Скачать книгу

ihr etwas erfahren?“

      Meinhold hob bedauernd die Schultern. „Nicht wirklich, die beiden Frauen waren überwältigt von der Trauer. Da war nicht viel zu erfahren.“

      „Okay, wir werden den Mann verhören, sobald er verfügbar ist. Vielleicht kann er uns sagen, wer seinen Bruder so lieb hatte, ihm das Lichtlein auszublasen“, sagte Wendt und an Rosin gewandt: „Was denkst du? Sollten wir jetzt fahren, um den Leuten in der Klinik-Nette-Gut auf den Zahn zu fühlen? Ich freue mich schon auf die dummen Gesichter derjenigen, die Baum haben laufen lassen! Ganz ehrlich!“

      Rosin blickte wie gehetzt auf die Uhr, dann auf den Stapel vor sich auf dem Tisch. „Fährst du alleine? Oder nimmst du Christina mit? Die kann dir sicher als Profilerin besser zur Seite stehen bei den Psychos dort“, bat ihn Rosin. „Natürlich nur, wenn dir das Recht ist, Chrissie?“

      Meinhold sah zögernd zu Wendt hinüber, und nach einem Moment des Innehaltens willigte sie ein. „Klar, wenn wir die Befragungen hier im Präsidium machen wollen, kann ich sicher für die zwei Stunden mal das Team wechseln.“

      „In Ordnung, dann lass uns fahren. Umso schneller sind wir wieder zurück“, sagte Wendt, nahm sein Jackett vom Kleiderständer und Rosin und Klauk sahen die beiden keine zwanzig Sekunden draußen auf dem Gang verschwinden.

      „Schön, dass sie wieder bei uns ist“, sagte Rosin und sah ihrer Freundin versonnen hinterher.

      „Stimmt, und ich finde es gut, dass du ihr den Vortritt lässt, Lea.“

      Lea sah ihn verwundert an. „So habe ich das jetzt gar nicht gemeint. Ich dachte wirklich, dass sie dort besser mitfährt, weil sie die Aussagen der Klinikinsassen besser einschätzen kann!“

      Klauk hielt eine Tasse in der Hand und brauchte ziemlich lange, bis er antworte. Er prüfte noch einmal nachdenklich die Füllmenge der Kaffeebohnen in der Maschine, dann drückte er auf die Start-Taste. „Ja, in Ordnung. Aber einer fehlt noch immer. Magst du auch einen Kaffee haben, Lea?“

      Lea Rosin ließ sich wie ein nasser Sack auf den nächsten Stuhl sinken. Nickte unmerklich. Sie seufzte, dann warf sie Klauk einen beinahe flehenden Blick zu.

      „Und wie er fehlt. Jan-Phillip ist ein toller Kollege, aber der Chef ist eben der Chef. Und er fehlt mir. Seine Erfahrung und seine Ruhe. Bei Jan-Phillip habe ich immer ein Gefühl, dass er eine latente Unsicherheit ausstrahlt. Nein, das trifft es nicht, er ist nicht unsicher, das zu sagen, wäre ungerecht. Bei Hell sind die Anordnungen wie aus dem Fels gemeißelt, unumstößlich richtig. Bei Jan-Phillip spüre ich immer ein Zögern. Kannst du mir folgen?“

      Klauk nickte unwirsch. „Milch?“

      „Ja.“

      Er stellte vor Rosin die Tasse auf den Tisch, warf erneut die Maschine an. Dann setzte er sich mit dem Kaffee neben seine Kollegin.

      „Ich kenne Wendt jetzt schon seit mehreren Jahren“, begann er und bohrte sich den Zeigefinger ins Ohr. „Er hat sich in den letzten Monaten verändert, sehr sogar. Seitdem er die Verantwortung tragen muss, ist er ruhiger geworden. Früher war er ein Hallodri, der alles andere ernster nahm als seinen Beruf. Das hat sich geändert, seitdem er mit Julia zusammen ist. Er ist ernsthafter geworden. Vielleicht ist es das, was du meinst. Früher hat er alles mit einem flapsigen Spruch abgetan, jetzt wirkt er ruhiger, nachdenklicher. Vielleicht ist es das, was du als zögerlich empfindest.“

      Er nippte an seinem Kaffee, verzog das Gesicht und holte sich noch eines von den kleinen Milchportionen, deren Inhalt so gerne auf der Hose landete. Doch es ging gut, die Milch fand ohne Unfall ihren Weg in den Kaffee. Umständlich klopfte er das Plastikschälchen gegen die Kaffeetasse, dann sah er Rosin an. Sie lächelte unsicher.

      „Ich mag ihn wirklich, den Jan-Phillip, du sollst mich bitte nicht falsch verstehen. Vielleicht ist es das, was du sagst. Seis drum, mir fehlt der Chef und ich hätte ihn lieber heute als morgen wieder hier im Präsidium.“

      Wie schnell sich ihr Wunsch erfüllen sollte, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Auch ihre Rolle hätte sie sich nicht so vorgestellt.

