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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
cc) Bezwecken oder bewirken
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Die festgestellte Wettbewerbsbeschränkung muss entweder der Zweck oder die Wirkung der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise sein. Die beiden Möglichkeiten stehen gleichberechtigt nebeneinander, so dass es für einen Kartellverstoß genügt, wenn die Wettbewerbsbeschränkung entweder bezweckt oder bewirkt wurde. Unabhängig davon wird der Zweck der Handlung in der Rechtspraxis stets zuerst geprüft. Liegt eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vor, so ist eine Folgenprüfung auf etwaige wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen auf dem Markt entbehrlich.[46] Auch die Spürbarkeit muss nicht mehr gesondert festgestellt werden, denn eine bezweckt Wettbewerbsbeschränkung gilt immer als „spürbar“.[47] Damit können sich Unternehmen, die eine Absprache mit dem Ziel der Beschränkung des Wettbewerbs treffen, nicht darauf berufen, dass diese nicht ausgeführt wurde oder sich tatsächlich gar nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt habe. Aus diesem Grund ist der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung nach der Rechtsprechung eng auszulegen.[48]
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Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung liegt dann vor, wenn der Inhalt des Beschlusses oder der Vereinbarung bereits seinem Wesen nach geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken.[49] Hierbei handelt es sich um Beschränkungen, die ein derart großes Potential für negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, dass es für die Anwendung des Kartellverbots nicht notwendig ist, deren tatsächliche Auswirkungen im Markt nachzuweisen. Als Absprachen, die eine Wettbewerbsbeschränkungen schon ihrer Art nach bezwecken, gelten insbesondere solche, die in den Gruppenfreistellungsverordnungen und den Leitlinien der Kommission als Kernbeschränkungen (sog. Hardcore-Beschränkungen) eingestuft werden.[50] Dies sind auf horizontaler Ebene vor allem Preisabsprachen, Beschränkungen der Produktionsmenge und die Aufteilung von Märkten oder Kunden. Bei der Prüfung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt ist, kommt es nach der Rechtsprechung vor allem auf den Inhalt des Beschlusses bzw. der Vereinbarung sowie die damit verfolgten Ziele und den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang an, in dem diese stehen. Der Nachweis einer Absicht der Beteiligten, den Wettbewerb zu beschränken, ist dagegen keine notwendige Voraussetzung für einen wettbewerbsbeschränkenden Zweck, kann aber als Indiz hierfür herangezogen werden.[51] Eine Einzelfreistellung bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, § 2 Abs. 1 GWB kommt regelmäßig nicht in Betracht.
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Lässt sich ein wettbewerbsbeschränkender Zweck der Maßnahme nicht feststellen, ist der Tatbestand des Kartellverbots nur dann erfüllt, wenn hierdurch eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wird. Im Mittelpunkt steht die Frage der Auswirkungen auf Dritte, d.h. der Eingriff in die wirtschaftliche Handlungs- oder Bewegungsfreiheit Dritter.[52] Bei der hierfür erforderlichen Prüfung sind die tatsächlichen wie auch die potentiellen Auswirkungen der Maßnahme zu berücksichtigen. Eine Vereinbarung bewirkt dann eine Wettbewerbsbeschränkung, wenn sie spürbare negative Auswirkungen auf mindestens ein Wettbewerbsparameter des Marktes hat, wie z.B. auf den Preis, die Produktionsmenge, die Produktqualität, die Produktvielfalt oder die Innovation.[53] Für die Beurteilung wettbewerbswidriger Auswirkungen kommt es insbesondere auf die Wettbewerbssituation an, wie sie ohne die Vereinbarung bzw. den Beschluss und den damit verbundenen Beschränkungen bestanden hätte.[54] Hierbei kann allerdings kein sicherer Nachweis gefordert werden. Vielmehr sind nur die natürlichen oder wahrscheinlichen Folgen der Maßnahme zu ermitteln, wobei auch potentielle Auswirkungen zu berücksichtigen sind.
