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Dazu gehört auch eine entsprechende Medikation. Viele der gefährlichen Verbrecher, die dort einsaßen, wurden mit Medikamenten ruhig gestellt. Was nicht heißt, dass man sie komplett weggebeamt hätte, nein, sie waren nur soweit ruhiggestellt, dass sie für keinen zur Gefahr werden konnten.

      „Hat er seine Medikamente bekommen? Ich meine die, die er für die Narkolepsie verabreicht bekommt“, fragte Meinhold.

      „Ja, die hat er erhalten“, antwortete Ohnesorge verhalten, in dem Wissen, dass Meinhold sofort nachhaken würde. So kam es auch.

      „Und? Hat er die Medikamente auch am Fluchttag erhalten und wenn ja, welche?“

      „Er hat sein Modafinil morgens erhalten, so wie jeden Tag“, sagte Ohnesorge kleinlaut.

      „Wir hatten angefragt, ob sie Kontingente dieses Medikaments vermissen. Hat Baum dieses Modafinil gestohlen?“, klinkte sich Wendt wieder ein.

      Ohnesorge ließ den Blick sinken, dann antwortete er kleinlaut: „Wir vermissen drei Packungen des Medikaments.“

      „Drei Packungen? Wie lange kommt er damit aus, wenn er seine normale Dosis erhält?“, hakte Wendt sofort nach.

      „Wenn er sich strikt an die Medikation hält, dann circa drei Wochen.“

      „Und wenn er überdosiert?“, fragte Meinhold skeptisch.

      „Warum sollte er das tun?“

      „Weil er auf der Flucht ist und weil er krampfhaft versuchen wird, wach zu bleiben. Er hat einen Plan, den er umsetzen will. Daher …“

      „Das kann er nicht tun, das ist gesundheitsgefährdend, wenn er zum Beispiel nur die doppelte Dosis nimmt“, gab Ohnesorge zu bedenken. Wendt zog verächtlich die Augenbrauen hoch. Hatte dieser Arzt überhaupt eine Ahnung, wen er in seiner Klinik behandelte? Er wollte schon loswettern, doch Meinhold blieb sachlich.

      „Dieses Risiko muss er eingehen, er kann es nicht riskieren, irgendwo einzuschlafen und deshalb aufzufallen.“

      „Das bedeutet, wenn du Recht hast, Christina, dann kann er zwischen einer Woche und zehn Tagen mit den gestohlenen Medikamenten auskommen“, sagte Wendt mit einem Seitenblick zu seiner Kollegin.

      „Die empfohlene Tagesdosis beträgt 200 mg bis 400 mg, beginnend mit 200 mg und entsprechend dem klinischen Ansprechen titriert. Modafinil kann, je nach ärztlicher Einschätzung des Patienten und dessen Ansprechen, in zwei geteilten Dosen am Morgen und zu Mittag oder als Einzeldosis am Morgen eingenommen werden“, zitierte Ohnesorge, und es klang, als würde er vom Beipackzettel ablesen.

      „Was hat Baum bekommen? Wie viele Pillen?“, fragte Wendt genervt.

      „Er hat morgens und abends jeweils zwei Tabletten erhalten, das macht eine Medikation von 400 mg pro Tag.“

      „Und wenn er sich mehr von dem Zeug reinhaut, wie lange kommt er dann damit aus, was er geklaut hat? Wir müssen wissen, wann der Kerl sich neuen Stoff besorgen muss, damit er nicht mitten in seinem Racheplan einschläft“, sagte Wendt. „Die drei Packungen beinhalten 60 Tabletten. Wenn er …“, wollte Ohnesorge erläutern, doch Wendt unterbrach ihn. „Damit käme er also 15 Tage aus, wenn er sich die doppelte Dröhnung gibt, nur die Hälfte der Zeit. Wir haben also nach einer Woche eine tickende Zeitbombe hier in Bonn herumlaufen, die jederzeit eine Apotheke oder ein Krankenhaus überfallen kann, um sich neuen Stoff zu besorgen. Na, vielen Dank dafür, Herr Doktor“, versetzte Wendt und der Arzt wollte schon zu einer Widerrede ansetzen, doch dazu kam er nicht. Mit offenem Mund musste er sich die nächste Schelte des Polizisten anhören. „Die Staatsanwaltschaft ist sicher sehr daran interessiert, Ron Baums Flucht aufzuklären. Dazu kommt noch die Möglichkeit, sich in Ihrer Klinik jederzeit frei am Medikamentenschrank zu bedienen. An Ihrer Stelle würde ich schon einmal die Anwälte der Klinik antanzen lassen. Die werden Sie benötigen.“

      Meinhold war die Angriffslust ihres Kollegen peinlich. „Jan-Phillip, lass gut sein!“

      Doch Wendt war wieder ganz Krieger und undiplomatisch wie eh und je.

