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angefreundet hat. Außerdem sagt er, dass Baum ständig Selbstgespräche geführt hat. Hat Drohungen vor sich hingemurmelt, sich von den anderen Inhaftierten abgeschottet, alleine gegessen und auch nie an den Fernsehabenden teilgenommen. Daher kam es ihm umso merkwürdiger vor, wie er sich an den Angestellten aus der Wäscherei herangeworfen hat.“

      „Wie glaubwürdig ist dieser Zeuge?“, fragte Wendt interessiert.

      „Ziemlich. Er ist einer der wenigen, die nicht ständig unter Medikamenten stehen. Es wäre sicher auch für dich interessant geworden, Jan-Phillip. Er hat mich sogar nach dir gefragt.“

      „Was? Er kennt mich? Wer ist dein Zeuge?“ Die Überraschung stand Wendt ins Gesicht geschrieben.

      „Einer, an den du dich sicher nicht so gerne erinnerst.“

      „Sag schon!“

      „Ingo Adelberg.“

      Wendt erstarrte. Meinhold meinte, einen Film in seinen Augen ablaufen zu sehen. Wut. Angst. Trauer.

      „Was? Der sitzt hier ein?“, sagte er schließlich nach einem langen Seufzer. Ingo Adelberg hatte das Team über mehrere Tage an der Nase herumgeführt, ihnen ständig neue Hinweise und GPS-Koordinaten übermittelt. Trotzdem hatten sie seinen Rachefeldzug nicht stoppen können. Für Wendt war es besonders emotional, weil er an einem der Tatorte eine der tödlichen Fallen des Mannes ausgelöst hatte. Lange hatte er damit zu kämpfen, bis er schließlich zu der Erkenntnis kam, dass niemand den Tod des Mannes hätte verhindern können.

      Wendt biss sich auf die Unterlippe. „Den Kerl hatte ich schon fast vergessen“, log er.

      „Tatsächlich?“

      Wendt sah aus dem Seitenfenster. „Nein, nicht wirklich. Aber das er jetzt hier als Zeuge auftaucht, ist ein Wink des Schicksals. Es sagt mir, dass wir höllisch aufpassen müssen.“ Mit einem Ausdruck in den Augen, den Meinhold noch nie bei ihrem Kollegen gesehen hatte, blickte er sie an.

      „Warst du damals eigentlich beim Polizeipsychologen?“

      Wendt schüttelte langsam den Kopf. Sie legte ihm sanft die Hand auf das Knie. Dann suchten sie sich einen Weg aus dem Ort.

      *

      Cala Llombards

      „Das verstehe ich“, sagte Carola Pütz und schenkte Wein nach. Oliver Hell und Franziska saßen mit ihrer Freundin Carola auf deren Dachterrasse an der Cala Llombards. „Aber du kannst dir nie sicher sein, dass du das Richtige tust. Das erfährt man immer erst im Nachgang.“ Ihre Augen strahlten die menschliche Wärme aus, die Hell an der ehemaligen plastischen Forensikerin so mochte. Sein Blick fiel auf Marie, Carolas Hund, der eingeringelt zu ihren Füßen lag und leise schnarchte.

      „Du hast es gut Marie“, sagte Hell leise. Er starrte in den Abendhimmel und versuchte erneut, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Als er eingesehen hatte, dass er an diesem Abend keine Antwort auf diese Frage finden würde, nahm er sein Glas vom Tisch und prostete den beiden Frauen zu.

      „Wenn du dich gut fühlst, dann fliege zurück. Aber wenn dein Gefühl dir sagt, dass du besser hier aufgehoben bist, musst du bleiben. Es hilft deinen Leuten in Bonn überhaupt nichts, wenn sie einen Oliver Hell mit gebremstem Schaum antreffen. Entweder bist du wieder diensttauglich, oder aber du brauchst noch eine Weile. Das kannst aber nur du selbst herausfinden“, sagte Carola Pütz langsam.

      Hell murmelte eine Bemerkung, die keiner verstand. Doch dann räusperte er sich und formulierte ein Geständnis.

      „Ich hätte nach Dänemark schon eine Auszeit nehmen müssen. Ich schleppe seit der Entführung diesen emotionalen Ballast mit mir herum. Aber ich war ja der festen Überzeugung, dass es mir wieder gut geht“, sagte Hell und ergriff Franziskas Hand. Sie streichelte sie sanft. „Wie gut, dass du es endlich zugibst, Oliver.“

      „Ja, man kann sich eine ganze Weile selber betrügen. Aber irgendwann geht es nicht mehr. Ich habe die letzten Monate lange darüber nachdenken können – man kann hier auf der Insel sehr gut zu sich finden.“

      „Das kann ich nur bestätigen. Wenn man sich von dem ganzen Urlaubstrubel fernhält, ist Mallorca der perfekte Platz zum Entschleunigen“, bestätigte Carola Pütz.