dd) Spürbarkeit
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Nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Praxis enthält das Kartellverbot als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Erfordernis der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung.[55] Mit dieser De-minimis-Regel sollen Bagatellkartelle im weitesten Sinne vom Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgenommen werden. Vielmehr ist erforderlich, dass von der Wettbewerbsbeschränkung erkennbare Auswirkungen auf Dritte im Sinne der Beeinträchtigung der ihnen bei Wettbewerb offenstehenden Handlungsalternativen ausgehen müssen. Die Eignung zur Beeinträchtigung genügt dabei. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen wie etwa Preis-, Quoten- und Gebietsabsprachen sind ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen stets spürbare Beschränkungen des Wettbewerbs,[56] so dass die Spürbarkeit in der Praxis nur bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen zu prüfen ist. Wichtiges Kriterium für die Ermittlung der Spürbarkeit ist neben Größe und Marktstellung der beteiligten Unternehmen ihr Marktanteil. Bei Marktanteilen von rund 5 % oder mehr wird meistens die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung bejaht, sie kann aber, z.B. bei starker Stellung, auch schon bei Marktanteilen von 3 % gegeben sein.[57]
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Sowohl Kommission als auch Bundeskartellamt haben De-minimis-Bekanntmachungen erlassen, in denen die Behörden Kriterien festgelegt haben, ab wann eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme als nicht spürbar anzusehen ist. Die Spürbarkeitsschwelle liegt danach bei (horizontalen) Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern bei einem Marktanteil von insgesamt 10 %, während sie bei (vertikalen) Vereinbarungen bei 15 % bei jedem Unternehmen liegt.[58] Wird ein kumulativer Marktabschottungseffekt infolge nebeneinander bestehender Netze von Vereinbarungen mit ähnlichen Effekten auf dem Markt erzielt, so sinkt die Spürbarkeitsschwelle auf einheitlich 5 % für alle Formen von Vereinbarungen (sog. Bündeltheorie). Keine Anwendung finden die De-minimis-Bekanntmachungen für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen. Den Bekanntmachungen kommt zwar keine Außenrechtswirkung zu, sie führen aber zu einer Selbstbindung der Verwaltung in Bezug auf das Aufgreifermessen sowie bei der Festsetzung von Geldbußen, da sich die Behörden darin verpflichtet haben, gegen Kartelle, die unter den Schwellenwerten bleiben, weder von Amts wegen noch auf Antrag einzuschreiten.[59]
3. Freistellung vom Kartellverbot
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Ein Verstoß gegen das Kartellverbot sowohl des deutschen als auch des europäischen Rechts scheidet aus, wenn die Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot gegeben sind. Es gilt das Prinzip der Legalausnahme: Verhaltensweisen, die den Tatbestand des Kartellverbots verwirklichen, sind ipso iure, d.h. automatisch von Gesetzes wegen freigestellt, wenn sie entweder die Voraussetzungen einer Gruppenfreistellungsverordnung erfüllen oder im Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen für eine (Einzel-)Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB. Das deutsche Kartellrecht kennt zusätzlich noch – abweichend vom Unionsrecht – eine besondere Freistellungsnorm für sog. Mittelstandskartelle (§ 3 GWB). Einer vorherigen Anmeldung der Verhaltensweise bei einer Wettbewerbsbehörde und einer Entscheidung dieser bedarf es nicht. Damit sind die Unternehmen zwar – anders als etwa bei Unternehmenszusammenschlüssen – vom bürokratischen Aufwand von Anmeldungen entlastet. Ihnen obliegt aber eine wesentlich höhere Eigenverantwortlichkeit in Bezug auf ihr Handeln im Wettbewerb verbunden mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit (sog. Selbstveranlagung“). In der Praxis empfiehlt es sich zunächst zu prüfen, ob die fragliche Verhaltensweise durch eine Gruppenfreistellungsverordnung („GVO“) freigestellt ist. Denn den GVO kommt die Rolle eines „sicheren Hafens“ („safe harbour“) zu. Wird eine Verhaltensweise von einer GVO erfasst und hält deren Vorgaben ein, müssen die Parteien nicht mehr nachweisen, dass ihre individuellen, vertraglichen Beschränkungen sämtliche, z.T. komplexen Voraussetzungen des Art.