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Die Bargada / Dorf an der Grenze. Aline Valangin
Читать онлайн.Название Die Bargada / Dorf an der Grenze
Год выпуска 0
isbn 9783038551478
Автор произведения Aline Valangin
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es war im Hause des Vetters Brauch, das Fest des Ortsheiligen, das in den Hochsommer fiel, gemeinsam mit den Arbeitern zu feiern. Von ringsherum und oft von weit her kamen Schaubudenbesitzer, Händler und fahrendes Volk gezogen und schlugen ihre Zelte bei der Kirche auf. Nach der Messe begannen die Lustbarkeiten mit einem Rundgang über den Markt, gipfelten in einem lang ausgedehnten Mahl in einer Osteria und schlossen, gegen Morgen erst, im allgemeinen Jubel.
Bernardo verdiente nun schon wie die andern. Er hatte ordentlich Geld im Sack. Es juckte ihn, es an diesem Tage springen zu lassen. Was gab es nicht alles zu kaufen! Die Buden waren voll Ware, was man sich nur wünschen konnte. Samthosen, bunte Tücher, kühne Hüte und Mützen, rostbraune Wolljacken, wie die Matrosen sie lieben, elegante Schuhe für den Sonntag, von dem aufgetürmten Kram, den die Frauen bestaunten, nicht zu sprechen. Berge von ölig duftenden Süßigkeiten, Küchlein und Fladen, von weiß- und rosafarbigem Marzipan, in durchsichtiges Papier gewickelt und mit dem Bild einer schönen, wenig bekleideten Frau besiegelt, von Zuckerstengeln, so bunt und so kunstvoll gedreht, daß man meinen konnte, sie seien aus Glas. Überall standen Männer mit Hunderten von rot-blau-grün-weißen Windmühlchen, die im Luftzuge leise schnarrten, mit wallenden, quellenden Wolken aus seidig schimmernden Luftballons für Kinder, mit Knarren und Pfeifen, falschen Nasen zum Aufsetzen, Spinnen auf Holzscheren, die Mädchen zu erschrecken, huschenden Blechmäusen, Rüsseln, um sie Nichtsahnenden unter anzüglichen Späßen entgegenzurollen. Leierkasten, Klaviere auf Karren, Harmonikas schrillten unbekümmert ihre Weisen durcheinander, Händler schrien ihre Ware aus, Frösche knallten, eine gewaltige Pauke schlug irgendwo im Takt; Gedränge, Gewimmel, Lärm und Hitze.
Vor einer Bude stand, eingeklemmt zwischen andern, das Dienstmädchen des Vetters, die kleine Teresina. Sie hatte sich für den Tag geputzt und trug spitze Schuhe, die sie schmerzten, doch lächelte sie dazu. Man weiß, um schön zu sein, muß man leiden. Sie bewunderte Strohhüte, die da feilgeboten wurden. Bernardo blieb neben ihr stehen. Diese Hüte sollte er kennen. Auf beiden Seiten etwas heruntergebogen, am Rand gezackt, um den Kopf ein vorne gekreuztes Band. Diese Hüte kannte er. Es waren die Hüte, wie die Frauen auf der Bargada sie zur Arbeit aufsetzten. Heimat! … Ob er dem schönen Fräulein einen kaufen wolle, fragte der Händler. Teresina schaute überrascht von dem Mann zu Bernardo. Er nahm den Hut, den ihm der Händler entgegenstreckte, in die Hand und schaute ihn an. Ja, so waren die Hüte der Frauen zu Hause, genau so. Er setzte ihn Teresina aufs Haar. Sie guckte ihn darunter hervor mit glänzenden Augen an. «Behalt ihn auf!» sagte Bernardo und zahlte, was der Verkäufer verlangte. «Nicht einmal gemarktet hat er», flüsterte Teresina stolz Peppo zu, der sich zu ihnen gesellte.
Zu dritt gingen sie weiter von Stand zu Stand. Es gab immer Neues zu sehen. Was meint ihr, was ein rechter Jahrmarkt ist, das läßt sich nicht in einer Stunde abschreiten! Da waren die Auslagen mit Geschirr für Küche und Haus, mit Binsentaschen und Besen, Kerzenstöcken, Nachttöpfen, Kellen und Bottichen. Die Gaffer stauten sich davor, man kam schier nicht durch. Ein Mann, der aus einem kleinen Karren zierlich Eis auf Tellerchen häufte und mit einem Kompliment herumbot, versperrte den Weg. Ein anderer hockte neben einem Korb voll Wassermelonen und schnitt mit einem großen Messer halbmondförmige Stücke von den Früchten ab. Die Durstigen stürzten sich darauf und bissen hinein, daß die Kerne wegsprangen und der Saft zu Boden floß.