      Oliver Hell strich sich über die Narbe auf der Stirn, die ihn immer an die in Todesangst verbrachten Stunden erinnerte, als er sich in der Gewalt von Mashad Rahman Agayer befunden hatte. Dort hatte ihn einer der Männer aus der Bande beinahe totgeschlagen. Hell hatte nur überlebt, weil Lea Rosin ihn aus der Gewalt der Gangsterbande befreite. Dabei brachte sie sich selbst in Lebensgefahr. Das Schicksal hatte zwischen ihm und der jungen Kommissarin ein unsichtbares Band geknüpft.

      „Wendt hat sich heute bei mir gemeldet und mir berichtet, dass es eine neue Polizeipräsidentin in Bonn gibt. Die Dame hat sich schon mit Brigitta Hansen angelegt. Unter anderem stört sie ganz gewaltig, dass ich hier auf der Insel hocke und weiter meine vollen Bezüge erhalte. Sie möchte, dass ich mich erneut von der Polizeipsychologin untersuchen lasse. Entweder werde ich dann in den vorzeitigen Ruhestand geschickt oder ich bin wieder diensttauglich“, berichtete Hell bedrückt und hob den Kopf. Franziska vermutete, dass er gegen die Tränen ankämpfte, drückte seine Hand.

      „Also ist deine Zeit hier bald abgelaufen?“, fragte Carola.

      „Ja, die Tatsache, dass Ron Baum in Bonn herumläuft und mein Team alleine mit ihm fertig werden muss, ist ja schon belastend genug. Jetzt kommt auch noch diese neue Tusse dazu und macht Stress. Als wäre das alles nicht schon genug.“

      Dann schwieg er eine Weile.

      Carola stieß ein kleines Lachen aus. „Ist doch alles ganz einfach. Du musst diese Tusse …“, dabei stieß sie ein weiteres Lachen aus, „wenn man sie so nennen darf, nur davon überzeugen, dass deine innere und äußere Landschaft wieder in Einklang sind. Dann ist wieder alles in Ordnung.“

      „Auf die inneren und äußeren Landschaften“, antwortete Hell und hob spontan sein Glas. „Heute werden wir keine Lösung mehr finden, aber vielleicht doch, wenn wir noch mehr von diesem köstlichen Wein trinken.“

      Carola lachte herzlich. „Der Weinkeller ist gut gefüllt. Und die Nacht kann lang werden, wenn ihr beiden wollt!“

      *

      Bonn

      Das Zimmer war in gespenstisches Dunkel gehüllt. Auf der Kommode, auf dem das Foto ihres Vaters Ivan Mladic stand, brannten jetzt unzählige Kerzen. Zu Ehren von Janko. Daneben stand ein Foto des jungen Mannes. Davor hockte Neven und betete. Für seinen toten Bruder. Für die Rache. Hinter ihm im Halbdunkel saßen seine Schwester und seine Schwägerin auf dem Sofa. Ihre verheulten Gesichter waren geschwollen, ihre Augen sahen ungefähr dreimal so verheult aus wie am frühen Mittag, als er sie zuletzt gesehen hatte. Neven war vor ein paar Minuten erst wieder nachhause gekommen. Seine Schwester wollte von ihm wissen, wo er gewesen war. Neven schwieg.

      „Wir haben den ganzen Nachmittag auf dich gewartet, Neven. Wo warst du? Wir müssen alles für Jankos Beerdigung regeln und du bist nicht zu erreichen. Was soll das?“, rief sie ihm zu, als er sich nach dem Gebet bekreuzigte.

      „Wir hatten etwas zu erledigen. Das duldete keinen Aufschub, Schwester.“

      „Etwas zu erledigen? Was gibt es denn momentan Wichtigeres als Jankos Beerdigung? Ich verstehe dich nicht. Du lässt uns hier alleine, drüben liegt Mutter und fragt nach Janko. Ich weiß nicht, was ich ihr noch sagen soll“, antwortete sie beinahe flehend.

      „Wir müssen ihr bald die Wahrheit sagen. Spätestens, wenn wir unseren Bruder zu Grabe tragen, wird sie es erfahren“, stieß Neven bitter hervor.

      „Du weißt, dass Mutter das nicht überlebt.“

      „Und wenn wir es ihr heute gesagt hätten, was denkst du, was dann passiert wäre? Glaubst du, es wäre besser, wenn wir zwei Beerdigungen auf einmal hinter uns bringen müssten!“

      Jasna Mladic atmete gegen ihre wieder aufsteigenden Tränen an.

      „Neven,

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