wird. Doch das ist momentan alles zweitrangig. Du bist hier auf Mallorca und damit in Sicherheit. Wärst du in Bonn, was glaubst du, was Hansen und Retzar tun würden? Sie würden dich aus der Schusslinie nehmen und womöglich sogar an einen sicheren Ort bringen lassen. Das hier ist dein sicherer Ort. Hier findet er dich nicht!“

      Sie saß da und sah ihm zu, wie er nach einer Antwort suchte. Schließlich antwortete er: „Ist meine Sicherheit hier wichtiger als die der Kollegen in Bonn? Könnte ich damit leben, wenn einer aus meinem Team verletzt würde oder gar getötet? Ist mein Leben wichtiger als das von Wendt, Klauk, Rosin oder Meinhold?“

      In seinen Augen konnte sie sehen, wie er auf eine Antwort drängte. Oliver Hell legte das Besteck ab und stützte seine Unterarme auf dem Tisch ab.

      „Willst du mit mir eine moralische Diskussion führen?“, fragte Franziska.

      „Ja, wenn du mit meiner Sicherheit argumentierst.“

      „Oliver, du bist in den Fokus eines Psychopathen geraten. Der Mann hat ein Feindbild aufgebaut, das nur er selbst versteht und nach dem er lebt. Dich trifft keine Schuld an dem Selbstmord seiner Frau. Daher hast du ihm gegenüber auch keine Verpflichtung, vor allem nicht die, dich ihm quasi auszuliefern.“

      „Ich war nie ein Feigling.“

      „Das wirft dir auch keiner vor. Ich kenne dich jetzt seit langer Zeit und wenn man dir Sturheit und Dienstversessenheit vorwerfen kann, sowie viele andere Attribute, Feigheit gehört sicher nicht dazu“, antwortete sie gedankenvoll.

      Hell war damit nicht zufrieden. Daher setzte sie lächelnd hinzu: „Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Dich diesem Psychopathen ausliefern, indem ich eine Beurteilung schreibe, in der steht, dass es deiner Seele gut tut, wenn du Ron Baum selbst zur Strecke bringen kannst? Das werde ich nicht tun!“

      „Erklär mir doch, was du tun wirst, Franziska!

      Sie lachte, keineswegs gekränkt, und fuhr fort: „Ich bin mir sicher, dass dir der Blick auf die Realität durch deine Sorge um die Kollegen verstellt ist. Das ehrt dich, aber ich sehe auch, dass diese Sorge dich zu einer Handlung treibt, die dich in Gefahr bringt. Als deine Psychologin kann ich dem nicht zustimmen und werde alles tun, dich hier auf der Insel zu halten. Und zwar so lange, bis man diesen Baum wieder eingefangen hat, tot oder lebendig!“

      Als er die Pause, die sie machte, nicht nutzte, um ihr zu widersprechen, fuhr sie fort: „Es überrascht mich nicht, dass du einen Mörder wieder einfangen willst, aber ich stelle mich dagegen, dass jemand sich in Gefahr begibt, nur um Gefahr von anderen abzuwenden. Das ist moralisch sicher zu begrüßen, aber du bist derjenige, um den es geht. Ich setze nicht meine Liebe aufs Spiel, um deine moralischen Bedenken zu unterstützen.“

      Sie stützte ihren Arm auf dem Tisch ab, wischte sich mit der Serviette über den Mund, schloss kurz die Augen, bevor sie weitersprach: „Es gibt ehrenvolle Ziele, die man als Polizist verfolgen kann und ich kann wirklich nur sagen, dass ich dich dafür noch mehr liebe als vorher. Aber ich kann nicht anders. Ich werde Hansen und Retzar informieren, mit der Anweisung, dich sofort am Kölner Flughafen abzufangen, sobald dein Flugzeug dort gelandet ist!“

      Hell wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Was wog schwerer? Ihr Liebesgeständnis und ihre Sorge um ihn oder die Tatsache, dass sie ihre Stellung als Psychologin ausnutzen würde, um ihn bei seinen Vorgesetzten zu diskreditieren?

      Er sah sie nur an, tauchte in ihre Augen ein und sog die Liebe darin auf. Franziska sagte in sein Schweigen hinein: „Erinnere dich daran, was du immer sagst, Oliver!“

      „Und was sage ich immer?“, sagte er sanft.

      „Das man bei jedem Einsatz sein Leben in die Waagschale wirft und dass es darauf ankommt, das Risiko so klein wie möglich zu halten, und seinen Arsch nicht zu riskieren, wenn es nicht nötig ist.“

      Sie zitiert ihn fast wortwörtlich. „Nun, wenn ich dich und deine Worte richtig verstehe, liebst du mich sehr und möchtest nicht, dass ich mein Leben riskiere. Habe ich Recht?“

      Er konnte ihr nicht nachtragen, dass sie ihre Macht als Psychologin einsetzte, um sein Leben zu schützen. Franziska lächelte und griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand. „Und? Wirst du mich jetzt als deine Psychologin feuern und dir ein willfähriges anderes Weib suchen, dass dir nach dem Mund redet?“

      Er schüttelte den Kopf und sie schloss die Diskussion mit der Frage: „Also?“

      *

      Bonn

      Auf dem Nachhauseweg hatten Klauk und Meinhold noch bei der Familie des Toten vorbeigeschaut. Hatten sie vermutet, dass sie dort eine Todesnachricht zu überbringen hatten, öffnete ihnen eine junge Frau mit verweintem Gesicht die Türe. Die Nachricht war schon angekommen. Die Beamten hielten wortlos ihre Dienstausweise hoch. Die junge Frau nickte und wischte sich eine Träne von der Wange. Sie ließ die Tür offen stehen und gebot den beiden Beamten hereinzukommen. Meinhold schloss die Tür und

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