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aus dem Keller dahinter hörte er deutlich das Gähnen, von dem die Paulina zu berichten wußte. Das Wetter wird ändern, sagte er sich, aber er glaubte nicht daran … Statt zu Orsanna hinaufzusteigen, die ihn zitternd vor Ungeduld erwartete, schlich er sich zum Hause hinaus in den Heustock, seinen Rausch auszuschlafen.

      Von alledem nahmen Orsannas Eltern wenig Kenntnis. Wohl war ihnen eine Veränderung im Wesen der Tochter aufgefallen. Sie war nachlässiger bei der Arbeit, wechselte ihre Kleider häufiger, schmierte ihr Gesicht mit Schaffett ein und wütete oft arg auf dem Hof herum, eine rechte Plage für die Alten. Die Vermutung jedoch, Orsanna könnte heiraten wollen, und dazu einen so jungen Unwürdigen, wäre Tomaso nie gekommen. Eher deutete Detta das Verhalten der Tochter, in alter Weibereinsicht, als späte Sehnsucht nach Mann und Kind. Es fiel ihr auf, daß die beiden ledigen Frauen seit kurzem zusammenhielten, die Abende in Giulias Küche oder Orsannas Kammer verbrachten und viel geheimnisvoll zu tuscheln und tratschen hatten. Sie glaubte zu erraten, warum. Als sie einst einen langen, roten Zwirn aus Orsannas Tasche heraushängen sah – fast mußte sie auflachen ob der Entdeckung –, war sie ihrer Sache sicher. Aber kümmerte es sie, was da im geheimen gewünscht und getrieben wurde? Es konnte zu nichts führen. Es war im voraus verloren. Es war ganz und gar unwichtig. Wichtig allein war die Gewißheit, daß Bernardo über kurz oder lang nach Hause zurückkehren werde. Was sich daneben begeben mochte, war nicht mehr als ein Traum.

      I. Die Glaskugel

      Bernardo stieg in Mailand aus dem Zug, das Herz noch geschwollen vom Abschied, aber doch voll neugieriger Ungeduld auf alles Neue, das ihn in der Stadt erwartete. Er trug in seiner Tasche einen Zettel, auf den Detta Namen und Adresse eines ihrer Vettern, der in Mailand Bauunternehmer war, geschrieben hatte. An ihn solle er sich wenden. Beladen mit dem alten Familienkoffer aus Ziegenfell und einem Handkorb voll Eßwaren, wurde es Bernardo nicht leicht, den Vetter zu finden. Der rollende Lärm der großen Stadt, die kreuz und quer verlaufenden Straßen, Gassen und Winkel, die weiten Plätze, die Arkaden, Durchgänge und Höfe verwirrten ihn. Er staunte über das Menschengewühl, die Händler, Musikanten, Bettler, die spielenden und schreienden Kinder, die schön gekleideten Damen und die eleganten Herren. Erst am Abend traf er im Vorort, wo der Vetter wohnte, ein.

      Ein junges Dienstmädchen kam barfuß ihm die Türe öffnen. Es führte ihn in einen weißgetünchten, von grellem Gaslicht erhellten Raum, wo an einem großen Tisch, den Rücken gegen die Tür, ein Mann zeichnete. Er kehrte den Kopf nach dem Eintretenden um und sah ihn fragend an. Bernardo nannte seinen Namen, den er schon dem Mädchen schüchtern gesagt hatte. Nun schwang sich der Mann auf dem hohen Stuhl herum und rief aus: «Schau, der Sohn der Base Detta.» Er wollte den Jungen lang und breit von seiner Mutter berichten lassen, die er, seit sie den Talbauern geheiratet und mit ihm weggezogen war, nie mehr gesehen hatte. Als Bernardo nicht viel vorzubringen wußte, fing der Vetter mit Erzählen an. Ein schönes Mädchen sei sie gewesen, die Detta. Wenn sie von Genua, wo ihre Eltern wohnten, zu den Seinen nach Mailand zu Besuch kam, waren alle Burschen des Quartiers ganz verrückt hinter ihr her. Blumen, Ständchen, Mauerklettereien und andere Dumm­heiten … Einer überbot den andern, damit sie ihn ansehe, aber sie hatte nur Tomaso im Sinn, und, zum Lachen, der schien sich nicht viel aus ihr zu machen, denn er faselte nur davon, Matrose zu werden. Daß sie dann doch zusammengekommen und auf Tomasos Hof ge­zogen waren, wunderte den Vetter noch heute. Freilich, es hieß, Tomaso sei ein reicher Mann, Besitzer eines beträchtlichen Gutes … «Und du willst also nicht bauern?» fragte er den Jungen, aus seinen Erinnerungen auftauchend. Bernardo schüttelte den Kopf. «Warum nicht?» Ja, warum nicht? Das war nicht so schnell gesagt. Die richtige Antwort konnte er dem Vetter kaum geben. Wie sollte er ihm verständlich machen, daß es auf der Bargada nicht zum Aushalten war? Die alten Frauen, der stille Vater, er dazwischen, immer allein, von allen schief angesehen, ge­mieden, verpönt … Mit Recht verpönt? Was wußte er! Die Bärin, das Fenster und von was sonst im Dorf geflüstert wurde, das war wohl ­dummes Zeug. Aber wie vieles im Hause blieb bedrückend … unheimlich … Was wußte er!

