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      Über dieses Buch

      1943 erschien in der Büchergilde Gutenberg «Die Bargada», eine Familiensaga der Bewohner eines Tessiner Bauernhofes vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Der Roman «Dorf an der Grenze» erzählte diese Saga weiter durch die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Ohne Scheuklappen verarbeitete Aline Valangin die Ereignisse im Schweizer Dorf an der Grenze, so daß das Buch wegen politischer Brisanz nicht gedruckt wurde, es erschien erst 1982 im Limmat Verlag. Zum ersten Mal sind jetzt beide Teile gleichzeitig zugänglich.

      Der Hof mit dem Namen «Bargada» ist größer als die anderen und liegt etwas ­abseits des Dorfs, es soll darin spuken. Die Dörfler hingegen leben eng beieinander, bei ihnen spukt es nicht, denn ihre Geheimnisse dringen alle durch die Mauern ins Nachbarhaus. Aline Valangin erzählt die Geschichte dieser ländlichen Gemeinschaft über mehrere Generationen hinweg. Sie erzählt vom Patriarchat und seiner Aufweichung durch die ­Abwesenheit der Männer, von Familienintrigen, Schmugglern und Partisanen, Krieg und Flüchtlingselend, hartem Existenzkampf und verzagter Resignation. Und sie erzählt vom Traum, den die Bargadatöchter über Generationen träumen: den Hof zu erben und einen Mann einzuheiraten.

      «Unbeschönigend, ohne jedes niedliche Beiwerk, in einem eigenwillig prägnanten Stil gelingen ihr namentlich starke, unverwechselbare Frauengestalten höchst beeindruckend.» Tages-Anzeiger

Aline Valangin

      Aline Valangin, 1889–1986, auf­gewachsen in Bern. Ausbildung als Pianistin. Mit ihrem Mann Wladimir Rosenbaum empfing und betreute sie im Zürich der dreißiger Jahre in ihrem Haus Emigranten und Künstler. Ab 1936 lebte sie im Tessin als Psychoanalytikerin, Publizistin und Schriftstellerin.

      Aline Valangin

      Die Bargada

      Dorf an der Grenze

      Eine Chronik

      Limmat Verlag

      Zürich

Die Bargada

      I. Der seltsame Hof

      Vor dem letzten, hochgelegenen Dorfe des Tales springt zwischen zwei Schluchten eine schön gerundete Anhöhe breit und frei ins Land hinaus. Sie ist von ferne und weit herum sichtbar. Die ersten Sonnenstrahlen vergolden ihre Kuppe, und sie glänzt noch im Abendschein, wenn alle andern Halden und Hügel längst im Schatten liegen. Es ist die Bargada, der schönste Bühl der ganzen Gegend.

      Doch die Schluchten, die sie begrenzen, sind düstere Orte. In der ersten, der Bocca delle Torre, treten die Flühe wie riesenhafte versteinerte Burgen mit Zinnen und Türmen im Rund auseinander zu ödem Kessel. Ein Bach braust hindurch. Wo er sich staut, bevor er in kühnem Sprung als Wasserfall tosend in die Tiefe stürzt, führt eine Brücke darüber. Man nennt sie die Turmenbrücke.

      In der zweiten, dem Dorfe näherliegenden Schlucht, stoßen Felsschichten schräg und so nah aufeinander, daß nur eine Spalte offen bleibt, zu eng, um eine Hand hineinzulegen. Doch müssen sich innen Räume ausweiten, denn nie verstummt da dumpfes Rauschen von strömendem Wasser. Aus der Spalte fallen Tropfen mit hellem Klang in einen flachen Steintrog, neben dem Blöcke zu einer Bank aufgeschichtet sind. Im dreieckigen Plan davor wuchern Farnkräuter, fette Vergißmeinnicht und andere Schattenpflanzen. Das Gras steht hoch. Auch allerlei Getier, das Feuchte liebt, hat hier sein Revier. Niemand stört es. Niemand würde sein Vieh dort tränken, niemand dort rasten. Der Grund ist gemieden, so einladend er aussieht und obwohl dort die Brücke beginnt, über die es dem Dorfe zugeht. In ihrem Bogen hängt mit verkralltem Gebein das Gerippe eines Fuchses. Das Tier soll vor Zeiten hier aufgeknüpft worden sein, um böses Gelichter zu bannen. Die Brücke heißt darum: Ponte della Volpe, Fuchsenbrücke. Gleich weit entfernt von beiden Tobeln, nahe der Fahrstraße, steht ein großes, in guten Ausmaßen erbautes Haus. Es schaut aus vielen Fenstern stolz nach Süden. Unter dem kassettenverzierten Vordach ist ein blau schabloniertes griechisches Muster als Fries zu sehen. Der übrige einst hellrote Anstrich ist schlecht erhalten bis auf ein gemaltes Fenster im zweiten Stock, das, der Wirklichkeit täuschend nachgeahmt, eine geschickte Hand noch erkennen läßt. Neben dem stattlichen Balkon in der Mitte der Front sind Sprüche zu erraten: «Besser beneidet als bedauert» und «Wen der Herr liebt, den züchtigt er».