      *

      Auf dem Weg nach Weißenthurm wurden sie von einem leichten Regenschauer überrascht. Sie brauchten eine Weile, bis sie das Klinikum gefunden hatten. Als Meinhold aus dem BMW stieg, wechselte sie über das Autodach hinweg einen Blick mit Wendt. Dachte daran, dass ihr die Insassen der Klinik aller Voraussicht leidtun würden. Das war ein Aspekt, den sie während der Ausbildung zur Profilerin nie ganz abstellen konnte – das Mitleid.

      Wendt schien ihre trüben Gedanken zu erraten, doch wusste er nicht, in welche Richtung sie gingen. „Wirst du eigentlich irgendwann zur OFA wechseln? Ich meine, da sind die doch alle irgendwie organisiert.“

      Meinhold sah ihm fest in die Augen. „Nein, das habe ich nicht vor. Ich bleibe lieber in Bonn, was dagegen? Es kann durchaus sein, dass ich anderen Dezernaten bei der Aufklärung behilflich sein werde. Aber ich bleibe schon hier in Bonn.“

      „Schön zu wissen“, antwortete Wendt und schloss die Autotür.

      „Ist das alles?“

      „Warum? Ich dachte, du freust dich.“

      „Das tu ich, Chrissie“, antwortete Wendt und sie gingen gemeinsam auf das Gebäude zu.

      „Gibt es einen besonderen Grund für deine Frage?“

      Wendt verlangsamte seinen Schritt. „Sicher, den gibt es. Ich habe heute kurz mit Hansen gesprochen. Sie bekommt mächtig Druck von der neuen Polizeipräsidentin. Die möchte unter anderem die Zusammensetzung der Teams zur Disposition stellen oder gegebenenfalls ändern. Und in diesem Zusammenhang fällt natürlich auch der Name Oliver Hell. Diese Frau scheint eine Bürokratin durch und durch zu sein. Hell ist unproduktiv und bezieht trotzdem sein Gehalt weiter. Das stinkt ihr und sie möchte den Chef in den vorzeitigen Ruhestand abschieben. Wenn sie damit durchkommt, muss ich wissen, wer hier noch in Bonn bleibt, sonst stelle ich einen Antrag auf Versetzung. Julia und ich sind eh dabei, einen Umzug zu planen. Vielleicht wird es dann auch eine andere Stadt. Daher meine Frage.“

      Meinhold blieb wie angewurzelt stehen, kniff die Augenbrauen zusammen. „Das ist nicht dein Ernst? Sie will Hell abschieben? So eine blöde Kuh, sie kennt ihn doch gar nicht!“

      Wendt zuckte mit den Schultern. „So ist die Situation. Je länger der Chef in Spanien bleibt, desto wahrscheinlicher ist dieses Szenario.“

      „Hast du mit ihm gesprochen? Wir müssen ihn darüber informieren“, stieß Meinhold hervor. Wendt machte einen Schritt nach vorne, wollte weitergehen, sie hielt ihn am Ärmel fest. „Hörst du? Weiß er Bescheid?“

      Wendt hielt erneut inne. „Hansen hat mit ihm telefoniert, als sie ihn über Baums Ausbruch informierte.“

      Der Oberkommissar blickte unwirsch auf die Hand, die den Ärmel seines Jacketts fest um klammert hielt.

      „Und du? Willst du ihn nicht anrufen?“

      „Doch, das werde ich. Aber erst müssen wir diese Befragung hinter uns bringen.“ Für Meinhold klang das nicht überzeugend, er sah ihr mit einem fahrigen Blick in die Augen. Dann ging er weiter, weil auch Meinhold ihren Griff gelöst hatte. Sie fing augenblicklich an zu zweifeln. Konnte das sein? Würde Wendt, um seine Karriere voranzutreiben, Hell ins offene Messer laufen lassen? Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend beeilte sie sich, ihrem Kollegen zu folgen. War Wendt wirklich dazu in der Lage? Bis zur Eingangstür der Klinik hatte sie keine Antwort auf diese Frage gefunden.

      *

      „Wie konnte es dazu kommen? Warum hat man die Insassen nicht besser unter Kontrolle?“, fragte Wendt gereizt. Der Angesprochene wich seinem direkten Blick aus, fuhr sich nervös mit der Hand über das Kinn.

      „Wir können es uns auch nicht erklären, wie Baum es geschafft hat, die Klinik zu verlassen“, antwortete er schließlich. Er spürte die Ungeduld der beiden Ermittler, die ihm gegenübersaßen. Doktor Ralph Ohnesorge machte seinem Name alle Ehre. Er schien sich nicht darüber im

Скачать книгу