      So erklärte er nur, der Hof bringe nicht mehr soviel ein wie früher, die Zeiten seien eben nicht die besten, für alle im Tal, nicht nur für seine Leute! Es wanderten immer mehr Männer aus, bis nach Amerika und weiter … und da hätten sie zu Hause gedacht, es wäre gescheit, ein Handwerk zu erlernen, für alle Fälle, und Maler wäre etwas Schönes, und da sei der Mutter der Vetter in den Sinn gekommen, und so sei er jetzt da und möchte fragen, ob er ihn irgendwo brauchen könne.

      Der Vetter teilte den Jungen seinem besten Malergesellen als Lehrling zu. Am Anfang hatte Bernardo die nebensächlichen Arbeiten zu verrichten: Holzwerk ablaugen, Böden reinigen, Wände abkratzen, Leitern und Kessel herumtragen, Pinsel waschen und Farbe rühren. Dann bekam er eine Türe zu grundieren, einen Sockel zu streichen. Es gefiel ihm, langsam und bedächtig die Farbe recht gleichmäßig mit breitem Strich aufzutragen, mit feinerem Pinsel die Kanten nachzuziehen und die Ecken auszufüllen. Lustiger fand er noch das Tünchen, das flink und mit Schwung zu geschehen hatte. Sein Eifer wuchs, als er selbst die Farben mischen durfte und es hieß, er habe ein gutes Auge dafür. Nun ja, Rot war nicht Rot und Blau nicht Blau. Da gab es Töne und Tönchen. Sie zu treffen, bereitete Freude. Sein großer Wunsch aber war, sich im Schablonieren versuchen zu dürfen. Er bewunderte seinen Meister, wie er es verstand, akkurat und reinlich, ohne den Rapport erraten zu lassen, schöne Friese anzubringen oder Medaillons auf eine Decke zu zaubern, wobei er zum Schluß mit dünnem Pinsel die Blumen, Blätter, die Schleifen, Schmetterlinge und Genien ausmalte, daß sie leibhaftig erschienen. Auch er wollte es so weit in der Kunst bringen.

      Wohnung hatte er in einer Arbeiterpension bezogen, wo andere ledige Arbeiter seines Vetters lebten. Er teilte sein Zimmer mit einem gleichaltrigen Burschen, Peppo, der Maurer war und schon selbständig arbeitete. Dieser prahlte gerne Bernardo gegenüber mit seinem Lohn und was er sich alles damit leisten könne: Wein, Bier und Mädchen. Manchmal nahm ihn Peppo mit zum Tanz und zahlte ihm ein Glas. Bernardo saß still am Tisch und schaute zu. Die Mädchen gefielen ihm, doch waren sie frech und so flink im Reden und im Tanzen, daß er sich vor ihnen scheute. Man hänselte ihn deswegen. Es war aber nicht böse gemeint. Man brachte ihm Freundlichkeit entgegen. Es gab keine schiefen Blicke, wenn er sich näherte, kein Getuschel, wenn er ging. Die Leute wußten nichts von den Geschichten, die im Dorf über sein Haus und seine Familie umgingen, und hätten sie davon gewußt, wären sie ihnen dumm vorgekommen. So viel hatte Bernardo bald verstanden, und es erleichterte sein Gemüt. Er verlor nach und nach das Mißtrauen, wurde vergnügt und umgänglich. Ein Gespräch mit Mädchen in Ehren zu bestehen, traute er sich noch nicht zu, oder gar weiterzugehen und sich mit ihnen jene Freiheiten zu erlauben, im Denken und im Tun, von denen unter seinen Kameraden so viel die Rede war. Aber er beobachtete sie, prüfte ihr Aussehen und gestand sich für diese oder jene eine Vorliebe ein. Die netteste, fand er, sei die Teresina, das junge Dienstmädchen des Vetters, die ihm am ersten Abend freundlich die Haustüre öffnete und ihn auch jetzt, an jedem Sonntag, wenn er im Hause zum Essen eingeladen war, anlächelte.

      Schneller als mit den Mädchen auf dem Tanzplatz fand er sich mit den Männern beim Bocciaspiel zurecht. Dort war er in seinem Element. Die Kugeln gehorchten ihm: sie flogen und rollten, sie drehten sich auf der Stelle oder wirbelten über den Grund, sie trafen von fern in hohem Bogen, von nahe wie an einem Faden zum Ziel gezogen. Sein Auge war scharf, seine Hand ruhig und seine Bewegungen stark und geschmeidig. Bald gehörte er zu den besten Spielern im Umkreis. Man suchte ihn als Partner. Man bewunderte, man beklatschte seine Geschicklichkeit. Es tat ihm wohl, wenn er es auch nicht verriet. An einem Wettspiel, das über manche Wochen hin jeden Abend zwischen den Arbeitern des Vetters, alles leidenschaftliche Anhänger des Spieles, ausgetragen wurde, blieb er der Sieger, selbst verwundert über sein Glück. Der Vetter klopfte ihm auf die Schulter und hieß ihn neben sich sitzen. «Das hast du von deinem Vater. Ihr habt ruhigeres Blut als wir, so gewinnt ihr uns schließlich auch die schönsten Frauen ab.» Bernardo ließ sich stolz feiern. Er saß in der Mitte des langen Tisches und schaute in die lachenden, geröteten Gesichter seiner Kameraden. Das erstemal, daß er das Gewicht nicht spürte, das er sonst mit sich trug. Er wunderte sich darüber. Als wäre er aus einer dicken, schweren, pelzigen Haut herausgekrochen, die ihn bis jetzt an allem gehindert, von allem getrennt hatte, und nun irgendwo hinter ihm läge, leer und überflüssig, fühlte er sich befreit, endlich den andern gleich. Er wagte es, nicht nur zu Späßen

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