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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Als zweite Voraussetzung für eine Einzelfreistellung bedarf es einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher an den entstehenden Gewinnen. Diese Voraussetzung wird sehr weit ausgelegt. Nach den Gesamtumständen muss anzunehmen sein, dass die Unternehmen die positiven Wirkungen der Vereinbarung auch an die Verbraucher weitergeben. Unter „Verbrauchern“ sind hier alle Dritte im Gegensatz zu den Parteien der Vereinbarung, in erster Linie also sämtliche unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer der Parteien zu verstehen. „Gewinn“ ist jeder wirtschaftliche Vorteil für die Abnehmer. Die Beteiligung ist angemessen, wenn die positiven Auswirkungen der Vereinbarung die negativen Auswirkungen, die den Verbrauchern durch die Wettbewerbsbeschränkung entstehen, mindesten ausgleichen.[70] Es genügt, wenn die günstigen Auswirkungen für die Mehrzahl der Verbraucher auf dem relevanten Markt spürbar werden; die Vorteile müssen aber nicht für jeden einzelnen Verbraucher eintreten.[71]
cc) Unerlässlichkeit
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Des Weiteren ist erforderlich, dass den beteiligten Unternehmen keine Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung der positiven Ziele, d.h. die Erreichung der Effizienzgewinne, nicht unerlässlich sind. Das bedeutet, dass die Vorteile ohne die Wettbewerbsbeschränkung in dieser Form nicht erreichbar sein dürfen.[72] Weniger einschneidende Mittel, die dieselben wirtschaftlichen Vorteil erzielen würden, dürfen nicht zur Verfügung stehen. An der Unerlässlichkeit fehlt es, wenn die Wettbewerbsbeschränkung an sich unnötig oder untauglich oder im Verhältnis zu den erreichten Vorteilen unverhältnismäßig ist. Hierfür ist insbesondere auch die Qualität der Wettbewerbsbeschränkungen von Bedeutung. So erfüllen Kernbeschränkungen, wie etwa unzulässige Preisbindungen i.S.d. Vertikal-GVO, regelmäßig nicht das Kriterium der Unerlässlichkeit.[73]
dd) Keine Ausschaltung wesentlichen Wettbewerbs
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Die letzte Voraussetzung für eine Einzelfreistellung ist erfüllt, wenn den beteiligten Unternehmen keine Möglichkeit eröffnet wird, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte den Wettbewerb auszuschalten. Ziel dieser Voraussetzung ist, dass ungeachtet der Freistellung auf jedem Markt der Union ein funktionsfähiger Wettbewerb erhalten bleiben muss, der dazu in der Lage ist, seine elementare Steuerungs- und Koordinierungsfunktion zu erfüllen. Die Erzielung von Effizienzgewinnen um den Preis des Ausschlusses von Wettbewerb ist nicht zulässig.[74] Hierfür sind die Verhältnisse auf den – zunächst abzugrenzenden – Märkten zu prüfen, wobei die Marktanteile der beteiligten Unternehmen und ihrer Wettbewerber sowie der Abstand zwischen diesen eine wesentliche Rolle spielen.[75] Während Marktanteile von 20 bis 30 % im Anschluss an verschiedene GVO i.d.R. noch unbedenklich sind, gelten Marktanteile über 40 % durchweg als kritisch. Führt die Wettbewerbsbeschränkung zum Entstehen oder zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, so scheidet eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 Abs. 1 GWB aus.[76] Auf einen Missbrauch dieser Stellung kommt es dann nicht mehr an.
