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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
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Des Weiteren misst die Kommission auch dem Alter der Daten und dem Zeitraum, auf den sich diese beziehen, eine erhebliche Bedeutung zu. Dabei gilt der Grundsatz, dass der Austausch strategischer Informationen desto eher dazu geeignet ist eine Wettbewerbsbeschränkung zu bewirken, je aktueller die Daten sind. Von der Aktualität geht die Kommission nicht nur bei täglichen, wöchentlichen und monatlichen, sondern im Einzelfall auch noch bei vierteljährlichen Meldungen aus.[194] Demgegenüber soll der Austausch historischer Daten die länger zurückliegende Sachverhalte betreffen, generell nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, weil er sich nicht auf das künftige Verhalten der Unternehmen auswirken kann. Allerdings gibt es keine feste Schwelle, ab der Daten zu historischen Daten werden. In ihrer früheren Praxis hat die Kommission die Auffassung vertreten, dass der Austausch individueller Daten, die älter sind als ein Jahr, als ein Austausch historischer Daten und somit als nicht wettbewerbsbeschränkend anzusehen ist, während Informationen, die weniger als ein Jahr alt sind, stets als aktuell erachtet wurden.
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Die Zugänglichkeit der Daten ist ein weiteres Kriterium für die Zulässigkeit eines Informationsaustausches. Denn der Austausch echter öffentlicher Informationen, d.h. von Informationen zu denen alle Wettbewerber und Kunden im Hinblick auf die Zugangskosten gleichermaßen leicht Zugang haben, verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV.[195] Darüber hinaus soll es auch auf die Frequenz des Austausches ankommen, d.h. wie häufig die Daten ausgetauscht werden, denn je häufiger der Austausch stattfindet, desto schneller können Wettbewerber auf relevante Informationen reagieren.
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Das Bundeskartellamt und die deutsche Rechtsprechung sehen einen Informationsaustausch unter Wettbewerbern dann als wettbewerbsbeschränkend i.S.v. § 1 GWB an, wenn es hierdurch zu einer Beschränkung des sog. Geheimwettbewerbs kommt.[196] Die herkömmliche deutsche Rechtspraxis unterscheidet hierbei zwischen identifizierenden und nichtidentifizierenden Marktinformationsverfahren. Identifizierende Verfahren sind dabei solche, bei denen Einzelgeschäfte durch Angebots- und Abschlussmeldungen unter Nennung der Lieferanten oder Abnehmer offengelegt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht die wettbewerbsbeschränkende Wirkung identifizierender Preismeldeverfahren darin, dass mit diesen Verfahren die Ungewissheit der Beteiligten über die Wettbewerbslage beseitigt werde und damit der Einsatz des Preises als Wettbewerbsmittel im Geheimwettbewerb nicht mehr zu nachhaltigen Wettbewerbsvorsprüngen führen würde.[197] Unbedenklich sind Marktinformationsverfahren dagegen dann, wenn lediglich Auskünfte über Durchschnittspreise und Durchschnittswerte (Liefermengen, Umsätze) erteilt werden und eine Identifizierung einzelner Kunden oder Lieferanten sowie Rückschlüsse auf einzelne Geschäftsvorgänge ausgeschlossen sind.[198] Markt- und Preisstatistiken müssen sich auf die Ermittlung und Offenlegung des Gesamtvolumens eines Marktes beschränken und dürfen nur Durchschnittspreise für bestimmte Gruppen von Geschäftsvorfällen nennen. Auch die deutsche Rechtspraxis geht davon aus, dass die Zulässigkeit eines Informationsaustausches immer nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalles beurteilt werden kann und stellt dabei neben der Art der ausgetauschten Informationen auch auf die Marktstruktur ab.[199]
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Eine gegen § 1 GWB verstoßende Wettbewerbsbeschränkung kommt nach der deutschen Rechtspraxis immer dann in Betracht, wenn der Informationsaustausch bei den Beteiligten die Ungewissheit über das künftige Verhalten der Wettbewerber wesentlich verringert oder beseitigt.[200] Die hierfür erforderliche Beurteilung der einzelnen Kriterien durch das Bundeskartellamt entspricht weitgehend der Praxis der Kommission, so dass auch in der deutschen Rechtspraxis ein Informationsaustausch als wettbewerblich eher problematisch angesehen wird, wenn der Markt oligopolistisch geprägt ist und homogene Massengüter betroffen sind sowie die Daten individualisiert und aktuell und nicht aggregiert und historisch bzw. öffentlich sind oder der Informationsaustausch regelmäßig stattfindet.[201]
8. Vergleiche, Abgrenzungsvereinbarungen und Schiedssprüche
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Als Vereinbarungen i.S.d. Kartellrechts fallen grundsätzlich auch Vergleiche, markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen sowie Schiedssprüche eines Schiedsgerichts unter das Kartellverbot, soweit sie Wettbewerbsbeschränkungen beinhalten.
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Es gibt kein allgemeines „Vergleichsprivileg“, wonach Vergleiche, die der Beilegung eines Rechtsstreits dienen, nicht unter das Kartellverbot fallen.[202] Unabhängig davon, ob es sich um gerichtliche oder außergerichtliche Vergleiche handelt, sind Vergleiche wie andere zivilrechtliche Verträge auch am Kartellverbot zu messen.[203] Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen lassen sich also nicht dadurch legitimieren, dass sie in Form eines Vergleichs geschlossen werden.[204]
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Eine Besonderheit gegenüber anderen Formen zivilrechtlicher Verträge besteht bei Vergleichen jedoch regelmäßig darin, dass sie zur Beseitigung einer bestehenden Rechtsunsicherheit geschlossen werden (vgl. § 779 BGB). Es stellt sich somit die Frage, ob den Parteien bei Abschluss eines Vergleichs aufgrund unsicherer Rechtslage ein kartellrechtlich möglicherweise eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.[205]
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Besondere praktische Bedeutung hat die Frage eines Beurteilungsspielraums für Streitbeilegungsvereinbarungen im Zusammenhang mit gewerblichen Schutzrechten, mit denen langjährige rechtliche Auseinandersetzungen über die Reichweite von Patenten,