ТОП просматриваемых книг сайта:
Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
62
Lassen sich Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit einer Produktionskooperation nicht ausschließen, kommt aufgrund der mit Produktionskooperationen regelmäßig verbundenen objektiven Effizienzvorteile häufig eine Freistellung vom Kartellverbot in Betracht. Produktionskooperationen ermöglichen es oft, günstiger zu produzieren, weil mit steigender Stückzahl die Grenzkosten des Outputs sinken.[124] Zudem kann die gemeinsame Produktion durch die Bündelung des Know-how der beteiligten Unternehmen die Produktqualität verbessern.[125]
63
Da die Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB in der Praxis mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden ist, weil die kooperierenden Unternehmen die unbestimmten Freistellungsvoraussetzungen selbst beurteilen und im Zweifelsfall nachweisen müssen, hat die Europäische Kommission bestimmte Formen von Produktionskooperationen in der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“)[126] geregelt. Diese bildet einen verbindlichen Rechtsrahmen auch im deutschen Recht (vgl. § 2 Abs. 2 GWB), der im Rahmen seiner Voraussetzungen eine rechtssichere Gestaltung von Produktionskooperationen ermöglicht.
64
Die Spezialisierungs-GVO erfasst neben bestimmten Formen der Spezialisierung, bei denen einer der Kooperationspartner (oder beide gegenseitig in Bezug auf unterschiedliche Produkte) die Produktion bestimmter Produkte einstellt und diese künftig beim anderen Kooperationspartner bezieht, auch die gemeinsame Produktion (Art. 1 Abs. 1 lit. a bis d Spezialisierungs-GVO). Vereinbarungen über die einseitige oder gegenseitige Spezialisierung oder die gemeinsame Produktion sind vom Kartellverbot freigestellt, wenn der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf den von der Kooperation betroffenen Märkten 20 % nicht übersteigt (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Spezialisierungs-GVO). Die Vereinbarungen dürfen jedoch insbesondere nicht zu Markt- bzw. Kundenzuweisungen oder Absatzbeschränkungen führen, z.B. indem eine der Parteien nicht nur (im Rahmen der Spezialisierung) von der Produktion der betroffenen Produkte absieht, sondern sich ganz als Anbieter dieser Produkte vom Markt zurückzieht (Art. 4 lit. b und c Spezialisierungs-GVO). Aus diesem Grund müssen die Parteien Liefer- und Bezugsverpflichtungen vereinbaren, um sicherzustellen, dass beide Parteien als Anbieter auf dem Markt erhalten bleiben (Art. 1 Abs. 1 lit. b und c, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO). Die Parteien können die von der Kooperation erfassten Produkte aber auch gemeinsam vertreiben (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. q, Art. 4 lit. a, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO).
4. Arbeitsgemeinschaften
65
Kooperieren Unternehmen z.B. in Form von Bieter-, Projekt- bzw. Arbeitsgemeinschaften, Konsortien oder Subunternehmerverträgen bei der Abgabe eines Angebots bzw. der Durchführung eines Auftrags, kann hierdurch Wettbewerb nicht nur beschränkt, sondern im Gegenteil unter bestimmten Voraussetzungen auch erweitert oder erst ermöglicht werden. Das betrifft vor allem, aber nicht ausschließlich, Kooperationen kleiner oder mittlerer Unternehmen.[127] Können die kooperierenden Unternehmen sich objektiv nicht unabhängig voneinander an einer Ausschreibung, einem Auftrag oder Projekt beteiligen, weil ihnen hierzu individuell etwa die Kapazitäten, das Know-how, die technischen Möglichkeiten oder die Finanzkraft fehlen, handelt es sich jedenfalls in Bezug auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt nicht um potentielle Wettbewerber.[128]
66
Die Kooperation als solche kann keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, wenn sie die Unternehmen erst in die Lage versetzt, sich am Wettbewerb um den Auftrag oder das Projekt zu beteiligen. An einer Wettbewerbsbeschränkung mangels potentiellem Wettbewerbsverhältnis zwischen den kooperierenden Unternehmen fehlt es somit nicht nur, wenn Unternehmen unterschiedlicher Branchen oder Gewerke kooperieren,[129] sondern auch, wenn es sich um Unternehmen auf demselben relevanten Markt handelt, die den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt aber objektiv nicht allein durchführen können.[130]
67
Dieser sog. Arbeitsgemeinschafts- oder Markterschließungsgedanke,[131] wonach die Kooperation als solche keine Wettbewerbsbeschränkung begründet und somit schon nicht unter das Kartellverbot fällt, wenn die kooperierenden Unternehmen den Auftrag bzw. das Projekt, worauf sich die Kooperation bezieht, nach objektiven Kriterien nicht unabhängig voneinander durchführen könnten, ist in der Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission anerkannt.[132] Auch die (einzelfallgeprägte und bisher nicht ausdrücklich verallgemeinerte) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich in diesem Sinne auslegen.[133]
68
Anerkannt ist der Arbeitsgemeinschaftsgedanke auch in der deutschen Rechtspraxis.[134] Die von der deutschen Rechtsprechung an die Zulässigkeit von Arbeitsgemeinschaften gestellten Anforderungen sind geringer als diejenigen im europäischen Recht. Die deutsche Rechtsprechung prüft Arbeitsgemeinschaften nicht streng unter dem Gesichtspunkt der Markterschließung. Es soll nicht darauf ankommen, ob die an der Arbeitsgemeinschaft beteiligten Unternehmen objektiv in der Lage wären, den Auftrag auch unabhängig voneinander durchzuführen, sondern darauf, ob die selbstständige Angebotsabgabe bzw. Auftragsdurchführung wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig wäre.[135] Ist Letzteres nicht der Fall, soll die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, weil nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass Unternehmen sich individuell nur dann an einer Ausschreibung oder einem Projekt beteiligen, wenn dies wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig ist.[136]
69
An einer Wettbewerbsbeschränkung fehlt es nach der deutschen Rechtsprechung somit nicht erst, wenn die Arbeitsgemeinschaft die beteiligten Unternehmen überhaupt in die Lage versetzt, ein Angebot abzugeben bzw. den Auftrag durchzuführen, sondern schon dann, wenn sie den beteiligten Unternehmen ermöglicht, ein erfolgversprechendes Angebot abzugeben.[137] Maßgeblich ist insoweit die subjektive Beurteilung der beteiligten Unternehmen, die von den Gerichten im Rahmen einer Gesamtwürdigung auf Grundlage objektiver Faktoren darauf überprüft wird, ob sie sich im Rahmen eines wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns bewegt.[138] Den beteiligten Unternehmen wird bei der Bildung einer Arbeitsgemeinschaft somit eine Einschätzungsprärogative zuerkannt, die auf ihre Vertretbarkeit hin kontrolliert wird.[139]
70
Das Bundeskartellamt hat diese Rechtsprechung schon früh kritisiert, weil sie den Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der kaufmännischen Vernunft einen nur eingeschränkt überprüfbaren Spielraum bei der Bildung von Arbeitsgemeinschaften einräumt und kaufmännisch vernünftiges Verhalten sich nicht zwingend mit wettbewerbskonformem Verhalten decken muss.[140]
71
Nach Auffassung des Bundeskartellamtes soll die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft daher nur dann keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. | Keines der beteiligten Unternehmen ist im Hinblick auf den konkreten Auftrag bzw. das konkrete Projekt alleine leistungsfähig, |
2. | die konkrete Zusammenarbeit stellt eine im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Unternehmensentscheidung dar und |
3. |
erst die Kooperation ermöglicht ein
|