a) Zivilrechtliche Folgen
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Verträge und Beschlüsse, die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen und nicht gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV oder über eine GVO vom Kartellverbot freigestellt sind, sind gem. Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. Abgestimmte Verhaltensweisen werden von der zivilrechtlichen Rechtsfolge nicht erfasst, da sie keinen rechtsgeschäftlichen Charakter haben; sie sind nur verboten. Die Nichtigkeit von gegen § 1 GWB verstoßenden Verträgen und Beschlüssen ergibt sich aus § 134 BGB, da § 1 GWB ein gesetzliches Verbot ist. Die Nichtigkeit wirkt ex tunc, ipso iure ohne dass es einer Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde bedarf und absolut, also für und gegen jedermann. Die Nichtigkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Beschlüsse betrifft jedoch immer nur diejenigen Klauseln, die konkret gegen das Kartellverbot verstoßen, während diejenigen Vertragsbestimmungen, die sich von den nichtigen trennen lassen, grundsätzlich wirksam bleiben.[77] Das rechtliche Schicksal der übrigen Vereinbarung, insbesondere die Frage nach der Gesamtnichtigkeit, sind nach dem nationalen Zivilrecht zu beurteilen, in Deutschland also insbesondere nach § 139 BGB. Danach ist, wenn ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist, das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Daraus folgt, dass im Zweifel die gesamte Vereinbarung oder der gesamte Beschluss nichtig ist. Zur Vermeidung einer solchen Gesamtnichtigkeit empfiehlt sich daher in der Vertragspraxis die Aufnahme so genannter salvatorischer Klauseln, die bestimmen, dass durch die Nichtigkeit einzelner Vertragsbestimmungen, die Wirksamkeit der anderen Bestimmungen nicht berührt werden soll. Diese lassen sich durch sog. Ersetzungsklauseln ergänzen, die regeln, dass nach dem Willen der Beteiligten an die Stelle des nichtigen Teils eine Regelung treten soll, die der nichtigen Regelung wirtschaftlich gleichwertig ist. Die Parteien sind dann verpflichtet, den Vertrag so anzupassen, dass er nicht mehr gegen das Kartellverbot verstößt. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH sollen salvatorische Klauseln allerdings nur noch eine Beweislastumkehr zugunsten desjenigen bewirken, der sich auf die Wirksamkeit des Restvertrages beruft.[78] Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Gesamtnichtigkeit des Vertrages diejenige Partei trifft, die sich entgegen der salvatorischen Klausel auf die Gesamtnichtigkeit des gesamten Vertrages beruft.
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Die Nichtigkeit erfasst bei einem Verstoß gegen das Kartellverbot neben dem eigentlichen Kartellvertrag auch die sog. Ausführungsverträge zwischen Kartellmitgliedern und Dritten zur Durchführung oder Verstärkung der Wettbewerbsbeschränkung. Die Verträge, die die Kartellmitglieder in Umsetzung des verbotenen Kartells mit unbeteiligten Dritten schließen, wie z.B. Lieferverträge aufgrund verbotener Preisabsprachen, bleiben dagegen als sog. Folgeverträge voll wirksam.[79]
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Die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen Dritter aufgrund von Kartellverstößen richtet sich stets nach den nationalen Rechtsvorschriften, nicht nach europäischem Recht. In Betracht kommen insoweit vor allem Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung und – im Falle eines Verschuldens – auf Schadensersatz. Im deutschen Recht ist Anspruchsgrundlage hierfür § 33 GWB (Beseitigung und Unterlassung) bzw. § 33a GWB (Schadensersatz). Die Bedeutung der privatrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts im Zusammenhang mit der Geltendmachung von sog. follow-on-Schadensersatzklagen gegen Mitglieder eines Kartells hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Dies hat inzwischen dazu geführt, dass für die an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmen das finanzielle Risiko von behördlichen Bußgeldern von dem hinzutretenden Risiko von Schadenersatzforderungen der Kunden leicht in den Schatten gestellt wird. Wegen der Einzelheiten zum Kartellschadensersatz sei auf das 15. Kap. dieses Buches verwiesen. In Betracht kommen zudem auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB wegen der Rückabwicklung nichtiger bzw. wegen arglistiger Täuschung durch die Kartellmitglieder angefochtener Vereinbarungen.
b) Verwaltungsrechtliche Folgen
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Verwaltungsrechtlich können die Kartellbehörden die beteiligten Unternehmen dazu verpflichten, eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot abzustellen. Das Verwaltungsverfahren der Kommission richtet sich dabei nach der VO (EG) Nr. 1/2003, das der deutschen Kartellbehörden nach § 32 Abs. 1, 2 GWB. Ein Verschulden der Unternehmen ist – anders als im Bußgeldverfahren – nicht erforderlich. Soweit ein berechtigtes Interesse besteht, können die Kartellbehörden auch die Kartellrechtswidrigkeit einer Maßnahme im Nachhinein feststellen, nachdem diese beendet wurde. Im deutschen Recht kann die Kartellbehörde in der Abstellungsverfügung die zuwiderhandelnden Unternehmen zu einer Rückerstattung der aus der Zuwiderhandlung erwirtschafteten Vorteile an die Abnehmer verpflichten