      Zum Haus gehören größere und kleinere Nebenbauten, Ställe und Speicher, fast alle zerfallen. Der Garten zieht sich in zwei Terrassen dem Berg entlang. Er wird gegen die Straße von einer hohen Mauer gestützt, auf der Steinvasen in klassischem Stil prangen. Einige davon sind umgestürzt oder geborsten, andere von Rosengebüsch und Geißlaub überwachsen. Oben im Garten lehnt an einem Baum ein altes Gartenhaus. Gleich dahinter beginnen sanft geneigte Wiesen. Sie steigen, allmählich steiler werdend, bis zu senkrechten Felsen an, die das ganze Gebiet nach oben verrammeln. Auch unterhalb des Hauses liegen Matten und Felder, die rasch in Gehölz, Gestrüpp und Heide übergehen, da der Abhang immer steiniger wird und in einer abfallenden Wand endet.

      In frühern Zeiten, als nur Saumpfade ins Tal hinauf gingen, war die Bargada, von Felsen oben und unten, links und rechts abgeschlossen, mühsam zu erreichen gewesen, und ihre Lage hatte den Armini, die seit Gedenken ihre Besitzer waren, ein abgesondertes Leben aufgezwungen. Seit aber die neue Fahrstraße über die Brücken auf das Anwesen führte, stand der Hof in bequemer Verbindung mit dem übrigen Tal und der weitern Welt. Obgleich keine äußere Veranlassung mehr bestand, sich abseits zu halten, blieben die Armini für sich. Ebenso pflegten die Leute vom Dorf wenig Umgang mit ihnen. Das hatte seine Gründe, doch suchte man danach, waren sie verwickelt und im übrigen nicht derart, daß man frei hätte darüber sprechen wollen. Man begnügte sich, festzustellen, es sei von jeher so gewesen; das war ja Grund genug, es weiter so zu halten.

      Immerhin übten die Dörfler von ferne und scheinbar unbeteiligt eine neugierige Aufsicht über die Bargada aus, gehörte sie doch zu den auffallendsten Anwesen des Tales. Nirgends stand das Gras so fett, reifte das Korn früher und wurden die Kartoffeln größer. Im Garten prangten die Pfingstrosen zweimal so dick wie anderswo, und oben, am Gartenhaus, wuchs eine Rebe, ein echter Weinstock, der nicht nur blühte, aber dunkelblaue, süße Trauben trug, wennʼs Jahr gut war. Er galt als der höchstgelegene Weinstock im Land. Daß er gerade auf dem Boden der Armini stand, daß überhaupt alles auf diesem Boden so viel besser gedieh, als auf anderer Leute Boden, war das nicht sonderbar? Sonderbar und nicht unverdächtig. Gewiß, man hörte nicht mehr auf das Geplapper der Alten, die wissen wollten, die Frauen der Bargada – nun, es war lächerlich es nur auszusprechen – seien allerlei besonderer Künste fähig, sie wüßten kräftige Sprüche zu verwenden, um die Fruchtbarkeit ihres Bodens anzuspornen und den Herbstsegen zu erzwingen, sie verstünden es, durch geheime Mittel die Krankheit von ihrem Stall zu bannen und Hagel und Unwetter an den eigenen Feldern vorbei auf die Felder des Nachbarn zu leiten … Unsinn! Geschwätz! Über Aberglauben war man hinaus. Aber immerhin … seltsame Leute waren die Armini, von jeher, und alles taten sie anders, als es der Brauch wollte. Sie nahmen wenig Anteil an den Gemeindeangelegenheiten, sie stellten keine Taglöhner vom Ort ein, sie kauften und verkauften nichts im Dorf. Ihre Frauen holten sie sich aus andern Gegenden. Sie schickten ihre Söhne in die Fremde, nicht um ihr Brot zu verdienen, wie es die meisten jungen Männer taten, weil der Heimatboden zu karg war, um sie zu ernähren, nein, nicht aus Not, aus Überfluß schickten sie sie weg, denn sie konnten es sich lei­sten, ihren Söhnen ein freies Jahr zu gönnen. Sie kleideten sich anders, aßen anders und sprachen anders; kurzum, sie waren eigenartige, unvertraute Leute, und Vorsicht und Zurückhaltung schienen ihnen gegenüber am Platze.

      So bewußt und stolz die Armini ihrerseits sich als Besondere und Auserwählte fühlten, so litten sie doch unter dem ablehnenden Verhalten ihrer Dorfgenossen, das einer Ausschließung nahe kam. Sie trugen ihr Los aber mit gelassener Geduld, als wäre ihnen auferlegt, eine verborgene, ihnen selbst unbekannte Schuld abzubüßen. Zudem hatten sie genug mit sich selbst zu tun, denn das Leben auf der Bargada, wenn es gut sein mochte, war doch nicht leicht.

      Vielleicht kam es daher: So weit man sich zurückerinnern konnte, wurde den Armini nach vielen Töchtern erst der Sohn geboren, stets nur ein Sohn, der sittegemäß beim Tode des Vaters den Hof erbte. Die zahlreichen Frauen der Familie blieben ledig und rechtlos im Hause, wenn sie nicht wegheirateten, was aber selten geschah. So lebte der Meister als einziger Mann in einem Schwarm von Weibern, die alle,

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