      „Was? Lass gut sein? Wenn die hier nicht in der Lage sind, ihren Job ordentlich zu machen, dann müssen sie es sich gefallen lassen, das man es ihnen sagt, oder? Wenn einer unschuldigen Seele auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann sehen wir uns persönlich wieder, Herr Doktor!“

      „Drohen Sie mir? Das wird die Bonner Staatsanwaltschaft sicher auch gerne hören“, zischte Ohnesorge zurück und krallte sich wütend mit den Fingern in die Lehne seines Sessels.

      „Hmh, sehen Sie das so, wie Sie es sehen möchten. Fragt sich, was schwerer wiegt, Ihre Inkompetenz oder meine Aufgebrachtheit darüber. Die Antwort darauf dürfen Sie sich selber geben“, sagte er und stand auf. Der Arzt funkelte ihn gefährlich an.

      „Ich bin hier fertig, kommst du mit? Mir wird sonst schlecht, wenn ich noch länger diese Luft hier einatme“, rief er und war schon auf dem halben Weg zur Tür. Meinhold sah keine Chance, Wendt zu beruhigen, und, obwohl sie dem Arzt noch gerne ein paar Fragen gestellt hätte, stand auch sie auf. Warf Ohnesorge einen entschuldigenden Blick zu und ging ihrem Kollegen hinterher. Draußen vor der Tür atmete sie gegen ihren eigenen Groll an. Sie hatte gehofft, dass Wendt mit zunehmendem Alter ruhiger bei solchen Vernehmungen geworden wäre. Doch das war ein Trugschluss. Und ihr war bewusst, dass sie jetzt besser kein Streitgespräch mit ihm begann. Doch nach ein paar Metern blieb Wendt stehen, sah sie herausfordernd an. „Jetzt sag auch mal was dazu“, forderte er sie auf. Meinhold zögerte mit einer Antwort. Wendt witterte sofort Kritik, schob die Augenbrauen zusammen. „Was? Denkst du etwa, dass die Weißkittel für den Bockmist, den sie verzapft haben, nicht mal einen Anschiss verdient haben?“

      Meinhold schüttelte energisch den Kopf.

      „Darum geht es nicht, Jan-Phillip. Wir sind hier, um Informationen über Baum zu erhalten. Wie er sich während der Zeit in dieser Klinik entwickelt hat. Was er mit den Ärzten gesprochen hat, was er den anderen Insassen gegenüber geäußert hat. Das wollten wir wissen und durch deine Unbeherrschtheit haben wir jetzt keinen Schimmer, ob der einem der anderen Patienten gegenüber seine Pläne offenbart hat. Das hast du echt gut hinbekommen!“, antwortete sie und ließ ihn stehen.

      „Geh doch zurück zu deinem Doktor und plaudere mit ihm über dein Psychogelaber“, rief Wendt ihr nach. Meinhold drehte sich auf dem Absatz um, kam auf ihn zu. Mit einem gefährlichen Funkeln in ihren bernsteinfarbenen Augen erwiderte sie: „Weißt du was, das werde ich auch tun. Und du wartest schön beim Auto auf mich. Und wehe dir, du bist nachher verschwunden!“, sagte sie bestimmt und tippte dem verwunderten Wendt mit zwei Fingern auf die Brust.

      *

      Reichlich zerknirscht fand sie eine Stunde später den Kollegen neben dem Dienstwagen vor.

      „Tut mir echt leid, das war nicht so gemeint“, sagte Wendt und blinzelte zu ihr herüber. Die Regenwolken hatten sich wieder komplett verzogen, der Himmel war strahlend blau.

      „Was denn? Das Psychogelaber oder deine unverschämte Art mit dem Arzt zu reden?“

      „Beides. Machst du jetzt ein großes Fass auf deswegen?“

      Meinhold drückte auf die Funkfernbedienung und die Türen des BMW öffneten sich mit einem Klick. Sie stieg ein und wartete, bis Wendt neben ihr saß.

      „Weißt du was? Ich habe mich sehr darauf gefreut, wieder ins Team zurückzukehren. Ich habe euch alle vermisst. Aber jetzt frage ich mich allerdings, ob ich da einer romantischen Verklärung aufgesessen bin. Du benimmst dich wie Rambo und Klauk spielt mit einem Dalmatiner, anstatt eine ordentliche Befragung eines Zeugen abzuliefern. Was ist mit euch los? Fehlt euch der Chef oder habt ihr alle einen Koller?“

      Meinhold startete den Motor und wartete gar nicht lange auf eine Antwort. Wendt starrte eine Weile vor sich hin.

      „Hell fehlt mir, keine Frage, und was mit Klauk los ist, weiß ich nicht. Es ist mir ebenfalls aufgefallen, dass er teilweise merkwürdig abwesend wirkt. Aber das ist jetzt nicht so wichtig, was hat der Arzt gesagt?“

      Meinhold saß da, ihm das Gesicht

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