Im wirbelnden Gewühl verlor Bernardo seine Gefährten. Er trieb allein einer stilleren Ecke zu und spähte musternd in einen Stand hinein. Fern von den Händen der Kauflustigen standen da auf Regalen die wundersamsten Dinge. Waren sie aus Zucker oder aus Eis? Sie waren aus Glas. Auf verschnörkelten, zarten Füßchen hielten sich Schalen und Becher schwebend im Gleichgewicht, gerippt und gewunden, mit Rüschen versehen und Fächern verziert, in allen Farben schimmernd, oder halbmatt mit goldenen Tupfen, Flitter und Staub darin. Zerbrechlich, zerbrechlich! Verknäuelte, grüne Schlangen krönten hohe Pokale, silberne Schwäne breiteten ihre Flügel aus, Fische spielten in erstarrtem Schaum. Überall Spitzen und Netze, gedrehte Bänder, bunte Stabbündel, Hörnchen, Zacken und Bogen. Alles aus Glas. Fahnen und Fransen aus Glas, Wassergüsse und Strudel aus Glas, Paläste, Berge und Himmel, alles aus Glas. Dort aber – Bernardo hielt den Atem an –, dort lag das Schönste von all dem Schönen: eine reine Kostbarkeit, eine Kugel. Weiter nichts als eine Kugel, aus Glas auch sie, durchsichtig, schwimmende Funken darüber verstreut, und innen, da war ein Gebilde beschlossen. Eine Blume: samtene Bahnen von glitzernden Kanten umrandet, flimmernde Höhlen, farbig leuchtende Grotten, seltsam gewundene, glattglänzende Zugänge zur Mitte, wo im Kranz zwischen langen Fangarmen ein gleißendes Herz lag. Die Blume war aus rotem Saft. Nein, wenn man genauer hinsah, waren es zwei Blumen, nicht eine. Zwei Blumen aus lebendigem Blut, die ihre Stengel ganz ineinander verwickelt hatten. Auch ihre Blumenblätter schoben sich aneinander, krempelten sich um und um, als wären sie ein einziges Ding. Und dieses Ding strahlte ein Licht aus, ein rotes, von goldenem Sprühen durchglitzertes Licht. Es ist nicht möglich, daß es etwas so Schönes gibt, dachte Bernardo, ich träume. Es zog ihm das Wasser im Munde zusammen vor Begierde, das Ding zu berühren. Wie mußte es sich anfühlen? Wie ein Riesenmarmel, zuerst kalt und dann warm, wie die eigene Hand.
Die Verkäuferin näherte sich und fragte ihn, ob er etwas wünsche. Sie bot ihm allerlei an. Bernardo sah nur die Kugel. Schließlich fragte er nach dem Preis. Das Ding sei nicht zu verkaufen, es liege nur da, daß man es ansehe. Das stimmte wohl, so etwas war nicht zu kaufen. Er wäre weiter und weiter davor stehengeblieben, wenn ihn nicht Peppo aufgefunden und am Arm weitergezerrt hätte. Ganz benommen folgte Bernardo dem Freund.
Auf einem kleinen Platz, wo Wege sich kreuzten, standen in dichtem Ring Leute und klatschten. Was gabʼs denn da zu sehen? Peppo drängte vorwärts. Sie vernahmen die Schläge der Pauke und zu mageren Klängen einer Drehorgel aufmunternde Zurufe und Befehle. Über die Köpfe der Gaffer hinweg war auf der Achsel eines dunkelhäutigen Menschen ein kleiner Affe zu erspähen. Er hielt sein Händchen ausgestreckt und bat mit eindringlichen Gebärden um milde Gaben. Doch nicht das Äffchen konnte die Leute so fesseln, es mußte etwas anderes sein. Plötzlich gewahrte Bernardo zwischen zwei Zuschauern den Kopf eines Bären. Er fuhr erschrocken zurück. Peppo bemerkte seine Angst und lachte ihn aus. «Ein Tanzbär!» meinte er verächtlich. Mit den Ellbogen bahnte er einen Weg nach vorn und zog den widerstrebenden Bernardo nach, der nun, in der ersten Reihe stehend, das Tier genugsam von nahem betrachten konnte. Sein Schreck war nicht verklungen. Er zitterte, so oft der Bär sich tanzend ihm zuwandte. Aber gleichzeitig besah er sich neugierig die Bestie. Er war enttäuscht. Das sollte eine Bärin sein? Er hatte sich eine solche ganz anders vorgestellt, viel größer und fürchterlicher, mit Augen wie aus Phosphor und einem rauchenden Rachen. War das alles? Eigentlich eine armselige Kreatur. Ein Ring in der Nase, Ketten an den Füßen und das schäbige Fell hinten verunreinigt, daß es in stinkenden Zotten einen widerlichen Anblick bot. Das war alles? Plötzlich lachte er laut auf. Als er vorhin für Teresina den Hut kaufte, war eine seltsame Schwere über ihn gefallen. Auch während er sich an der Glaskugel entzückte, hielt sie ihn nieder, ja, sie vertiefte sich zu leiser Angst. Die lächerliche Erscheinung des Bären nun, obwohl sie ihm zuerst Furcht eingejagt hatte, enthob ihn der drückenden Laune. Unvermittelt verfiel er in große Lustigkeit.
Bei Tisch wußte er die besten Scherze vorzubringen, antwortete am witzigsten, erzählte die gewagtesten Geschichten und übertrumpfte sich zum Schluß selbst durch eine Fertigkeit, die er soeben an sich entdeckte. Um der Hitze auszuweichen, hatte sich die Gesellschaft im Sälchen der Osteria das Essen auftragen lassen. Die Speisen zogen Schwärme von Fliegen an, die lästig wurden und über die sich schließlich alle beklagten. Bernardo, der ziemlich getrunken hatte, hob lässig die Hand, um eine Fliege zu vertreiben. Sie flog ihm zwischen die Finger, die er nur zu schließen brauchte – schon war sie gefangen. Er schob sie unter ein umgekehrtes Glas. Ein zweites Mal gelang ihm dasselbe. Da rief er den andern über den Tisch hin zu, sie sollten schauen, wie man es mache, um die Fliegen loszuwerden, man nehme sie ganz einfach so – und so – und so. Er griff ruhig in die Luft, und jedesmal erwischte er eine Fliege, nicht anders, als ob es das Einfachste der Welt wäre. Man lachte, man versuchte, es ihm nachzutun. Es gelang niemandem, während er weiterfuhr, gemächlich Fliege um Fliege aus der Luft zu pflücken und unter